Klagen für den „wilden Streik“

Klassenkampf In Bremen ziehen Mercedes-Arbeiter für das Recht auf politischen Streik vor Gericht

Nachtschicht im Daimler-Werk Foto: Bernd Weissbrod/dpa

BREMEN taz | Wenn sich vor dem Arbeitsgericht in Bremen heute VertreterInnen von 32 Mercedes-Arbeitern und der Daimler AG zu einem Gütetermin treffen, dann ist das zum Scheitern verurteilt. Denn die Arbeiter klagen gegen Abmahnungen, die ihnen die Leitung des Bremer Werks des Autokonzern wegen eines wilden Streiks ausgesprochen hat. Die wird der Konzern nicht einfach so zurückziehen, und den Arbeitern geht es ohnehin um mehr als eine saubere Personalakte: Sie kämpfen für eine Ausweitung des Streikrechts, für die Möglichkeit, auch außerhalb von Tarifverhandlungen und mit einem politischen Anliegen die Arbeit niederzulegen – und gegen die Vormacht der großen Gewerkschaften.

Ausgelöst wurde der Rechtsstreit Ende 2014: Am 11. Dezember legten über 1.000 ArbeiterInnen der Nachtschicht des Bremer Mercedes-Werks die Arbeit nieder – ein „wilder Streik“. Sie demonstrierten damit gegen die Ausweitung von Werkverträgen und Leiharbeit, nachdem bekannt wurde, dass über 140 Arbeitsplätze aus dem Logistikbereich des Werks an eine externe Firma ausgegliedert werden sollen.

Seit November war es deswegen schon zu mehreren Protest­aktionen und Arbeitsniederlegungen gekommen, mobilisiert hatte vor allem der linke, kommunistische Flügel des Betriebsrates. Erst auf den „wilden Streik“ der Nachtschicht aber reagierte die Werksleitung und sprach an 761 Angestellte Abmahnungen aus. Denn Streik ist in Deutschland nur während Tarifverhandlungen zulässig und wenn eine Gewerkschaft dazu aufruft.

Der Berliner Rechtsanwalt Helmut Platow hält genau das für reformbedürftig. Mit drei Kollegen vertritt er die 32 „wilden Streiker“. Er sagt: „Die europäische Sozialcharta sieht diese Einschränkung nicht vor.“ Tatsächlich deutete das Bundesarbeitsgericht 2002 an, dass die deutsche Streik-Gesetzgebung deshalb zu überprüfen sei. „In Zeiten, in denen der Gesetzgeber das Streikrecht durch das Tarifeinheitsgesetz indirekt einschränkt“, sagt Platow, „muss man das Recht der ArbeiterInnen stärken, sich zusammenschließen zu dürfen.“ Ende Mai hatte der Bundestag beschlossen, dass in einem Betrieb nur noch ein Tarifvertrag gelten soll, und damit die Macht der größeren Gewerkschaften gestärkt.

Platow verweist auf die Geschichte der Arbeiterbewegung: Das Streikrecht sei auf der Straße erkämpft und dann in der Praxis akzeptiert worden – „ganz ohne IG Metall“. Die ist ihm viel zu angepasst: „Sie geben vor, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, und im Hintergrund wird gedealt und auch Werkverträgen zugestimmt.“ Mit dieser Zurückhaltung würde nie etwas erreicht. Für das Recht auf politischen Streik ziehe er notfalls vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Tatsächlich hat die IG Metall den „wilden Streik“ im Bremer Werk von Anfang an missbilligt. Volker Stahmann, der Bremer Landeschef der IG-Metall, nennt das Ganze „eine politische Aktion“ und hält den jahrelangen Gang durch die Instanzen für falsch. Auch er wolle das deutsche Streikrecht der EU-Sozialcharta anpassen, sagt Stahmann, doch so weit wie seine Mercedes-Kollegen geht er nicht: „Wir müssen erreichen, dass man auch bei Gesetzen, die Arbeitnehmerrechte einschränken, streiken darf und nicht nur bei Tarifverhandlungen“, so Stahmann. Aber ein weitreichendes, politisches Streikrecht? Das ginge nicht. Schließlich müsse es immer einen geben, der zum Streik aufrufe, „und das sind normalerweise die Interessenvertreter der Arbeitnehmer“. Stahmann kann nicht gutheißen, dass die Macht seiner Gewerkschaft unterhöhlt werden könnte.

Jean-Philipp Baeck