Gedenken statt Quieken und Grunzen

Die tschechische Regierung will eine Schweinegroßmast auf dem ehemaligem KZ-Gelände im südböhmischen Lety kaufen, um die Schweine umzusiedeln und eine Gedenkstätte für die im Holocaust ermordeten Roma errichten zu können

AUS PRAG ULRIKE BRAUN

Tschechiens Regierung sieht der Vergangenheit ins Auge: Auf dem Gelände eines ehemaligen so genannten „Zigeunerlagers“ im südböhmischen Lety will sie eine würdige Gedenkstätte bauen. Dafür muss sie allerdings zuerst eine Großmast von 14.000 Schweinen aufkaufen, die heute an der Stelle des Roma-KZs steht.

Unklar ist noch die Summe, die die sozialliberale Regierungskoalition investieren muss. Experten befürchten, dass der Kauf der Schweinefarm, die Finanzierung ihres Umzugs und der anschließende Bau der Gedenkstätte bis zu 25 Millionen Euro kosten könnten. Das Kabinett von Ministerpräsident Jiří Paroubek indes rechnet optimistisch mit Kosten von „ein paar Millionen Euro“, so Regierungssprecherin Lucie Orgoníková. Das bezweifelt selbst der Regierungsbeauftragte für Menschenrechte, Svatopluk Karásek: „Es werden mindestens 10 Millionen Euro nötig werden.“

Über Preis und Umzug der Schweinefarm wird die Regierung nun mit dem Betreiber der Großmast, der Firma AGPI Piselk, verhandeln müssen. Viel Zeit wird dazu nicht bleiben, denn im Juni 2006 stehen die nächsten Wahlen an. „Der Ministerpräsident hat großes Interesse daran, dass für das Problem der Schweinemast in Lety bis Ende dieser Legislaturperiode wenigstens ein Lösungsansatz gefunden wird“, erklärt Sprecherin Orgoníková. Die Firma AGPI selbst hat nichts gegen einen Umzug, beteuert ihr Vorstand Jan Čech, solange das keine finanziellen Einbußen bedeutet. Ein Standpunkt, den das Unternehmen schon seit Jahren einnimmt. Denn der Streit über eine Schweinefarm auf einer Holocaust-Stätte schwelt seit über einem Jahrzehnt inner- und außerhalb des Böhmisch-Mährischen Kessels. Eine bescheidene Gedenkstätte, die 1994 in Lety eingeweiht wurde, bleibt von der Schweinemast überschattet.

Das Lager in Lety wurde am 15. Juli 1940 per Beschluss des Innenministeriums des „Protektorats Böhmen und Mähren“ errichtet und mit Absegnung durch den Reichsprotektor drei Wochen später als „Arbeits-Straflager I“ eröffnet. 1942 wurde es in ein „Anhaltelager für Zigeuner“ umbenannt, von dem aus die Roma Böhmens und Mährens nach Auschwitz transportiert wurden. 90 Prozent von ihnen kamen im Holocaust ums Leben. Im August 1943 wurde das Lager wegen einer Typhusepidemie geschlossen. Die verbleibenden rund 600 Roma wurden per Zug gen Osten geschickt, die restlichen, der Nazi-Lehre nach rassisch reinen Insassen auf andere Lager im Protektorat verteilt, manche gar entlassen. Insgesamt sollen 1.289 Männer, Frauen und Kinder die Tore des Lagers Lety durchschritten haben und 337 an Hunger, Typhus oder Überarbeitung gestorben sein.

Im Frühjahr dieses Jahres hatte das Europaparlament Tschechiens Regierung per Resolution aufgefordert, die Schweinefarm zu verlegen. „Die Regierung sieht, dass man nicht vor der Vergangenheit weglaufen kann“, sagte der grüne EP-Abgeordnete und Initiator der Resolution, Milan Horáček, jetzt erfreut.