Nur 7.000 Familien beziehen die „Herdprämie“

Urteil Bundesverfassungsgericht kippt Betreuungsgeld: In Berlin kratzt das wenige Eltern. Frei werdende Mittel für Kitas geplant

Kaum eine Berliner Familie wollte es, nun hat das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld für verfassungswidrig erklärt. Denn nicht der Bund, wie derzeit der Fall, sondern die Länder seien formal für eine solche Familienleistung zuständig, urteilten die Karlsruher Richter am Dienstag einstimmig – und gaben damit einer Klage des Landes Hamburg statt.

In Berlin betrifft das Urteil allerdings nur wenige Mütter und Väter. Laut der zuständigen Senatsverwaltung bezogen lediglich knapp 7.000 Eltern im ersten Quartal dieses Jahres die 150-Euro-Prämie – auch Herdprämie genannt – weil sie ihr Kleinkind lieber zu Hause betreuten, als es in die Kita oder zur Tagespflege bringen. Das sind rund 10 Prozent aller bezugsberechtigen Familien – der Bundesschnitt liegt bei 45 Prozent.

Insgesamt sei die Zahl der Anträge sogar leicht rückläufig, so ein Senatssprecher. Im letzten Quartal 2014 waren es noch rund 500 Anträge mehr. Dabei müssten die Zahlen derzeit eigentlich noch von ganz alleine ansteigen: Erst im laufenden Quartal sind überhaupt zwei volle Jahrgänge gleichzeitig bezugsberechtigt.

Familiensenatorin Sandra Scheers (SPD) sagte am Dienstag, die obersten Bundesrichter hätten „eine gute Entscheidung getroffen“. Das Betreuungsgeld sei eine „bildungspolitisch kontraproduktive Sozialleistung“. Darauf konnten sich am Dienstag weitgehend alle Parteienvertreter quer durch Senat und Abgeordnetenhaus einigen – so viel Einigung wie beim Thema Betreuungsgeld war wohl selten. „Eine absurde, rückwärtsgewandte Entscheidung“ sei diese Prämie gewesen, sagte der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion Klaus Lederer.

Auch für die CDU ist „das Urteil eine gute Nachricht“, wie der stellvertretende Neuköllner Bezirksbürgermeister Falko Liecke am Dienstag der taz sagte. Für Bezirke wie Neukölln mit einem hohen Migrantenanteil an der Bevölkerung sei das Betreuungsgeld besonders kontraproduktiv: „Viele Kinder haben Förderbedarf in Deutsch, die möchte ich lieber früh in einer Kita gefördert sehen als möglichst lange zu Hause.“

Lediglich Lieckes Parteikollegin Hildegard Bentele, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, sah das am Dienstag anders. „Ich finde es diskriminierend, wenn man – gerade auch türkischen – Eltern unterstellt, sie könnten ihre Kinder nicht angemessen zu Hause fördern.“ Bentele, die derzeit selbst Betreuungsgeld bezieht, findet es „vollkommen ausreichend“, wenn die Kinder ab dem dritten Lebensjahr in die Kita gehen.

Zurückzahlen muss Bentele das bisher erhaltene Betreuungsgeld nicht. Wer derzeit einen Antrag laufen hat, muss sogar weiterhin Bezüge erhalten, bis zum Ende des Bewilligungszeitraums, so die Richter.

Senatorin Scheeres will die frei werdenden Bundesmittel – etwa eine Milliarde Euro dürfte auf die Länder verteilt werden – der Betreuungsqualität in den Kitas widmen, sprich in mehr Personal. Unterstützung für Scheeres’ Pläne kommt auch vom Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD): „Berlin will möglichst viele Kinder in die Kitas bringen“, sagte Müller. Berlin hat bundesweit bereits eine der höchsten Betreuungsquoten: bei den Unter-Dreijährigen gingen 2014 rund 70 Prozent in die Kita. Anna Klöpper

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