Tombola statt Blockbuster

PERFORMANCE Alles wird nur angedeutet, unscharf bleibt das Bild: „Road Movie“ im Autokino „Das Original“ in Schönefeld

Echt jetzt, da rechts geht die Sonne unter, links heben die Flugzeuge ab, hinter mir leuchtet der Mercedes-Stern und vor mir wagen grade die ersten Jungs die Teilnahme am Hula-Hoop-Contest. Vor mir bedeutet, genauer gesagt, vor dem VW, den mir das Performance-Team BigNotwendigkeit geliehen hat, damit ich ihre Produktion „Road Movie“ hören und sehen kann. Denn die wird aufgeführt in einem Autokino am Stadtrand, nahe dem Flughafen Schönefeld.

Die Leinwand wird aufgeblasen, das Publikum an der Einfahrt geteilt. Links die Fans vom Terminator, rechts die Theaterfreunde. Links putzen die Besucher noch selbst ihre Frontscheibe, rechts machen das zwei junge Männer im nostalgischen Outfit eines Tankstellenwarts, sexbetont verknappt. In der Mitte treffen sich alle am Imbiss, husten im Rauch der Hamburger Braterei und kaufen Getränke. Bis zur Dunkelheit dauert es noch, man kann sich derweil einen Petticoat ausleihen für ein Fotoshooting im Straßenkreuzer. Jens Friebe, der später am Keyboard und mit Gitarre die Performance begleiten wird, verlost Tombola-Gewinne – eine Videokassette von „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ oder einen alten Falkplan von Frankfurt. Fast alles ist eine Referenz an die fünfziger Jahre, an die Blütezeit des Autokinos, von Friebe mit gepflegtem Understatement überbracht.

Dann geht es endlich los. Zwei Schauspielerinnen (Doreen Kutzke und Anna-Katharina Müller), deren Stimmen sich sehr ähnlich sind, und ein Schauspieler (Andri Schenardi) sprechen in Mikrofone, man hört sie im Autoradio und sieht sie nur manchmal in dem weiten Gelände. Es dauert, bis aus den Stimmen Figuren werden, auf der Suche alle drei, verloren durch die Nacht irrend, teils mehr Geist als lebendiger Mensch. Esther Becker hat den Text geschrieben und ihre Zwillingsschwester Anna K. Becker zusammen mit Katharina Bischoff die Regie geführt.

Schmerz der Überlebenden

Und um Zwillinge, die verloren gingen, totgeboren oder krank, und wie ein Schatten oder Schmerz die Überlebenden begleiten, geht es auch in den Geschichten, die sich nach und nach aus den Dialogen der beiden Frauen und dem Monolog des Mannes herausschälen lassen. Bei ihm handelt es sich möglicherweise um den Geist von Elvis, der das Weiterleben des eigenen Bildes auf Untersetzern und Feuerzeugen bestaunt und traurige Kindheitserlebnisse an sich vorüberziehen lässt. Zu diesem tastenden Gestus passt, dass im Geviert der Leinwand keine Filmbilder erscheinen, oder zumindest keine konkreten, gegenständlichen, erkennbaren. Etwas Licht und blasse Farben bewegen sich da, manchmal erscheint es wie eine unscharfe Projektion. Einmal liefert der Soundtrack ein Katastrophen-Szenario, da könnte man sich einbilden, auf der Leinwand Autos durch die Luft fliegen zu sehen, dann wird alles wieder abstrakt. Dies ist das Gegenteil von Aktion. Was jetzt wohl gerade die Zuschauer auf der anderen Seite der Leinwand sehen?

„Road Movie“ lebt von der Andeutung, vom Verzicht auf die großen Bilder und starken Behauptungen und setzt darauf, dass die Zuschauer schon genügend Anknüpfungspunkte finden, eigene Pop- und Kinoerinnerungen einzufügen. Man glaubt nicht mehr an die große Erzählung, aber gesteht sich doch zu, sie zu vermissen. Das ist sympathisch in seiner Zurückhaltung, in der Umsetzung teils etwas diffus. Nur ein Teil der Zuschauer, in den Wagen in der ersten Reihe, wird die Schauspieler sehen können, wie sie mit Manuskripten in der Hand in alte Schlitten ein- und aussteigen, ihre Texte lesen oder vor der Leinwand tanzen. Ein bisschen wie auf Probe wirkt das alles, und so ist es wohl auch gemeint. Katrin Bettina Müller

„Road Movie“ wieder 19. Juli, 21 Uhr; Autokino „Das Original“, Hans-Grade-Allee 54; Tickets unter tickets@theaterdiscounter.de