Europäer fliegen zum Höllenplaneten

Wenn alles gut geht, startet diese Woche die erste europäische Raumsonde zum Morgenstern Venus. Die Mission zum Nachbarplaneten der Erde ist heikel. Die Atmosphäre ist so giftig und heiß, dass bisher viele Erkundungen scheiterten

BERLIN taz ■ Einst wurde sie als „Schwester der Erde“ bezeichnet. Inzwischen sprechen Forscher lieber vom „rätselhaften Höllenplaneten“: Die Erde und ihr Nachbarplanet Venus haben zwar fast dieselbe Größe und Masse, ansonsten sind die Bedingungen auf der Venus jedoch alles andere als irdisch oder leiblich.

In der Atmosphäre stürmt es. Es regnet konzentrierte Schwefelsäure und hochgiftige Schwermetallverbindungen. An der Oberfläche herrscht ein Druck wie auf der Erde in tausend Meter Ozeantiefe. Vor allem aber macht ein extremer Treibhauseffekt die Venus zum Glutofen. In Bodennähe ist es im Schnitt 470 Grad Celsius heiß.

Weshalb ist die Venus trotz einer ähnlichen Entstehungsgeschichte so anders als die Erde? Wie funktioniert ihr Treibhauseffekt? Gibt es noch aktive Vulkane auf der Venus? Den Antworten auf diese Fragen hoffen europäische Wissenschaftler mit Hilfe der ESA-Raumsonde „Venus Express“ näher zu kommen – der ersten europäischen Venus-Mission.

Sie soll diesen Mittwoch mit einer Sojus-Fregat-Rakete vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan starten. Die 1,27 Tonnen schwere Sonde wird die Venus nach 162 Tagen Flugdauer erreichen und Mitte April nächsten Jahres in eine Umlaufbahn um den Planeten einschwenken. Dann sollen die sieben Messinstrumente der Sonde die Venus siebzehn Monate lang erforschen.

Ziel ist vor allem, ein Bild vom Aufbau und der Funktionsweise der Venus-Atmosphäre zu bekommen. Daneben sollen die chemische Zusammensetzung der Venusoberfläche und mögliche vulkanische Aktivitäten auf dem Planeten untersucht werden. Mit 220 Millionen Euro Kosten ist die Mission vergleichsweise billig.

Obwohl es seit Anfang der Sechzigerjahre 31 Missionen zur Venus gab – von denen viele scheiterten –, ist das Wissen über den Planeten bislang dürftig. Grund dafür sind die schwierigen Umweltbedingungen der Venus, die an Forschungsmissionen extrem hohe technische und Materialansprüche stellen. Die dichte Atmosphäre, die zu 96 Prozent aus Kohlendioxid besteht, verhindert einen Blick auf die Oberfläche mit herkömmlichen Teleskopen. Die bisherigen Landegeräte überlebten den hohen Druck und die hohe Temperatur am Boden nur maximal eine Stunde.

Immerhin gelangen der Sowjetunion mit ihrem Venera-Programm in den Siebzigerjahren mehrfach erfolgreiche Landungen. Im Oktober 1975 funkte Venera 9 die ersten Fotos von der Venus-Oberfläche – sie zeigten eine flache, von Gesteinsplatten übersäte Wüste. Erst seit Mitte der Neunzigerjahre liegt überhaupt eine physische Oberflächenkarte der Venus vor, erstellt durch die Magellan-Sonde der Nasa, die den Planeten von 1990 bis 1994 mit einem Radar kartografierte.

Über die Ursachen für viele Venus-Phänomene können Wissenschaftler bisher nur spekulieren. Der Planet dreht sich extrem langsam um seine Achse – ein Venustag dauert 243 Erdentage –, während die Atmosphäre des Planeten sechzig Mal so schnell rotiert. Die Venus-Oberfläche weist nur wenige Krater auf und scheint nirgendwo älter zu sein als 600 bis 700 Millionen Jahre. Möglicherweise wurde sie durch globalen Vulkanismus oder ein anderes globales Katastrophenereignis komplett neu geformt.

Besonders mysteriös ist die Venus-Atmosphäre: Keine Theorie kann bisher ihre Bildung und Zusammensetzung schlüssig erklären. Manche Forscher halten es sogar für möglich, dass in der Venus-Atmosphäre exotische, hitze- und säureresistente Bakterien-Kolonien leben.

Zumindest einige dieser Rätsel verspricht die ESA mit ihrer Mission zu lösen. Motto: „Europa lüftet den Schleier der Venus“.

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