Haft für Auschwitz-Buchhalter verlangt

PROZESS Staatsanwalt fordert dreieinhalb Jahre Gefängnis für Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord

BERLIN/LÜNEBURG taz | Im Prozess gegen den ehemaligen SS-Mann Oskar Gröning hat die Anklagevertretung eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert. Gleichzeitig stellte Staatsanwalt Jens Lehmann es aber in das Ermessen des Gerichts, davon 22 Monate als bereits verbüßt abzuziehen.

Gegen den heute 94-Jährigen Gröning hätte bereits viel früher Anklage erhoben werden müssen, sagte Lehmann zur Begründung. Auch Vertreter der Nebenklage sahen es als ein Versagen der deutschen Justiz an, dass 70 Jahre vergehen mussten, bis Gröning vor Gericht gestellt wurde. Nebenkläger Thomas Walther, der ehemalige Auschwitz-Häftlinge vertritt, verzichtete darauf, ein konkretes Strafmaß zu beantragen.

Gröning ist vor dem Landgericht Lüneburg wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen angeklagt, weil er in den Jahren von 1942 bis 1944 als SS-Mann im Vernichtungslager ­Auschwitz Dienst getan hatte. Er arbeitete dort als Buchhalter und rechnete für die SS die Devisen ab, die zuvor den ankommenden Juden gestohlen worden waren. Gröning hatte eingestanden, mehrfach an der Rampe des Lagers eingesetzt worden zu sein, als dort die Züge mit den Menschen eintrafen, die anschließend ermordet wurden.

Die Anklage bezieht sich auf den Sommer 1944, als etwa 425.000 ungarische Juden von den Nazis nach ­Auschwitz deportiert wurden und dort größtenteils umkamen. Gröning hatte zu Beginn des Verfahrens eine „moralische Mitschuld“ eingeräumt, sich später auch mitschuldig bekannt. Sein angegriffener Gesundheitszustand lässt vermuten, dass der Greis eine mögliche Haftstrafe nicht mehr antreten muss.

Gröning war einer Anklage jahrzehntelang entgangen, weil die bundesdeutsche Justiz als Mordmerkmal von NS-Tätern den Nachweis einer konkreten ­Tötungshandlung forderte, obwohl dies gesetzlich nicht gefordert war. Deshalb ist ein Großteil der NS-Täter in den Vernichtungslagern einer Bestrafung bis zu ihrem natürlichen Tod entgangen. Klaus Hillenbrand