Im Härtefall kein Rausschmiss

BILDUNG Weil das Examen in NRW vor dem Aus steht, fürchten Tausende Studenten die Zwangsexmatrikulation. Nach monatelangem Streit sind jetzt Zugeständnisse in Sicht

Wer zu lange im Hörsaal sitzt, könnte rausfliegen Foto: Julian Stratenschulte/dpa

von Helke Ellersiek

KÖLN taz | Die Zeit drängt, die Panik wächst: In einem Jahr laufen in Nordrhein-Westfalen die ersten Examensstudiengänge auf Lehramt aus. Damit rücken die drohenden Zwangsexmatrikulationen immer näher. Wer bis spätestens 2017 nicht sein Examen auf Lehramt in der Tasche hat, muss in den Masterstu­dien­gang wechseln. Wer das nicht will, weil er dadurch um mehrere Studienjahre zurückgestuft werden könnte, wird exmatrikuliert. Bis zu 13.000 Studierende kann das nach den bisherigen Regelungen treffen.

In Köln wären nach bisherigem Stand besonders viele Studierende betroffen, mehrere Jahre umsonst studiert zu haben, weil Scheine aus dem Examensstudiengang im dortigen Bachelorsystem nicht angerechnet werden.

Nach monatelangem Streit und Protesten der Studierenden erklärten Grüne und SPD jetzt, dass an konkreten Änderungen gearbeitet werde. Laut der schulpolitischen Sprecherin der SPD, Renate Hendricks, suchen die Fraktionen derzeit gemeinsam mit dem Schulministerium von Ministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) und der Universität Köln nach Lösungen.

„Notwendig sind entweder eine Verlängerung der Fristen oder Härtefallregelungen, die die Lebens- und Studienbedingungen im Einzelfall berücksichtigen“, konkretisierte Sven Lehmann, Landesvorsitzender der Grünen. So würden Studierende, die gleichzeitig Kinder oder Angehörige betreuen, eine Verlängerung der Studienzeit gewährt bekommen.

Auch die angehenden Lehrer, die gleichzeitig in Vollzeit arbeiten oder sich politisch engagieren, dürften länger studieren. Bei einer allgemeinen Fristverlängerung würden die Exmatrikulationen auf später verschoben. Eine Jahreszahl wollen die Grünen nicht nennen.

Bewegung war in die Angelegenheit gekommen, nachdem ein Protestbündnis vergangene Woche den Landtagsfraktionen rund 9.000 Unterschriften gegen die Fristen überreicht hatte.

Das Bündnis mit dem Namen „Fristen kippen“ besteht unter anderem aus dem Studierendenzusammenschlusses fzs, verschiedenen Fachschaften und der Wissenschaftsgewerkschaft GEW. Es hatte vor der jüngsten Protestaktion schon seit Jahresanfang Diskussionen veranstaltet, Unterschriften gesammelt und Demonstrationen organisiert. Die Grünen gaben zwischenzeitlich auch zu, dass die Regelungen zu hart seien. Doch zunächst blieben die Feststellungen ohne praktische Folgen.

Im Gesetzentwurf des Schulministeriums wurden im Mai alle möglichen Änderungsvorschläge für die Lehrerausbildung aufgelistet, doch die Fristen für die Exmatrikulationen sollten bleiben. Das fachte den Ärger der Studierenden weiter an: „Ich befürchte, dass uns so lange Reformen versprochen werden, bis es zu spät ist“, sagte eine Studentin gegenüber der taz.

Eine Härtefallregelung, wie sie jetzt im Gespräch ist, würde wenigstens die soziale Ungleichheit entschärfen, unter der Studenten leiden, die sich ihr Studium selbst finanzieren müssen und in Vollzeit arbeiten. Bisher müssen sie genauso zur strikten Frist fertig werden wie alle anderen.

Doch das Bündnis hält die Zugeständnisse dennoch für zu lasch: „Die Härtefälle lösen das Problem nicht, dass wir die nächsten zwei Jahre unter dem Druck studieren werden, aus dem Studium zu fliegen oder sehr viele Prüfungen im Bachelorsystem nachschreiben zu müssen“, sagte Sprecherin Agnes Kamerichs der taz.

Das Bündnis hält die Zugeständnisse für zu lasch

Die Verantwortung den Hochschulen zu geben und auf Einzelfallregelungen zu drängen, fördere die Willkür und liefere die Studierenden der Hilflosigkeit aus, kritisiert auch Sebastian Spicker von „Fristen kippen“. „Studierende mit Angstzuständen müssen ihre Krankheitsgeschichte offenlegen. Das stigmatisiert die, die unter dem Druck leiden, als psychisch beeinträchtigt“, sagt der Kölner Lehramtsstudent im Gespräch mit der taz.

Und selbst wenn die „Härtefälle“ von der Frist ausgenommen würden: Der Zeitdruck für die restlichen Studenten bliebe bestehen und schaffe eine völlig falsche Lernkultur für werdende LehrerInnen, so das Bündnis. Deshalb fordern die Studierenden weiterhin eine gänzliche Abschaffung der Fristen.

Die Fraktionen lehnen das ab: Ein Moratorium würde bedeuten, jahrelang Parallelstrukturen zu erhalten, so die Begründung. Renate Hendricks ist außerdem der Meinung, das Problem hätte „nicht die Relevanz, die von den Studierenden kommuniziert wird“.

Dass 2016 eine Reform des Lehrerausbildungsgesetzes ohne eine Änderung an den Exmatrikulationen verabschiedet werden könnte, schloss Hendricks dennoch aus. „Es gibt ein großes Medieninteresse, und die Ministerien wachen über die Vorgänge. Es wird eine Änderung geben.“ Wie die genau aussieht, muss bis zum Frühjahr 2016 geklärt werden. Dann soll im Landtag über das Gesetz abgestimmt werden.