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Eleganz und Kraft

SKULPTUR Endlich erhält die Bildhauerin Barbara Hepworth eine Retrospektive in der Tate Britain

Barbara Hepworth, „Squares with Two Circles“, 1963 Foto: Tate Britain

Anerkennung und ein Quantum Popularität waren der englischen Bildhauerin Barbara Hepworth zeitlebens wichtig. Da konnte sie sehr deutlich werden: „Since the unveiling of the Hammarskjöld Memorial (gemeint ist die monumentale Bronze vor dem UNO-Gebäude) no sculpture of mine has been seen in New York“, beklagte sie sich 1965 bei ihrer Galerie Marlborough Fine Art, und fügte hinzu: „This is ridiculous, and the first thing to remedy.“ In ihrer Heimat hat es fast fünfzig Jahre gedauert, bis ihr eine große Retrospektive gewidmet wurde. Überfällig bei einer Künstlerin, die zur britischen Avantgarde der 20er Jahre gehörte und gut positioniert war im Kreis der Bildhauer, die das direct carving nach französischem Vorbild adaptierten.

Nun also eröffnet die Tate Britain ihre Werkschau mit einer Fülle von Arbeiten jener frühen Jahre — und nur ein Teil davon ist von Hepworth. Mit Werken von John Eaking (Hepworths Ehemann), Jacob Epstein, Henri Moore, in dessen Schatten sie zu Unrecht stand, und anderen lassen sich die Wurzeln der 1903 geborenen Künstlerin erklären und die modernistische, stark stilisierende Arbeit unmittelbar am Stein. Sie wurde nicht mehr wie bisher an einen nach Vorlage arbeitenden Steinmetz delegiert. Gleichzeitig war auch die Holzbildhauerei, die sonst eher der Folklore oder dem Kunstgewerbe zugeordnet war, vor allem bei den Frauen unter den Künstlern wieder in den kreativen Fokus gerückt.

Nähe und Intimität

Ein gut gemeinter, freilich recht didaktischer Auftakt, der direkt in die spannende Phase von Hepworths Zusammenarbeit mit Ben Nicholson führte, mit dem sie ab 1931 in London zusammen lebte und arbeitete. Sie teilten sich ein Atelier, wieder und wieder taucht in Nicholsons Bildern das markante Profil von Barbara auf, ihre Alabasterskulptur „Two Heads“ erzählt von Nähe und Innigkeit, die Textilentwürfe sind Gemeinschaftsarbeiten.

Es folgen Atelier-, aber auch erste Galerieausstellungen. Das Paar trifft Hans Arp, Naum Gabo, Mondrian, Calder und all die anderen. Die internationale Vernetzung gelingt nicht zuletzt über vielbeachtete, wiewohl in kleinen Auflagen gedruckte Kataloge und Kunstzeitschriften. Ihnen gibt die Ausstellung viel Raum. Sie vermitteln den Eindruck einer Avantgarde, die sich ihrer elitären Rolle gewiss ist. Und die den radikalen, durchaus auch politisch gemeinten Aufbruch fordert. Barbara Hepworth steuert Texte und Abbildungen ihrer inzwischen biomorphen Abstraktionen bei. Mit der formalen Reduktion haben ihre Steinskulpturen an Eleganz und Kraft gewonnen.

In den ersten Kriegsjahren zieht sie mit Mann und Drillingen nach St. Ives in Cornwall, wo Hepworth bis zu ihrem Tod (1975) leben und arbeiten wird. Ihr Atelier ist heute das Hepworth Museum, ein Idyll, das den an die Tate Britain verfügten Nachlass beherbergt. 1943 entstehen hier die ersten fein polierten Holzskulpturen, durchbrochen ausgehöhlte runde Körper, die Innenflächen weiß bemalt, ein strahlenförmig angeordnetes Fadengespinst verstärkt Raum- und Schattenwirkung.

Hepworth war zeitlebens Mitglied der Christian Science. Die dort gelehrte Spiritualität, begleitet von reichlich kruden, philosophisch-metaphysischen Einlassungen, faszinierten sie (wie viele in den Zwischenkriegsjahren), doch ihr ausgeprägter Pragmatismus bewahrte sie vor dem Abdriften ins Irrationale. Ihre antikisch geprägten, heiligen Ernst verströmenden Skulpturen aus nigerianischem Guarea-Hartholz, der Höhepunkt der Präsentation, sind vor allem auch sublime Zeugnisse einer nach ästhetischer Vollkommenheit strebenden Kunst.

Den Abschluss bildet als eher misslungene Mise en Scène ein Pavillon von Gerrit Rietveld, ein von Hepworths großen Bronzeplastiken umstellter Teilnachbau aus der großen Ausstellung von 1965 im Kröller-Müller-Museum in Otterlo. Aus unbekannten Gründen hat man auf die Bronzeplastiken verzichtet, die ab den 60er Jahren in Editionen gegossenen wurden. Freilich, sie dienten einem auf Verbreitung angelegten, sprich: kommerziellen Konzept, gehören jedoch zum auf Messen und Auktionen vielbeachteten Œuvre einer Bildhauerin, die übrigens ihre Position zwischen Kunstschaffen und Muttersein nie im Widerspruch sah.

Ein besonders aufschlussreicher Beitrag dieser Ausstellung ist das umfangreiche Fotomaterial. Hepworth und Nicholson haben quasi ununterbrochen Werke, Ausstellungen und Atelier fotografiert. Dame Barbara hat kleine Collagen gemacht, ihre Raumplastiken ausgeschnitten und in Fotos von Innen- und Außenräumen berühmter Architekten wie etwa Richard Neutra platziert. Eine prima Marketing-Idee, aber auch Beleg für das Raumgefühl einer ambitionierten Bildhauerin. Annegret Erhard

Bis 25. Oktober in der Tate Britain, London

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