LeserInnenbriefe
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Griechenland sagt Nein
Griechenland Am vergangenen Sonntag stimmten die GriechInnen gegen die EU-Sparpolitik. Dringend nötig scheinen kühle Köpfe in Athen und Brüssel
Anmaßend
betr.: „Wie die Zündung einer Atombombe“,taz vom 9. 7. 15
Nur ganz selten wurde in denletzten Monaten von Presse und Politikern einmal erwähnt, dass in Griechenland sehr wohl Reformen durchgeführt wurden, zum Beispiel indem 30 Prozent der Staatsbediensten, wie von der Troika vorgeschrieben, entlassen wurden. In Griechenland kommen die Steuern jedoch zu einem großen Teil von ebendiesen Staatsbediensteten, da man von deren Gehälter die Steuern automatisch einbehält. Die Entlassungen haben also direkt zu weniger Steuereinnahmen geführt und gleichzeitig das Heer der Arbeitslosen vergrößert. Dafür wurde monate- und wochenlang auf „den
Griechen“ herumgehauen, die angeblich nur in der Sonne herumlungern und es sich auf unsere Kosten gutgehen lassen. Ihre neue Regierung wurde von Presse und
Politikern umfangreich gemaßregelt, weil sie angeblich nie irgendwelche geforderten Listen und Vorschläge zu EU-Gipfeln und anderen wichtigen Treffen mitbringt und ihre Delegation auch dann noch frühstückend herumsitzt, wenn alle anderen EU-Delegationen schon im Konferenzsaal auf die anmaßenden Faulpelze warten. Die erzeugte
Stimmung führt nun dazu, dass die ewig gipfelnden EU-Vertreter lieber eine Atombombe zünden, als zuzugeben, dass die Austeritätspolitik versagt hat.
MANUELA KUNKEL, Stuttgart
Oh je, oh je
betr.: „Demokratie ohne Hoffnung funktioniert nicht“, taz vom 7. 7. 15
Ob Schirrmacher 2011 (von Jauch am Sonntag des OXI-Referendums verlesen) oder Franziskus im Juni 2015 das Primat der Politik einmahnen, egal, die Politiker, oh je, oh je, sehen sich als Sachwalter der Zeichner der Staatsanleihen, damit das Schuldenkarussell sich weiter drehen kann, und vergessen das politische Projekt Europa. Die Griechen wollen in der EU und im Euroraum bleiben und mit ihrer linken Regierung die Schulden den Möglichkeiten entsprechend abstottern. Das ist mehr, als in den vergangenen fünf Jahren unter Troika-Aufsicht erreicht wurde. Denn in dieser Zeit wurden zirka 30 Prozent im Haushalt eingespart, um zirka 30 Prozent brach die Wirtschaft ein und um zirka 30 Prozent stiegen die Schulden.
Helfen wir Griechenland bei den notwendigen Reformen, helfen wir uns selbst. Erhält die Wirtschaft wieder Richtlinien von der Politik (new deal), kann die Demokratie vor den Krankheitskeimen geschützt werden. 60 Prozent Wahlbeteiligung beim Referendum spricht heutzutage für eine mündige Gesellschaft.
KLAUS WARZECHA, Wiesbaden
Gefühl
betr.: „Das langsame Gleiten in den Grexit“, taz vom 8. 7. 15
Wieso hat man das Gefühl, dass die Griechen nun von Europa fallen gelassen werden? Immerhin haben zirka 40 Prozent für nachweislich ineffektive Sparmaßnahmen gestimmt. Und die anderen haben sich nicht gegen Europa ausgesprochen. Um zumindest die jetzige Wirtschaftskraft zu erhalten, sollte jeder Grieche täglich einen Mindestbetrag abheben dürfen! Warum keine partielle Pleite, die nur US-Rüstungsverträge und US-Spekulanten betrifft, da diese die Situation verstärkt haben?
JANN-O. BACKHAUS, Göttingen
Soziale Misere
betr.: „Das zerrissene Land,taz vom 6. 7. 15
Es ist zu kurz gedacht, wenn wir das Referendum der Griechen als einen antieuropäischen Akt interpretieren, sondern es geht ganz offensichtlich darum, demokratische Werte innerhalb der gesamten EU bewahren und neu definieren zu wollen. Sinkende Einkommen und eine steigende Anzahl von Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben (auch in Deutschland), haben einen wesentlichen Anteil an der länderübergreifenden Solidarität mit Griechenland. Es ist das nicht unrealistische Gefühl, irgendwann selbst in eine solche soziale Misere hinabfallen zu können, die angesichts zunehmender Budgetkürzungen in fast allen Bereichen möglich ist. Lebensqualität ist ein Menschenrecht, das nicht durch ungerecht verteilte Sparmaßnahmen ausgehebelt werden sollte, wo eine Umverteilung der Prioritäten möglich wäre. Die Wirtschaft sollte sich darauf besinnen, den Menschen zu dienen – nicht umgekehrt. Gesundheit und Menschenrechte müssen wieder Vorrang haben vor finanziellen Erwägungen und Rentabilitätsdenken. Wenn diese Haltung selbstverständlich wäre, wäre das Thema Griechenland in diesen Dimensionen längst kein Thema mehr.
BIANKA NAGORNY, Neumünster
Fragen
betr.: „Das langsame Gleiten in den Grexit“, taz vom 8. 7. 15
Bei der medialen Berichterstattung über Griechenland stellen sich mir seit geraumer Zeit folgende Fragen: Wäre es in Deutschland möglich, der Regierung beziehungsweise dem Parlament von EU-Seite vorzuschreiben, welche Politik sie zu machen haben? Was würde das Bundesverfassungsgericht dazu sagen? Wie würde die Bevölkerung reagieren? Und ist Griechenland nicht auch Opfer des EU-Binnenmarktes geworden, weil es beispielsweise Gemüse importiert, das in Griechenland auch wächst/wachsen würde? DAGMAR ELISABETH MEYER, Stegaurach
Rote Karte
betr.: „Das zerrissene Land“, taz vom 6. 7. 15
Das griechische Volk hat der Austeritätspolitik von Frau Merkel, Herrn Schäuble & Co. nachweislich eindeutig die rote Karte gezeigt. Gut und richtig so, denn ein soziales Europa, in dem niemand abgehängt wird, muss gemeinsames Ziel aller EU-Mitgliedsstaaten sein.
Dass es bis heute zwar eine europäische Wirtschafts- und Währungsunion, jedoch keine europäische Sozialunion gibt, ist ein grundlegender Konstruktionsfehler der EU, der dringend behoben werden muss! ELGIN FISCHBACH, Leimen
Signale
betr.: „Mit vorgehaltener Pistole“, taz vom 9. 7. 15
Es ist für die Anführer dieser Politik unerheblich, dass prominente und erfahrene (Nobelpreisträger) Wirtschaftswissenschaftler seit geraumer Zeit eine andere Politik als die der Austerität fordern. Selbst der IWF sendet Signale aus, dass ein Umdenken notwendig ist, um Griechenland zu unterstützen. Und der IWF ist bekanntlich in erster Linie marktkonform ausgerichtet.
Doch es geht nicht darum, Griechenland zu unterstützen. Es geht darum, eine vom Volk über ein Referendum gestützte, sozial ausgerichtete Regierung scheitern zu lassen. Und das mit allen Mitteln. Es könnte zu einer Kettenreaktion in den Bevölkerungen kommen, was unsere momentanen Politiker fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Und diese gleichen Marktschreier lamentieren darüber, dass die Akzeptanz Europas durch die Bevölkerungen zurückgeht, sehen dabei aber ihre eigene Verantwortung dafür nicht ein.
ALBERT WAGNER, Bochum