PASCAL BEUCKER ÜBER ANNETTE SCHAVANS DOKTORTITEL
: Kleinkarierte Vorwürfe

Es wird eng für Annette Schavan. Nachdem die Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität am Dienstagabend ein förmliches Verfahren zur Überprüfung ihres Doktortitels eingeleitet hat, ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung mehr als angeschlagen. Schwer vorstellbar, dass sie sich noch bis zur Bundestagswahl im Amt halten kann.

Es gehören keine hellseherischen Fähigkeiten dazu, um vorauszusagen, dass die Rufe nach ihrem Rücktritt immer lauter werden, je näher der Wahltermin rückt. Die Opposition kann sich die günstige Gelegenheit gar nicht entgehen lassen. Damit wird Schavan zum Problemfall für die schwarz-gelbe Koalition. Ganz gleich, ob sie ihren Doktortitel letztlich verliert oder nicht. Die Gesetzmäßigkeiten des politischen Geschäfts entsprechen nicht den Regeln des Rechtsstaats. Sich auf die Unschuldsvermutung zu berufen, bringt nicht viel.

Wer sich Schavans Doktorarbeit durchliest, wird schnell feststellen: Bei Lichte betrachtet erscheinen die gegen sie erhobenen Vorwürfe mehr als kleinkariert. Doktorarbeiten wie ihre dürften zumindest zu jener Zeit, als sie sie erstellte, eher die Regel denn die Ausnahme gewesen sein. Schavan ist kein Karl-Theodor zu Guttenberg. Ihre Arbeit ist kein Copy-and-Paste-Produkt. Aus gutem Grund ist die Bewertung ihrer Dissertation in der Wissenschaft höchst umstritten. Selbst scharfe Kritiker sprechen zumindest von einem Grenzfall. Nicht jeder Zitierfehler resultiert aus einer Täuschungsabsicht.

Wenn die Universität Düsseldorf die gleichen Maßstäbe anlegen würde wie die Uni Potsdam bei ihrer Bewertung des Arbeit des niedersächsischen Kultusministers Bernd Althusmann, dürfte Schavan nicht viel zu befürchten haben. Gegenüber der Text-Collage, die ihr Parteifreund einst als Dissertation abgegeben hatte, erscheint ihre geschwurbelte Doktorarbeit unter dem Titel „Person und Gewissen“ aus dem Jahr 1980 geradezu als Musterbeispiel guter wissenschaftlicher Praxis. Trotz einer Reihe von „Mängeln von erheblichem Gewicht“ durfte der damalige Präsident der Kultusministerkonferenz seinen Titel behalten. Doch einheitliche Verfahrensregeln und Maßstäbe gibt es leider nicht. Es ist an der Zeit, dass sich das ändert.

Es gibt viele Gründe, sich zu wünschen, dass Annette Schavan als Bildungsministerin abtritt. Ihre Doktorarbeit gehört nicht dazu. Nützen dürfte ihr diese Erkenntnis allerdings wenig.

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