„Er betrachtete sich als unpolitisch“

Nachkriegskarriere Der Hamburger Architekt Cäsar Pinnau, Innenausstatter von Hitlers Reichskanzlei, hat ab 1945 für die Reichen klassizistische Villen aber auch hochmoderne Bürohäuser gebaut. Letzteres hatte ihm die Fachwelt bislang nicht zugetraut. Aber eine neue Monographie belegt es

Mal skandinavisch, mal niederdeutsch: Wohnhaus Schliemann in Hamburg von 1956 (l.) und das Schulungsheim Jesteburg (1969–88)  Fotos: Hamburgisches Architekturarchiv

Interview Petra Schellen

taz: Herr Höhns, warum haben Sie ausgerechnet jetzt ein Buch über den Hamburger Architekten Cäsar Pinnau verfasst?

Ulrich Höhns: Maßgeblich befördert wurde das durch die Hamburgische Architektenkammer. Sie betreibt das Architekturarchiv, in dem sich der Pinnau-Nachlass befindet. Zu Lebzeiten seiner 2010 verstorbenen Frau Ruth durfte man ihn nicht wissenschaftlich auswerten. Sie wollte das nicht.

Warum nicht?

Weil zwar bekannt war, dass Pinnau für das Nazi-Regime gebaut hatte, aber im Detail sollte darüber nicht gesprochen werden. Aber jetzt, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, hat die Architektenkammer beschlossen, die Vergangenheit Pinnaus wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Ruth Pinnau hat schon 1993 eine Pinnau-Biographie veröffentlicht. Verschwiegt sie darin seine NS-Vergangenheit?

Nein, aber sie überzieht all das, was er während der Nazizeit tat, mit dem Schleier des Unbedenklichen. Sie behauptet auch, dass er nicht Mitglied der NSDAP war, dabei war er das seit Mai 1937. Er hat sich im innersten Kreis der Machthaber des Dritten Reichs bewegt, sich aber gleichzeitig als unpolitischen Menschen gesehen.

Was hat Pinnau während der Nazizeit gebaut?

Er hat einige Räume von Hitlers Neuer Reichskanzlei sowie Teile der Dienstvilla des NS-Funktionärs Heinrich Himmler ausgestattet. Außerdem entwarf er mehrere Großbauten an der von Hitler geplanten Berliner Nord-Süd-Achse.

Woher hatte Pinnau diese Aufträge?

Von Hitlers Hausarchitekten Albert Speer. Pinnau war allerdings nie fest angestellt wor­d en, sondern immer freischaffend – mit Ausnahme der Organisation Todt und dem von Speer 1943 einberufenen Arbeitsstab für den Wiederaufbau zerstörter Städte.

Wofür steht die Organisation Todt?

Es war eine nach ihrem Chef Fritz Todt benannte kriegsbegleitende Bautruppe, die unter anderem den West- und den Atlantikwall baute. Einer dieser Bautruppen hat Pinnau kurz angehört.

Was baute er damals?

Das ist nicht dokumentiert. Aus Andeutungen in seinen Briefen wissen wir aber, dass es wohl Brücken, Notkonstruktionen und Befestigungsanlagen auf dem Gebiet der heutigen Ukraine waren.

Trotzdem schreiben Sie, dass Pinnau dem Nationalsozialismus „politisch indifferent“ gegenüberstand.

Ja, denn er war in der NSDAP nicht aktiv. Der Parteieintritt war wohl eine Marketing-Maßnahme, um Aufträge zu bekommen.

Hat sich Pinnau in seinen Briefen politisch geäußert?

Er hat sich eher positiv zu den Errungenschaften des NS-Staates geäußert, ihn aber nicht übermäßig gelobt. Er stand dem Regime eher spöttisch gegenüber.

War Pinnau Antisemit?

Ich glaube nicht. Ein Teil seiner Entnazifizierung beruht auf Entlastungszeugnissen jüdischer Handwerker, die während der NS-Zeit für ihn gearbeitet hatten. Sie haben ihm tadelloses Verhalten attestiert. Ich gehe davon aus, dass das keine bestellten Unterlagen waren.

Ulrich Höhns

60, ist freier Architekturhistoriker und -kritiker.

Sein Buch „Zwischen Avantgarde und Salon: Cäsar Pinnau 1906 – 1988. Architektur aus Hamburg für die Mächtigen der Welt“ ist soeben im Dölling und Galitz Verlag erschienen (272 S., 49,90 Euro).

Trotzdem wollte ihn die britische Militärregierung nach 1945 in Hamburg nicht als Kunstprofessor einstellen.

Das lag daran, dass er für Hitler und Himmler direkt gebaut hatte. Das war ein Ausschlusskriterium.

War er damit auch für öffentliche Aufträge gesperrt?

Nein. Aber er brauchte sie nicht, weil er von Anfang an wohlhabende Bauherren hatte. Er war zum Beispiel lebenslang Rudolf Oetkers Hausarchitekt und hat für ihn Fabriken, Wohnhäuser, Verwaltungssitze und Schiffe gebaut.

Waren seine Nachkriegsauftraggeber Altnazis?

Das kann ich nicht beantworten. Der Oetker-Konzern hat seine Vergangenheit erst vor K urzem umfassend erforschen lassen – und da hatte es enge Verbindungen zum NS-Regime gegeben. Ob es die auch bei Pinnaus anderen Auftraggebern gab, weiß ich nicht. Allerdings hat er für die griechischen Reeder Aristoteles Onassis und Stavros Niarchos gebaut, die durchaus in rechtslastige Kreise involviert gewesen waren.

Heißt das, Pinnaus Auftraggeber nach 1945 waren zumindest rechtslastig?

Ich würde das nicht verallgemeinern. Jedenfalls war es die Elite der Hamburger Kaufmannschaft sowie Reeder und Verleger.

War ihnen Pinnaus NS-Vergangenheit egal?

Es kann sogar sein, dass sie ihn genau deshalb haben wollten. Weil sie wussten, das er das Besondere kann, vielleicht war auch ein gewisses Prickeln dabei. Tatsache ist jedenfalls, dass man ihm zugetraut hat, traditionsbewusst und repräsentativ zu bauen. Denn Pinnau hat sich immer als Auftragskünstler verstanden.

Einer, der mal klassizistisch-konservativ, mal modern baute.

Ja, sein Werk hat zwei Seiten. Es gibt einmal das Traditionalistische oder Klassizistische. Er hat viele Villen in diesem Stil gebaut und sich noch 1986 ein Privathaus im Stil des 19. Jahrhunderts errichtet. Andererseits schuf er modernistische Gebäude wie das Hochhaus der Reederei Hamburg Süd und eine Villa im skandinavischen Stil der 1950erJahre. Pinnau konnte in jedem Stil authentisch bauen. Das mag ihm mancher geneidet haben.

Die anderen Architekten?

Möglicherweise. Tatsache ist jedenfalls, dass er in diesen Kreisen nach 1945 Persona non grata war und bis heute als schillernde Figur gilt. Denn dass da jemand unmittelbar nach dem Krieg große Aufträge bekam, ohne sich um Wettbewerbe bemühen zu müssen, hat man argwöhnisch beäugt. Man vermutete alte Seilschaften.

Aber er war nicht der einzige Hitler-nahe Architekt, der nach 1945 weitermachte.

Nein. Auch seine Kollegen hatten für die Nazis gebaut. Nur hatten sie nicht Hitlers Reichskanzlei möbliert, sondern modernen Industriebau betrieben. Der Architekt Rudolf Lodders hat hierfür 1947 den Begriff von der „Flucht in den Industriebau in der NS-Zeit“ geprägt. Was natürlich eine Beschönigung ist, denn Industriebau der NS-Zeit war Rüstungsindustriebau. Lodders selbst hat während des Zweiten Weltkriegs die Bremer Borgward-Fabriken gebaut, die Panzer produzierten. Trotzdem war das nach 1945 kein Thema. Im Gegenteil, einige dieser Leute wurden zu führenden Architekten der Nachkriegsmoderne.

Wie der Architekt der Hamburger Grindelhochhäuser.

Ja, Bernhard Hermkes leitete das Team derer, die die Grindelhochhäuser bauten. Die gelten bis heute als Symbol für den demokratischen Neubeginn Hamburgs. Dabei konnte die Grindelhochhäuser nur jemand bauen, der von solchen Technologien und großen Anlagen Ahnung hatte. Und wer konnte das besser, als jemand, der noch ein Jahr zuvor Rüstungsindustrie gebaut hatte?

Während Pinnau erst nach dem Krieg im großen Stil baute.

Ja. Bis dato hatte er Inneneinrichtungen und Fassaden entworfen. Richtig gebaut hat er erst ab 1947 – in jedem gewünschten Stil, und bei Privatbauten für Jungunternehmer gern mit jener Patina, die Tradition und Vertrauenswürdigkeit suggerierte. Das führte dazu, dass diese Villen so aussehen, als hätten sie schon immer dagestanden.

Und was macht Pinnau heute interessant?

Der modernistische Teil seines Werks, der lange ausgeblendet wurde, weil man es ihm nicht zutraute. Viele Fachleute betrachten etwa das Hochhaus der Hamburg Süd als modernistischen Ausrutscher. Dabei gibt es viele solcher Beispiele.