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Verwunderlich, dass der Stasi-Knast in Hohenschönhausen fehlt, war ja auch ein schönes, gutes Stück DDRWo Berlin Rot trägt

Foto: privat

Berlin auf Blättern

von Jörg Sundermeier

Berlin auf Tausenden von Seiten – Jahr um Jahr erscheinen unzählbar viele Berlin-Bildbände und -Reiseführer. Doch lange fehlte ein Führer zu den Orten, die für Sozialistinnen und Kommunisten interessant sein könnten. Mit dem Stadtführer „Das rote Berlin“ liegt er nun vor. Leider. Denn der Herausgeber Frank Schumann macht es sich leicht. Das „rote Berlin“ ist bei ihm jenes, das 1989 untergegangen ist.

Dabei entwickelt Schumann zunächst einen guten Ansatz. Im Klappentext des Buches wird darauf hingewiesen, dass Berlin – in den rund 800 Jahren seiner Existenz – bislang „keine 200 Jahre davon“ Rot trage. Aber Berlin sei auch nach dem 2. Weltkrieg Hauptstadt gewesen, im Osten nämlich, so heißt es im Klappentext weiter. „Das wird gelegentlich vergessen, wie auch der Umstand, dass Geschichte unteilbar ist. Zwar kann man Gebäude abreißen und Denkmale schleifen, die Namen von Straßen und Plätzen ändern oder Vorgänge totschweigen. Sie existieren dennoch, auch wenn sie vergessen scheinen und keine Erwähnung mehr finden.“ Nun kann man einwenden, dass geschleifte Denkmale wirklich nicht mehr existieren, doch im übertragenen Sinne mag das richtig sein – und dem Pathos, zu dem sich Linke, auch der Autor dieser Zeilen, gern einmal hinreißen lassen, entspricht das allemal.

So freut man sich auf linke Orte des Herzens. Doch dann lässt einen Schumann enttäuscht zurück. Denn zwar präsentiert er etwa die fehlenden Denkmale, wie das Lenindenkmal am heutigen Platz der Vereinten Nationen oder, wichtiger noch, das von den Nazis abgerissene Revolutionsdenkmal, das Mies van der Rohe 1926 entworfen hatte, und an das nun seinerseits eine auf dem Fundament errichtete Tafel des Bildhauers Gerhard Thieme erinnert. Auch nimmt er beispielsweise die Kaserne am Kupfergraben mit auf, in der Friedrich Engels 1841/42 diente.

Doch das Buch hat einen sehr merkwürdigen Ost-Einschlag – aufgeteilt ist es nach Geschichtsepochen, die Epoche nach dem 2. Weltkrieg scheint Schumann am besten zu gefallen. So präsentiert er als rote Orte den Palast der Republik oder das Staatsratsgebäude (in dem heute eine Managerhochschule residiert). Und sogar das ehemalige Luftwaffen- und heutige Finanzministerium, da dort Harro Schulze-Boysen während des Zweiten Weltkrieges für die „Rote Kapelle“ arbeitete, aber auch, weil dort 1949 die Deutsche Demokratische Republik ausgerufen wurde und es hernach als „Haus der Ministerien“ diente. Nur ist es eben ein von den Nazis errichteter Bau – was erwähnt wird, aber egal scheint, denn dann war die DDR drin und damit hat gewissermaßen eine ideologische Säuberung stattgefunden.

Dass in einem Gebäude die DDR präsent war, macht für Schumann auch Schlösser zu Orten des roten Berlin – und das, obschon Westberlin flächenmäßig größer ist. Was nicht DDR war oder der DDR zupasskam, erwähnt er oft nicht, so die Kommune 1 nicht und die anderen Orte der 68er (außer den Platz, an dem Benno Ohnesorg erschossen wurde), nicht die Orte, an denen die Revolutionären Zellen, die Haschrebellen oder die RAF agierte. Was rot ist, definiert hier noch immer das ZK der DDR.

Lieber zeigt Schumann das Außenministerium der DDR oder das Nikolaiviertel, so schön war’s damals. Somit wundert man sich allerdings, dass der Stasi-Knast in Hohenschönhausen fehlt, war ja auch ein schönes, gutes Stück DDR, oder die herrliche KGB-Zentrale in Karls­horst. Ist das nicht auch rot im Sinne Schumanns?

„Der Umstand, dass Geschichte unteilbar ist“, wird vom Herausgeber dieses Bandes betont. Aber er will die Westgeschichte nicht teilen. Noch die Ostgeschichte kritisieren. Hier ist die Linke nach 1989 einfach tot. Man weint ihr nach. Sehr unrot, das.

Das rote Berlin. Ein Stadtführer. Verlag Das Neue Berlin, 2015, 96 Seiten, 9,99 €

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