piwik no script img

Schlösser sind zum Überlisten da

Frickeleien Lockpicker widmen sich dem schnellen Öffnen von Schlössern aller Art ohne Schlüssel – als sportliches Hobby. Je schwieriger desto besser. Zum harten Kern gehören in Berlin rund 30 Schlösserfreaks

von Moritz Förster

Schon ärgerlich, dass wir Menschen nur über zwei Hände verfügen. Ärgerlich zumindest für die 15 Lockpicker, die sich im Garten der c-base zum gemeinsamen Grillen und Schlösseröffnen an der Spree getroffen haben. Sie müssen sich entscheiden: entweder Bratwurst verspeisen oder ihrem seltsamen Hobby nachgehen – dem gewaltfreien Öffnen von Schlössern ohne Schlüssel. Lockpicking im Fachjargon. Beides gleichzeitig geht nicht. Und das, obwohl Lockpicker Vorzeige-Multitasker sind: „In Sitzungen auf der Arbeit, aber auch in der U-Bahn oder vor dem Fernseher zu Hause auf dem Sofa habe ich gerne ein Schloss in der Hand“, erklärt Clemens Oeltjen von den Sportsfreunden der Sperrtechnik.

Aber Messer, Gabel und Pickset gleichzeitig zu händeln, das schafft auch der erfahrene Lockpicker nicht. Zumal es viel Feingefühl erfordert, um mit den speziellen Utensilien ein Schloss aufzubekommen: Mit ihren dünnen „Picks“, den rund 15 Zentimeter langen, am Ende leicht gewellten Metallstäben, ertasten Lockpicker im Schloss, wann die Stifte darin nachgeben. Gleichzeitig haken sie ihren Spanner mit der anderen Hand im Schloss ein und drehen es auf, sobald die kleinen Stifte im Schloss in der richtigen Position sind.

In Sekunden offen

Einfache Hängeschlösser öffnen erfahrene Lockpicker wie Clemens Oeltjen oder auch sein Vereinskamerad Roland Bunjes in wenigen Sekunden. Während auf der Spree Touristen-Dampfer vorbei tuckern, plauschen die beiden über die Geschichte der Schlösser. „Seitdem Menschen über mehr Eigentum verfügen, als sie bei sich haben, besteht die Frage, wie sie es schützen“, meint Bunjes. Und schon 4.000 Jahre alte Holzschlösser im alten Ägypten beruhten auf der Idee, dass ein Schlüssel Stifte im Schloss so herunter drückt, dass sich das Schloss aufdrehen lässt.

Für hochwertige Schlösser benötigen allerdings auch die beiden Experten mehr Zeit. „Es gibt Schlösser, an denen man erst tage- oder wochenlang üben muss“, sagt Oeltjen.

Kumpane Bunjes hat daher auch einen recht einfachen Tipp für alle Anfänger: „Geduld, Geduld und nochmal Geduld.

Neue Gesichter sind regelmäßig dabei auf den monatlichen Treffen der Schlossfreaks. Menschen, die in die merkwürdige Sportart für Tüftler hinein schnuppern möchten.

Das Öffnen von Schlössern ist eine Mischung aus Rätsel und sportlichem Wettkampf – oder, wie Bunjes es nennt: „Analoges Hacken.“ Er ist seit 2004 Vereinsmitglied bei den Sperrtechnikern. Zum harten Kern zählen in Berlin rund 30 Personen. Die meisten von ihnen sind technisch interessiert. Viele arbeiten wie Clemens Oeltjen als Ingenieur oder studieren im naturwissenschaftlichen Bereich.

Gegründet wurde der bis dato einzige deutsche Lockpicking-Verein 1997 in Hamburg. Seine Ursprünge hat der Sport in der Hacker-Szene. Anfangs fanden auch die seit 1997 ausgetragenen Deutschen Meisterschaften im Rahmen eines großen Hacker-Events, dem Chaos Computer Congress, statt. Kein Wunder also, dass sich die Lockpicker diesmal in der c-base, dem Hort der Hackerszene, treffen.

Lockpicker und Hacker vereint zudem der Drang danach, Sicherungssysteme zu verstehen und zu entschlüsseln. „Ziel ist, das Schloss zu überlisten“, erklärt Bunjes. Für ihn und für Clemens Oeltjen ist der sportliche Erfolg dabei eher nachrangig. „Mir geht es um den Erfahrungsaustausch und darum, neue Schlösser kennenzulernen“, meint Oeltjen, der selber 2003 durch einen Bericht über die Deutschen Meisterschaften auf Lockpicking aufmerksam wurde.

Auf dem jährlichen nationalen Turnier, Höhepunkt der deutschen Lockpicker, tut sich die Berliner Fraktion etwas schwer. So führen zwei Hamburger die Rangliste der erfolgreichsten Lockpicker an. Auf Rang drei folgt mit dem fünfmaligen Deutschen Meister Torsten Quast der erste Berliner.

Lockpicker und Hacker vereint der Drang, Sicherungssysteme zu verstehen

Auf den deutschen Meisterschaften picken Schlüssel-Sportler in fünf unterschiedlichen Wettkampfdisziplinen um Pokale: In der Handöffnung, Hangschlossöffnung, im Freestyle, in der Blitz-Öffnung und Impressionstechnik.

Wer schnell ist, der gewinnt

Die Grundregel ist immer die gleiche: Wer zu lange benötigt, scheidet aus. Wer am schnellsten ist, gewinnt. Eine besondere Herausforderung ist das Impressionieren. Dort muss aus Rohlingen ein passender Schlüssel angefertigt werden.

Während viele Lockpicker zwar wie andere Sportler von der Deutschen Meisterschaft träumen, möchten sie mit einem anderen Titel nichts zu tun haben: Wehe, sie werden als „Schlossknacker“ bezeichnet. Schließlich herrschen strikte Regeln: Fremde Schlösser öffnen die Mitglieder ohne Einwilligung des Besitzers nicht. Polizei und Kriminalbeamte greifen sogar gerne auf die Talente der Vereinsmitglieder zurück – etwa um vermeintlich sichere Schlösser zu testen oder zu analysieren, welche Spuren Diebe hinterlassen. Ohnehin brechen gewöhnliche Diebe und Einbrecher Schlösser und Türen meistens mit Gewalt auf, statt sie feinfühlig zu überlisten.

Um dies zu schaffen ist Zeit, Geduld und Training erforderlich. So ist Clemens Oeltjen an die neugierigen Blicke in der Bahn ebenso gewöhnt wie seines Chefs und Kollegen an seine alltäglichen Schloss-Frickeleien. „Man kann währenddessen sogar besser zuhören“, sagt er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen