Durchschlupf durch die Welten

KUNST Das Georg Kolbe Museum findet in Skulpturen und Grafiken von Hans Arp den Nabel der Avantgarde

Ausstellungsansicht mit Arpaden (1923), Ellsworth Kellys White Ring (1963) und Schalen-Frucht (1960) Foto: Enric Duch/Georg Kolbe Museum

von Brigitte Werneburg

Er sieht aus wie ein Donut, der kleine schwarze Kreis mit Loch, der verloren auf dem weißen Papier treibt. Und doch er ist der Nabel der Welt – jedenfalls der des Künstlers Hans Arp (1886–1966). Der Nabel folgt auf den Schnurr-Hut und das Meer und ist eine von sieben Arpaden, also sieben Lithografien einer Mappe, die 1923 als fünfte Ausgabe von Kurt Schwitters’ Zeitschrift Merz erschien. Das nachfolgende Blatt zeigt eine Nabelflasche, und 1923/24 entsteht dann auch das Holzrelief vom Nabelhut. Auf einer Porträtfotografie aus dem Jahr 1926 blickt Hans Arp schließlich durch das Nabelmonokel in die Welt.

Der Nabel ist, so schaut es auf dem Merz-Blatt aus, der subjektive Durchschlupf von der materiellen zur immateriellen Welt. Umgekehrt bezeichnet er den Abschluss des Prozesses, in dem in der immateriellen Welt Gedanken und Ideen die Objekte für die materielle Welt entworfen, fantasiert und geplant werden. Ob Nabelflasche oder Nabelhut, der Nabel spricht vom Geborensein. Und weil Hans Arp 1916 im Cabaret Voltaire in der Zürcher Spiegelgasse 1 Dada mit zur Welt gebracht hat, geht der Titel seiner lange überfälligen Einzelausstellung im Georg Kolbe Museum – „Hans Arp: Nabel der Avantgarde“ – in Ordnung.

Ob Nabelflasche oder Nabelhut, der Nabel spricht vom Geborensein

Der Titel ist Programm, insofern die Ausstellung versucht, auf frühe elementare Formen, Symbole und Prinzipien wie das der Kombinatorik im Werk des weltberühmten Bildhauers der Nachkriegszeit zu verweisen, dessen organisch-abstrakten Plastiken ja dann zum kulturellen Mainstream im Bild der 1950er und 1960er Jahre gehören. Wenn also über die Hälfte der insgesamt 42 Exponate aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stammen und es sich in mehr als Zweidrittel der Fälle um plastische Arbeiten handelt, dann gilt es doch „Die statische Komposition“ von 1915, die „geometrische Collage“ von 1918 und den hinreißenden „Pferdevogel“, ebenfalls ein – nun bemaltes – Holzrelief genau im Auge zu behalten. Denn hier findet sich schon die Bildsprache seines spät im Leben, erst mit Ende 40 in Angriff genommenen bildhauerischen Werks.

Nach seinem Tod hat es sich bekanntlich mit kräftiger Mithilfe der Hans-Arp- und ­Sophie-Taueber-Arp-Stiftung mehr als verdoppelt. Die Stiftung hatte dem Land Rheinland-Pfalz, mit dem sie das Arp Museum Rolands­eck begründete, Marmorskulpturen verkauft, die sich als posthum angefertigt erwiesen, worauf sie sie wieder zurücknehmen musste.

2012 besann sich die lange Zeit unwillige Stiftung schließlich eines Besseren und legte endlich ein erstes Bestandsverzeichnis vor, in dem dokumentiert ist, wie viele Fassungen in welchem Material wo und wann entstanden und nachweisbar sind. Damit war der Weg für das Kolbe Museum endlich frei, mit der inzwischen nach Berlin umgezogenen Stiftung Arp für eine Ausstellung zusammenzuarbeiten.

„Stern“ von Hans Arp, 1956 Foto: Stiftung Arp e. V. Berlin/Rolandswerth

Die Frage freilich nach der Zeitgenossenschaft von Georg Kolbe und Hans Arp, die sich an diesem Ort unausweichlich stellt, können die Bronzeskulpturen in den großzügig inszenierten Räumen nicht beantworten. Als Georg Kolbe modern war und eine Skulptur von ihm die Kunst im Barcelona Pavillon von Mies van der Rohes repräsentierte, da war Arp Avantgarde. Und weil auch er, wie sein Freund Schwitters, die Doppelbegabung für Bild und Wort besaß, verschraubte er nicht nur sein Dada-Relief (1917/23), sondern dichtete auch sein „Opus Null“ (1924): „Ich bin der große Derdiedas/ das rigorose Regiment/ der Ozonstengel prima Qua/ der anonyme Einprozent …“

Verbal wie visuell, so lässt es sich in der Ausstellung beobachten, dichtete Hans Arp den Dingen gern menschliche Züge an, schuf er wundersame Hybride aus alltäglichen Gegenständen und arbeitete dabei gern im eher kleinen Format, der „Pferdevogel“ ist nur 18 x 16,5 x 12,5 Zentimeter groß. In den 1930er Jahren, als er mit seiner Frau Sophie Teuber-Arp nach Meudon-Clamart bei Paris gezogen war, begann er seine meist sockellosen Skulpturen zu modellieren. In ihrer organisch-geschwungenen Form muten sie wie etwas überdimensionierte Handschmeichler an. Schön, dass viele von ihnen wie etwa die Marmorskulptur „Aus dem Reich der Gnomen“ (1947) oder der berühmte „Stern“ (1956) ein Loch zum Durchschauen haben und ein Übergang und ein Nabel sind. „Es versäume (also) niemand, Arp zu besichtigen“, wie er selbst in „Weltwunder“ 1917 schrieb.

Bis 11. Oktober, Sensburger Allee 25, Di.–So. 10–18 Uhr, Katalog 18 Euro