Flüchtlinge sollten gerecht auf alle Hamburger Wohngegenden verteilt werden, auch gegen den Willen der Bürger
: Die Hasserfüllten sind überall

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und Befremdlich

von Katrin Seddig

In einigen Orten unserer Republik gibt es derzeit Rumgeschreie wegen Flüchtlingen, die untergebracht werden sollen. Menschen echauffieren sich über andere Menschen, die sie nicht kennen und die sie nicht kennenlernen wollen, echauffieren sich, mit Schaum vor dem Mund, weil die jetzt bei ihnen in der Nähe wohnen sollen. Das passiert dort und dort und es passiert so oft, dass man bald den einen Vorfall nicht mehr vom anderen Vorfall unterscheiden kann. Und schon ist es so, man gewöhnt sich dran.

Die Dummen und die Hass­erfüllten, die sind überall. Die waren schon immer da, die kriechen jetzt nur verstärkt aus ihren Löchern. Man gewöhnt sich natürlich nicht. Man ist entsetzt. Und es gibt eine Gegenbewegung, es gibt Menschen, die Flüchtlingen selbst eine Unterkunft bieten. Es gibt Menschen, die sich vor Flüchtlingsunterkünfte stellen, um die dort Untergekommenen zu beschützen. Mutig ist das.

In Hamburg gibt es auch Gemurre, da wollen Anwohner mehr Mitspracherecht, finden, dass es nicht passt, oder besser woanders, aber insgesamt kommt mir die Situation weniger bedrohlich vor. In einer Großstadt lebt man anders, mehr mit Fremden zusammen, man kennt sowieso nicht den, der auf der Straße an einem vorbei läuft. In Hamburg leben schon immer Menschen vieler Nationalitäten ganz gut nebeneinander. Die Angst vor dem Fremden ist kleiner als in der Kleinstadt, nehme ich an.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz kündigte im Interview mit dem NDR am Montag an, dass die Stadt sich auf viele neue Flüchtlingsunterkünfte einstellen wird müssen, dass Unterkünfte in allen Stadtteilen entstehen werden, auch in den „schickeren“, dass jeder Stadtteil einen Beitrag leisten wird müssen, dass Proteste, konsequenzlos bleiben werden. Gut, möchte man meinen. Aber dann sieht man doch Bilder aus Jenfeld und hört Sätze wie: „Wir wollen die hier nicht haben.“ In Hamburg-Jenfeld wird ein Zeltdorf aufgebaut, neben Rotklinkerbauten, auf der Wiese, im Moorpark. Niemand wäre informiert worden, bemängeln die Anwohner, wie immer.

Informieren kann man sich schon, wenn man will, unter www.hamburg.de/fluechtlinge-unterbringung-standorte/. Da findet man stadtteilgeordnet Angaben über Ort und Art der Unterkunft, Anzahl der jeweils untergebrachten Menschen und eben auch die zukünftig geplanten Unterkünfte. Man kann das machen, sich eigenständig informieren.

Und die, die das nicht können, nicht wollen, nicht in der Lage sind, sich selbstständig zu informieren, die sich immer betrogen fühlen, egal worum es geht, immer benachteiligt, und die immer die gleichen Sätze wiederholen? Soll man die einzeln persönlich informieren? Ich bin dagegen, denn es wird nicht helfen, nur zu mehr Protest im Vorwege führen. Natürlich wäre es schön, wenn Zeltlager auch in Nienstedten und am Rothenbaum errichtet werden. Natürlich bieten sich Harburg und Jenfeld mehr an, als Eppendorf oder die Alsterwiesen, weil die Leute da weniger Familienanwälte haben und Verwandtschaft mit Einfluss.

Eine gerechte Verteilung von Flüchtlingen auf alle Wohngegenden Hamburgs, daran glaube ich nicht. Auch wenn Herr Scholz das anders verspricht. Aber ich bin dafür, dass die Stadt hier autoritär und unbürokratisch Entscheidungen trifft, auch gegen den Willen einzelner Bürger. Denn die haben mit ihrem uninformierten, emotional aufgeladenen Willen schon viel Mist verzapft, zum Beispiel die Schulreform verhindert. Wer hat da alles unter Einfluss von Walter Scheuerl und der Bild zum Nachteil des eigenen Kindes abgestimmt, und versteht es bis heute nicht? Hier geht es aber um mehr, hier geht es um Menschen, die man nur unterbringen kann, es gibt keine andere Möglichkeit. Es gibt keine Möglichkeit der Nichtunterbringung. Da muss nicht drüber diskutiert werden.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin und lebt in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012 bei Rowohlt. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.