Sechs Personen und ein Schrank

Bühne Deutschlandpremiere an der Neuköllner Oper: Aus Barcelona kommt eine mitreißende A-cappella-„Zauberflöte“

Die Königin der Nacht ist eine etwas zickige Kämpferin für Frauenrechte

Wie schön, dass es das Sommerloch gibt! Wenn der einheimische Repertoirebetrieb zum Erliegen kommt, ist endlich Gelegenheit, sich tolle Projekte von außen ins Haus zu holen. An der Neuköllner Oper, die immer für eine Überraschung gut ist, fand am Wochenende die deutsche Erstaufführung einer preisgekrönten katalanischen Musiktheaterproduktion statt. „La flauta mágica“ von der Truppe Compagnia Dei Furbi zeigt furios, dass es unnötig ist, zur Aufführung von Mozarts „Zauberflöte“ den ganz großen Bahnhof anzufahren. Wenn man sich intelligent organisiert, reichen nämlich auch sechs Personen und ein Schrank. Dafür gab es 2014 den „Premio Max“ für die beste spanische Musiktheaterinszenierung.

Gut ist es, wenn zwei der Personen weiblich und vier männlich sind. Hauptsache aber, alle können singen. Denn wo es kein Orchester gibt, muss es durch Stimmbandkraft ersetzt werden. Das fängt bei der Ouvertüre an, die von allen DarstellerInnen gemeinsam im Scat-Gesang („daggadagga-daggadagga-dei!“) bestritten und dabei sogar noch von einem angedeuteten Nonsens-Ballett begleitet wird.

Die Regisseurin Gemma Beltran hat eine sehr eigene Version der „Zauberflöte“ entwickelt, wie sie nur entstehen kann, wenn man keine falsche Ehrfurcht vor dem Material hat. Arien werden nicht ausgesungen, sondern nur zitiert; was bei Mozart verschiedene Musiknummern sind, geht hier im Wirbel der Bühnenhandlung bruchlos ineinander über. Der größte Teil ist eh gestrichen. Endlich einmal ist Tamino kein stolzer Held und Prinzessinnenbefreier, sondern (wirklich sehr komisch: Toni Vinyals) ein eitler Geck, der seine Prinzenhaftigkeit durch albernes Ballettgehopse unterstreicht.

Pamina (Anna Herebia) ist ein selbstverliebtes Gör, die Königin der Nacht (Qeralt Albinyana) eine etwas zickige Kämpferin für Frauenrechte – und Sarastro (Robert González) ein selbstgerechter Macho. Papageno dagegen darf der gleiche Naturmensch sein wie immer, wenngleich in überdrehter Version. Dem sechsten im Bunde, Albert Mora, bleibt es, die meisten männlichen Nebenrollen zu übernehmen. Dafür erhält er einen der wenigen Szenenapplause für seine verlangsamte Version der berühmten Registerarie.

Die Spanier zeigen es uns

Auch das Publikum ist ganz schön beschäftigt: nicht nur, dass permanent etwas passiert; es gilt ja auch noch, die Übertitel mit dem Bühnengeschehen abzugleichen, und wer die originale „Zauberflöte“ kennt, hat natürlich gleichzeitig diesen anderen Musikfilm im Hinterkopf laufen und permanent kleine Überraschungen, wenn wieder eine tradierte Erwartung unterlaufen wird. Die Königin der Nacht zum Beispiel, deren Auftritt üblicherweise mit großem musikalischen Pomp angekündigt wird („Sie kommt! Sie kommt!“), kommt in der Barcelona-Version eben erst einmal nicht, sondern schickt ihre Rache-Arie als Brief. Als sie dann doch noch auftritt, um das zuvor trocken Verlesene mit höchstpersönlichem Gesang zu unterstreichen, greift sie dabei sogar ausnahmsweise zum deutschen Originaltext – und das vermutlich gerade deshalb, weil das urgermanische Wort „Bösewicht“ für die spanische Zunge nun einmal unmöglich zu gestalten ist.

Es öffnet die Augen, wie Gemma Beltrans Inszenierung komische Funken gerade aus jenem Teil der „Zauberflöte“ schlägt, der von Mozart und seinem Librettisten Schikaneder eben nicht komisch gedacht war und den in seinem heiligen Ernst heute eh niemand mehr ernst nehmen kann: dieses hochgeschraubte Pathos, dieses Eingeweihtengefasel, den Sexismus und Standesdünkel. Trotzdem mühen sich deutschsprachige Inszenierungen stets redlich ab, diesem verquasten Überbau irgendwie gerecht zu werden. Da müssen erst die Spanier kommen, um uns zu zeigen, dass das alles gar nicht sein muss.

Mit knapp Eineinviertelstunden Aufführungsdauer ist diese flauta mágica vermutlich eine der kürzesten Zauberflöten aller Zeiten. Auch so ist es ein Parforceritt für die stimmkräftigen DarstellerInnen, die am Ende zu Recht bejubelt werden. Als sie dann alle noch eine Rose bekommen, freuen sie sich so sehr, dass es fast so aussieht, als gäbe es bei ihnen zu Hause nie Blumen bei einer Premiere. Na ja, vielleicht sind manche Dinge auch in Deutschland gar nicht so schlecht.Katharina Granzin

Nächste Vorstellungen: 16.–19.7., je 20 Uhr