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Kommentar Urteil im Auschwitz-ProzessEin Vorbild in Rechtsstaatlichkeit

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Stets scheute die Justiz die Auseinandersetzung mit NS-Verbrechen. Mit dem Urteil gegen Oskar Gröning ist damit jetzt Schluss. Endlich.

Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen: Gröning am Mittwoch nach dem Urteil. Foto: dpa

E s ist nicht wichtig, ob der zu vier Jahren Haft verurteilte 94-Jährige Oskar Gröning auch tatsächlich ins Gefängnis kommen wird. Wichtig ist das Urteil an sich. Das Landgericht Lüneburg hat an diesem Mittwoch Rechtsgeschichte geschrieben – und das gleich in mehrfacher Hinsicht.

Das Urteil hat Schluss gemacht mit einer jahrzehntelang geübten juristischen Praxis, nach der im Falle von nationalsozialistischen Tätern eine Beihilfe zum Mord nur dann als strafbar galt, wenn dem Betroffenen ein individueller Mord nachgewiesen werden konnte. Weil aber genau das in einem NS-Vernichtungslager wie Auschwitz kaum nachweisbar war und ist – schließlich waren fast alle potenziellen Zeugen der Mordmaschine zum Opfer gefallen – gingen Tausende der sogenannten Direkttäter in der Bundesrepublik straffrei aus. Diese juristische Praxis war einerseits bequem, sparte sie der Justiz doch eine Menge Verfahren nebst bohrender Nachfragen.

Andererseits manifestierte sie himmelschreiendes Unrecht. Wer das Einbruchswerkzeug für einen Bruch besorgt, ist selbstverständlich mitschuldig, genau wie derjenige, der einen zum Mord entschlossenen Menschen so lange verbirgt, bis dieser seine Tat ausführen kann.

Nur für die Täter in NS-Vernichtungslagern, wo der Mord industriemäßig durchgeführt worden ist, sollte diese Regelung nicht gelten – nicht für die Besatzungen auf den Wachttürmen, nicht für die Schreibtischhengste, schon gar nicht für die Lokomotivführer, die ihre menschliche Fracht in Auschwitz oder Treblinka ablieferten.

Willfähige Mediziner und lahme Staatsanwälte

Damit immerhin ist jetzt Schluss. Dabei war die Weigerung der Justiz, Beihilfe zum Mord auch als solche vor Gericht zu bringen, nur eine Facette, um eine Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen zu verweigern. Man denke nur an den angeblichen „Befehlsnotstand“, nach dem die Täter angeblich gezwungen waren zu morden, um nicht selbst von ihren Vorgesetzten getötet zu werden. Historiker haben mit dieser Geschichtsklitterung längst aufgeräumt. Wer sich weigerte zu töten, lief allenfalls Gefahr, strafversetzt zu werden, oft aber nicht einmal das.

Das Verfahren gegen Oskar Gröning war ein Vorbild an Rechtsstaatlichkeit. Nur zu gerne bemühten sich Gerichte, ein NS-Verfahren schon vor Beginn eines Prozesses im Sande verlaufen zu lassen – etwa durch so schleppende Ermittlungen, bis der Angeklagte nicht mehr prozessfähig oder verstorben war. Mit Eifer betrieben manche Verteidiger eine Verschleppung des Verfahrens. Viel zu häufig fanden sich willfähige Mediziner, die den Tätern bescheinigten, kurz vor dem Herztod zu stehen – manche dieser Männer durften danach noch jahrzehntelang ihren Lebensabend genießen. Es gab lahme Staatsanwälte, allzu verständnisvolle Richter, ermattete Nebenkläger, vor allem aber Angeklagte, die alles, aber auch alles abstritten (was ihr gutes Recht war).

Der Dank gilt den Nebenklägern und Überlebenden

Nichts von alledem in Lüneburg. Oskar Gröning bestritt seine Tatbeteiligung nicht, wenn er sie auch nicht als strafbewehrt betrachtete. Das Landgericht versuchte nicht, das Verfahren loszuwerden.

Vor allem aber gilt den Nebenklägern Dank, die durch ihre beharrliche Arbeit das Verfahren überhaupt erst in Gang gesetzt haben – allen voran Thomas Walther. Besonderer Respekt aber gilt den Auschwitz-Überlebenden, die in Lüneburg Zeugnis über die Verbrechen abgelegt haben.

Ein Prozess wie in Lüneburg hätte vor 50 Jahren nicht nur Rechtsgeschichte geschrieben, er wäre Beginn einer Flut weiterer Verfahren gegen NS-Täter in Vernichtungslagern geworden. Das ist heute, 70 Jahre nach Ende des NS-Regimes nicht mehr möglich. Nahezu alle mutmaßlichen Täter sind längst verstorben, unbestraft versteht sich.

Gerade zwei Verfahren sind derzeit noch in Deutschland anhängig, doch es bleibt angesichts des Alters der Beschuldigten abzuwarten, ob daraus auch Prozesse werden. Die juristische Auseinandersetzung mit den NS-Massenverbrechen geht seinem Ende entgegen. Umso wichtiger, dass dieses Ende mit einer deutlichen Klarstellung einhergeht.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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9 Kommentare

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  • Hallo - gehts noch - wieder mal -

    § 94 RStGB am Start?

    Is das nichen bisken vollmundig?!

    seis drum - 2.0

     

    Mit Verlaub – es kann doch nicht an den zwölf Jährchen mehr am Stau liegen -¿!

     

    Aber – nur mal die Kommentare hier – Wie bastelt sich so was Verquastes – Hinten&vorne Verpeiltes zusammen?

    Kapieren tu ichs echt nicht;

     

    Denn das hier schon vielfältig mit unseren einfachen Bordmitteln Gesagte – ließe sich doch mühelos weiter sachlich fortschreiben – und das – sorry Herr Hillenbrand – wäre Ihr Job gewesen. kurz – Vergeigt!

    http://www.taz.de/Kommentar-Urteil-im-Auschwitz-Prozess/!5213502/

  • liebr eine Minute feige, als das ganze Leben tot, ich hätte den Mund hehlaten und wäre mitmarisch, ich bin feige aber ich neidisch neidschh auf alle die gegen dieses Regime und waren, dieser Tage waren die Studenten in München wieder im Gespräch, junge Leute, die ihr Leben opferten, wie steht in der Bibel es gibt keine grössere Liebe, als wenn er sein Leben für sein Freunde gibt, Scham müsste uns all beherrschen, dass in unseren HasefussHerzen die Angst nagt; aber so sind wir Menschen halt. in der Masse alles Helden allein arm und jämmerlich !

  • die granden der "ss" (z.b. schleyer) daran störte sich niemand. ein herr filbinger als marinerichter mit unterschrift unter todesurteilen sagte einmal..."was damals recht war kann doch heute doch nicht unrecht sein"...die heutigen gutmenschen mögen mir mal erklären was sie in der zeit damals wohl getan hätten. sich verweigern und an die wand stellen lassen. dies hätten wohl die wenigsten getan, oder??? diejenigen die sich gegen das verbrecherische system aufgelehnt haben, bezahlten dies mit ihrem leben. man sieht ja heute was mit aufklärern oder besser "whistleblowern" passiert. sie werden verfolgt und bedroht. nein, nein, verehrter kommentator. dieses urteil war alles andere als rechtsstaatlich. es war ein auftragsurteil (über das geforderte strafmaß hinaus!!!) um sich wieder mal einzuschmeicheln bei den falschen leuten. wie schon gesagt, nur die allermutigsten hätten sich diesem system entgegengestellt unter einsatz ihres lebens, wenn sie dieses system damals als verbrecherisch erkannt hätten. dieser logik folgend müssten heute alle amerikanischen soldaten vor den kadi gezerrt werden, die sich an verbrecherischen, völkerrechtswidrigen angriffskreigen beteiligt haben. statt dessen geht unsere bundesmutti fröhlich mit den verursachern zum grillfest. toll. ganz (d)toll. mord und völkermord - einmal aus der sicht der sieger und einmal aus der sicht der besiegten. einmal aus der sicht der opfer und einmal aus der sicht der verursacher. verstehe dies wer will.

  • Ich sehe nicht, daß durch das Verfahren ein Vorbild

    an Rechtsstaatlichkeit entstanden sein soll. Eher im Gegenteil. Nachdem jahrzehntelang genügend Prozesse "im Sande verlaufen", gibt man sich mit der Verurteilung eines 94jährigen den generösen Akt einer Scheingerichtsbarkeit. Das ist der Staat, das ist das Vorbild das er gibt. Man kann das als Rechtsystem zusammenfassen.

    Daß zur Bundesrepublik zunehmend kriminelle Rechtsgewohnheiten hinzu gezählt und nicht abgezogen werden, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Der konsequente Leistungsbetrug von derzeit 1,5 Mrd. Euro unter Hartz IV Opfern spricht eine deutliche Sprache. Deshalb bin ich dafür, daß wir die Hosianna Rechtsprechung endgültig abstellen und zu einem vernünftigen Rechtsabgleich übergehen.

  • 2G
    23879 (Profil gelöscht)

    Großer Quatsch. Prozesse wie der Ulmer Einsatzgruppenprozeß beweisen, daß man der Direkttäter durchaus habhaft werden konnte, wenn man wollte. Man wollte aber nicht. Das Problem war nicht juristischer Natur sondern die Tatsache, daß der komplette Justizapparat de facto nahtlos aus dem Dritten Reich übernommen wurde - genau wie Polizei einschließlich Gestapo und EGr-Angehörige, Verwaltungsbeamte, Lehrer und der Eliten in Wirtschaft und Politik sowieso.

     

    Es gibt keinen Grund, zu triumphieren. Das gewollte flächendeckende Versagen der Justiz ist nur ein weiterer Tiefpunkt der dt. Geschichte. Geradezu beschämend. Daran ändern die späten Urteile nichts. Sorry, aber der Kommentar mutet diesbezüglich geradezu naiv an.

    • @23879 (Profil gelöscht):

      Es war ein SCHAUPROZESS. Er war eher ein kleiner Fisch. Die wirklichen Schwerverbrecher der damaligen Zeit gehen frei. Mein Urgroßvater hat als Professor an einer Eliteuni unterrichtet (nach dem zweiten Weltkrieg). Auf der Namensliste standen fast ausschließlich Nazigrößen, welche ihren Reichtum erbeutet oder vermehrt hatten, durch das Naziregime. Die Naziführung durfte ihre Macht, Einfluss und Reichtum behalten: viele arbeiteten als Spitzenpolitiker weiter.

       

      Die wirklichen Verbrecher gehen frei. Sie dürfen alles behalten, was sie erbeutet haben.

       

      Im Guardian-Interview sprach der Anwalt, es sei egal wie lange der Mann bekam - denn niemand wisse ob er nicht eher drei oder fünf Jahre verdient hätte. Das wichtige an dieser Sache sei, dass man ein Symbol setze, dass die KZ's eine "Mordmaschinerie" sei. Mit anderen Worten: es ginge eigentlich nicht um den Mann, sondern einfach darum, ein weiteres Symbol zu setzen.

       

      Hier wird ein kleiner Fisch genommen, der sämtliche Verbrechen auf seine Schultern nehmen muss. Ein System stand auf der Klagebank, nicht ein Mann.

       

      Die Großen gehen natürlich frei. Wo kämen wir denn da hin, wenn wir unsere Politiker und Expolitiker, so wie Finanzgrößen verurteilen oder gar ihre Verbrechergeld wegnehmen?

  • da kann man nur lachen, nein eigentlich nicht mal das, was hier auffällig ist, dass viele dieses Unrecht , die Ermordung von Millionen Menschen, die Versklavung von Millionen so behandelt wird wie bei Rot über die Ampel zu fahren, ja, man lobt jetzt noch eine erurteilung eines alten Mannes als Triumpf der deutschen Rechtsprechung, naja

    http://www.sueddeutsche.de/politik/ns-verbrechen-kaum-bestrafte-mordmaschinerie-1.2559267

  • Und wieder der dicke Stift -

    nicht nur in der Überschrift -

     

    "… Die juristische Auseinandersetzung mit den NS-Massenverbrechen geht seinem Ende entgegen. Umso wichtiger, dass dieses Ende mit einer deutlichen Klarstellung einhergeht."

     

    Das - mit Verlaub Herr Hillenbrand -

    wäre der Fall -

    Wenn 'schland - die

    Bunderepublik Deutschland -

    via Distimo et al -

    Zu seiner Verantwortung gemäß dem

    Londoner Schuldenabkommen stehen würde.

    OHNE WENN & ABER !

     

    &Sein mieses opferverachtendes Spiel

    der juristischen Finten Lügen &

    Täuschungen der Öffentlichkeit

    rückhaltlos beenden würde.

     

    Das Gegenteil ist hingegen immer noch

    &gerade aktuell wieder der Fall.

    Allen voran der Herr Bundespräsident.

     

    vgl http://tazelwurm.de/offener-brief-an-den-herren-bundespraesident-gauck-rechtsanwalt-avvocato-dr-joachim-lau-50122-firenze-via-delle-farine-2/

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Glückwunsch! So lässt sich das 70 Jahre lange Versagen bundesdeutscher Justiz mit einem Schlag schönreden! Und das noch, ohne es tot zu schweigen. Eine inhaltliche Meisterleistung.

     

    Ich spreche hier von einem Urteil mit Alibifunktion. Und als Humanist wird mir nur schlecht, weil ich sehe, dass hier ein Exempel statuiert wurde, das als Inszenierung dem großen Ganzen dienen soll.

     

    Um Gröning ging es bei alledem niemals. Ein Anlass zum Feiern geht anders.