Griechenland
und die Eurokrise

Am Sonntag entscheiden die Griechen, ob sie die Auflagen
der internationalen Kreditgeber erfüllen oder ablehnen wollen

Wenn die Griechen mit Nein stimmen

Demo gegen die Austeritätspolitik der EU  Foto: Alkis Konstantinidis/reuters

Griechenland
und die Eurokrise

Am Sonntag entscheiden die Griechen, ob sie die Auflagen
der internationalen Kreditgeber erfüllen oder ablehnen wollen

Für die EU gibt es kein Nein

Für den Fall eines Neins müsste die EU wohl ihre Spar- und Reformauflagen fallen lassen, auf die sie sich nach langem Streit geeinigt hatte

Ein Nein ist in Brüssel nicht vorgesehen. Selbst bei weniger umstrittenen Referenden wie zum Lissabon-Vertrag in Irland vor sechs Jahren hat sich die EU über das „No“ hinweggesetzt und einfach nochmal abstimmen lassen. Dies ist in Griechenland allerdings nicht möglich. Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem verlegt sich daher aufs Drohen: Ein Nein werde sowohl Griechenland als auch Europa in eine „sehr schwierige“ Lage bringen.

Die Euro-Granden müssten dann wohl ihre Spar- und Re­form­auflagen fallen lassen. Zudem müssten sie entscheiden, ob sie nun den „Grexit“ wagen oder doch noch eine Einigung mit der Linksregierung in Athen suchen wollen. Zuletzt gingen die Meinungen in Berlin, Paris und Rom dazu weit auseinander.

Vor allem Frankreichs Staatschef François Hollande will Griechenland unbedingt im Euro halten. Kanzlerin Angela Merkel möchte umgekehrt nicht die Verantwortung für einen Rauswurf übernehmen und so den Schwarzen Peter einstecken. Es dürfte daher schnell zu einem Krisengipfel der Euroländer kommen.

Die große Unbekannte bei einem Nein ist die Europäische Zentralbank (EZB). Sie könnte Griechenland sofort von der Geldversorgung abschneiden –oder auf einen EU-Beschluss dringen. EZB-Chef Mario Draghi ist es nämlich leid, immer für die Politik die Eisen aus dem Feuer zu holen; auch er will den Schwarzen Peter nicht einstecken. EB

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Am Sonntag entscheiden die Griechen, ob sie die Auflagen
der internationalen Kreditgeber erfüllen oder ablehnen wollen

Was das Nein für Tsipras bedeutet

Der Regierungschef könnte versuchen, durch den bestätigten Volkswillen ein besseres Verhandlungsangebot der Geldgeber zu erzwingen

Mal davon abgesehen, dass der Druck seitens der Geldgeber und der Finanzmärkte enorm zunähme, hätte Regierungschef Tsipras innenpolitisch zunächst freie Hand bei einem Nein. In diesem Fall würde der Linkspolitiker versuchen, mit Hinweis auf den frisch bestätigten Volkswillen ein deutlich besseres Verhandlungsangebot durch die Geldgeber zu erzwingen. Politische Gegner werfen ihm allerdings vor, er verfolge eine Geheimagenda, nach der das Land aus dem Euro austreten, aber die Verantwortung dafür ausschließlich den Kreditgebern anlasten soll.

Für Konservativen-Chef Antonis Samaras wäre ein Nein am Sonntag eine zweite Niederlage in nur sechs Monaten. Dadurch würde die Nachfolgefrage in der konservativen Oppositionspartei erneut gestellt. Mit oder ohne Samaras würden die Konservativen jedenfalls mit allen Kräften versuchen, eine breite „Front pro-europäischer Kräfte“ unter ihrer Führung zu schmieden. Mit von der Partie wären vermutlich die einst mitregierenden Sozialisten, die sozialdemokratische Partei To Potami, wirtschaftsliberale Splittergruppen und, im Idealfall, auch der eine oder andere europafreundiche Syriza-Politiker.

Druck auf den Präsidenten

Bei einem Nein würde auch der Druck auf Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos wachsen, aktiv zu werden und Zweifel an einem Euro-Austritt Griechenlands zu beseitigen. JP

Die Wirtschaft: Hoffnung oder Horror

Je nachdem, ob Griechenland in diesem Fall im Euro bleibt oder nicht, entwickelt sich die Wirtschaft positiv –oder eben nicht

Zwei Szenarien sind für diesen Fall denkbar. Erstens: Die Gläubiger lassen sich auf neue Verhandlungen ein. Die griechische Regierung setzt die Abkehr von der strikten Kürzungspolitik durch, die Nachfrage im Inland wird angekurbelt, blockierte europäische Fördermittel werden für Investitionen genutzt. Griechenland bleibt im Euro. Unternehmen kurbeln wegen der unsicheren Lage aufgeschobene Investi­tio­nen an.

Das zweite Szenario: Die Gläubiger treiben den „Grexit“ voran, Griechenland ist gezwungen, den Euro zu verlassen. „Das ist das Schlimmste, was der griechischen Wirtschaft passieren kann“, sagt Alexander Kritikos vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin. „Die Folge wäre ein dramatisches Absinken des Wohlstands.“ Es kommt zu Massenverarmung. Der Grexit wirkt wie ein Deindustrialisierungsprogramm. Importe wie Medikamente oder Lebensmittel werden extrem teuer. Große Teile der verbliebenen Industrie sind auf die Einfuhr von chemischen Produkten oder Öl angewiesen. Sie profitieren nicht davon, dass ihre Exporte aufgrund des Grexit billiger werden. „Die Gefahr, dass Griechenland Inflationsraten von 30 Prozent bekommt, ist sehr groß“, sagt Kritikos. „Fachkräfte, Unternehmer und alle, die das Land wirtschaftlich aufbauen könnten, würden abwandern.“ akr