Ein Wochenende zum Dahinschmelzen: Soundpürierer im Berghain, Stereo Total beim Open Air in Kreuzberg und US Girls, die auch in Einzahl schöne Beatmusik macht
: Gut, dass du das nicht mehr erleben musst, Elvis

Ausgehen und Rumstehen von Jens Uthoff

Es war dieser Tage ja so, dass man stetig meinte, man flösse dahin, würde sich vielleicht einfach so auflösen in der Atmosphäre, als würde der Körper kapitulieren vor dem Klima. Neben Griechenland redete man deshalb auch nur über Flüssigkeiten. Flüssigkeiten, die man in den Körper hineinkippte, Flüssigkeiten, die sofort wieder aus jeder Pore entschwanden. Alles, was man in der Hand hielt, wurde überprüft, ob es auch als Fächer taugen könnte.

Im Vergleich zu dem, was die Folgetage noch bringen sollten, weht am Donnerstagabend im Berghain geradezu ein laues Lüftchen. „Es wird laut“, wird man dort von einem Schild an der Tür bereits gewarnt. Als sei es nötig, darauf hinzuweisen. Lightning Bolt sind zu Gast – das US-Duo, das es mit spartanischer Zweierbesetzung schafft, Manowar und all die anderen, die behaupten, die lauteste Band der Welt zu sein, an die Wand zu spielen. Echte Soundpürierer sind das.Diesem Auftrag suchen sie in der ausverkauften Panorama Bar nachzukommen. Während Brian Gibson und Brian Chippendale auf der Bühne fröhlich auf Bassgitarre und Schlagzeug rumhacken, glaubt man in der Nähe der Boxen, man befände sich in einem elektromagnetischen Feld. Tiefe, doomige Gitarren wabern durch den Raum; es fühlt sich so an, als epilierten sie jedes einzelne Härchen am Körper.

Pogo im Berghain

Ein veritabler Kreis an Pogenden bildet sich – die wohl ehrlichste Art und Weise, sich zu dieser Musik zu bewegen. Ich belasse es dagegen bei hospitalistischem Wippen. Drummer Chippendale, der Tomtom, Becken und Snare mit einem Wahnsinnspensum beackert, hat auch so mit den Flüssigkeiten zu kämpfen: Vor der Zugabe wringt er die Stoffmaske aus, die er während der Auftritte über seinen Kopf gezogen hat – ein kleines Gläschen Schweiß wäre da wohl zusammengekommen. Nach gut einer Stunde verlassen die Künstler erschöpft die Bühne.

24 Stunden später. Zum Dahinschmelzen ist nicht nur der heiße Abend, zum Dahinschmelzen sind auch Stereo Total, die beim Frauenfußball-Fest der Initiative Discover Football auftreten. Vier-, fünfhundert Leute stehen vor der Bühne im Willy-Kressmann-Stadion und hadern nur mit dem schlechten Sound, den die Band charmant umspielt respektive ignoriert. Denn: Man kann auch ohne funktionierendes Mikro „Frrrrrrrrrancoise Cactus“ brüllen und damit die Grand Dame auf der Bühne ankündigen, wie Partner Brezel Göring es auf der Bühne tut.

Es ist also trotzdem lustig, nur leider muss das Konzert um22 Uhr beendet sein. Das Wort „Ordnungsamt“ wird einige Male als möglicher Unheilsbringer genannt. Sind wir nicht in Kreuzberg hier? Man hätte der mit gepunktetem Kleid und Sommerhut bekleideten Francoise Cactus und dem aufgedrehten Göring gerne noch fünf Stunden länger dabei zugesehen, wie sie „Liebe zu dritt“ machen oder „Für immer 16“ sind. Das Gesamtbild auf dem Fest: Gäste von ca. 2 bis 99 Jahren, sehr internationales Publikum, eine hervorragende Abhängatmosphäre.

Weitere 24 Stunden später, weitere 24 Grad heißer? Fühlt sich so an. Es geht nach Charlottenburg ins Haus der Berliner Festspiele. Dort spielt U.S Girls beim Foreign Affairs-Festival. U.S. Girls, Plural, ist nämlich eigentlich nur ein singuläres U.S. Girl, Meg Remy. Die hat lange so nen Knöpfchendreher-Sound gemacht, also mit digitalen Sounds und Samples rumexperimentiert – und darüber wunderbar weltentrückt gesungen.

Ein Paar Elemente davon sind geblieben, inzwischen aber sind Einflüsse früher Beatmusik, Soul und Pop dazugekommen. Remysteht da neben einem Mini­mischpult, einem kleinen Synthesizer und einem Kassettendeck (damit sampelt sie wohl tatsächlich Stücke) – ansonsten tänzelt sie durch den Raum, auch durch die Reihen des Publikums. Ein bisschen „Top of the Pops“-Atmosphäre kommt auf. „The Island Song“ ist ein Knaller, die Coverversion des Spätachtziger-Hits „The Boy is mine“ gegen Ende der Höhepunkt.

Und während Meg Remy Sehnsuchtssongs singt, tupfte ich mir wie Elvis die Stirn ab. Elvis, gut dass du diese Hitze nicht mehr erleben musst.