Berlinmusik

Abseitig
bis seltsam

In Wien ging man früher in den Park, um Tauben zu vergiften. In Berlin, glaubt man den Liedern von Le-Thanh Ho, werden heute immerhin Hasen auf dem Balkon geschlachtet. Es sind seltsame, abseitige, manchmal alptraumhafte Geschichten, die die Singer/Songwriterin da erzählt auf ihrem ersten Album „Elephant“. Elefanten tanzen dort Walzer, „Nachtschwärmer fallen ins Licht“, ein andernmal lässt sich die Ich-Erzählerin in Zellophan einwickeln.

Als Tochter vietnamesischer Bootsflüchtlinge in München aufgewachsen, nun in Berlin lebend, hat sie als Teenager mit der Musik in einer Ska-Punkband angefangen, trat danach in Musicals auf, hat Schauspiel studiert, durfte schon in einem „Tatort“ mitspielen und hat mittlerweile auch Liederpreise gewonnen. Die Süddeutsche Zeitung bescheinigte ihr „tiefschürfende Seelenarbeit“, und das Deutschlandradio fand, in den Liedern der 27-Jährigen, würden „Stilmittel des Film Noir auf Marlene Dietrich treffen“. Das ist nicht falsch, denn tatsächlich gelingt es Le-Thanh Ho, während ihre Band meist nur das Allernötigste auf Gitarre oder Klavier spielt, den französischen Chanson mit bösen Wiener Liedern zu verschränken.

Mit ihren Texten, die von Fluchten und Liebe, von Ängsten und auch mal von S/M-Fantasien erzählen, platziert sie sich mutig im dunklen Niemandsland zwischen Francois Villon und Ludwig Hirsch. „Ich kann den Regen sehen, bevor er fällt“, singt sie, und wie sie die Todesanzeigen studiert, aber die Verzweiflung wird dann doch immer wieder aufgebrochen von einer heillosen Romantik, der zwar jede Ironie abgeht, die aber sehr wahrhaftig klingt.

Auch ein Singer/Songwriter, aber ein grundsätzlich anderer, ist Richard Lenz. Nicht nur die Musik ist auf seinem neuen Album „Gedankenfetzen“ viel aufgeräumter mit kräftigen Gitarren und satten Bläsern, auch in den Texten ist nicht viel Platz für Tiefe. Lieber übt sich Lenz in hübschen Wortspielen und ironisch gebrochenen Redewendungen, stiehlt ganze Pferdeherden und hat auch noch eine humorvolle Antwort auf Grönemeyers Hit „Männer“ geschrieben: „Frauen kommen an die Macht, Frauen kommen überall hin, wenn sie denn kommen, wenn sie mal kommen.“ Nicht die einzige Stelle, in der er sich als Opfer des vermeintlich schwachen Geschlechts inszeniert. Wer einen singenden Männerrechtler benötigt, kann hier fündig werden. THOMAS WINKLER

Le-Thanh Ho: „Elephant“ (Focus/ Rough Trade), Record Release Konzert, 9.7., 20 Uhr, Sputnik Kino

Lenz: „Gedankenfetzen“ (napoleon-music/ Zimbalam)

Galerie

Haus am Kleistpark
: Entwurzelt, verschifft und verhökert: Isa Melsheimers Ward'sche Kästen

Isa Melsheimer: Vorhang (Begründer), 2013, Stoff, Stickgarn (Ausschnitt) Foto: Gerhard Haug

Bevor der englische Arzt Nathaniel Ward um 1830 transportable, vollkommen geschlossene Gewächshäuschen entwickelte, die Bewässerung unnötig machten, schaffte die für botanische Sammlungen erbeuteten Pflanzen, von denen nur sehr wenige den langen Seeweg überstanden, viele Probleme: Wasserknappheit an Bord der Expeditionsschiffe, exorbitante Preise- und Preiskämpfe, natürlich auch eine Ausbeutung von Mensch und Flora in den Übersee-Kolonien. Isa Mels­heimer – gerade mit dem Marianne-Werefkin-Preis ausgezeichnet – bildet in den Ausstellungsräumen des Hauses am Kleistpark diese komplexe, konfliktreiche Geschichte nach – mit selbstgebauten Ward’schen Kästen, in denen Pflanzen wuchern, deren Samen sie in botanischen Gärten rund um die Welt erbeutet hat. Manche dieser Gewächse leben schon drei Jahren. Lichte, bestickte Vorhänge, die Schlaglichter auf Pflanzenkriege und Botaniker werfen sowie ein Raum mit Pflanzen in eigenwilligen Betonformen – Architekturmodelle oder postmoderne Vasen? – komplettieren die Schau. SW

Mitausgestellt: Ina Bierstedt, Hanna Hennenkemper, bis 9. 8., Di.–So. 11–18 Uhr, Grunewaldstr. 6-7

Künstlerhaus Bethanien
: Von bunt bis unsichtbar alles dabei: „Backjumps 20+1“

Thomas Bratzke: „Kind of blue“, 2015 Foto: Stephanie Wurster

Für eine Zeitschrift, die es seit 13 Jahren nicht mehr gibt, ist dieses Graffiti-Magazin ganz schön lebendig: Im Künstlerhaus Bethanien wird – nach 2003, 2005–2007 und 2009 – die fünfte Backjumps-Ausstellung gezeigt, kuratiert von Adrian Nabi und Melina Gerstemann. Es sind einige retrospektive Arbeiten dabei, ein Textilarchiv, Video-Dokumentationen und -Interviews. Einige Arbeiten kommen aus dem im Archiv der Jugendkulturen angesiedelten Graffitiarchiv,mit dem Backjumps schon lange kooperiert, andere sind für die Ausstellung extra produziert worden – wie die „imaginäre Linie“, die Jeroen Jongeleen, der sich als Künstler Influenza nennt, von seinem Atelier in Rotterdam bis zum Sitz des Künstlerhauses Bethanien am Mariannenplatz rennt, 750 Kilometer weit. Einer von vielen Belegen, den die Schau aufbringt, dafür, wie detailliert und liebevoll der Blick der Street Art auf Natur und gebaute Umgebung sein kann. Das Herz von Backjumps 20+1“ ist diesmal das Junior Lab, in dem Workshops mit SchülerInnen stattfinden, im Sommer sogar Ferienkurse. Auf dass die Städte auch in Zukunft bunt bleiben. SW

Bis 2. 8., tgl. 12–19 Uhr, ­Mariannenplatz 2

Einblick (579)

Isa Melsheimer, Künstlerin

:

Isa Melsheimer,1968 in Neuss geboren, studierte an der HdK Berlin und war Meisterschülerin bei Georg Baselitz.In Berlin wird sie von der Galerie Esther Schipper vertreten. 2013/14 verbrachte sie ein Jahr mit einem Stipendium in der Villa Massimo in Rom. Zurzeit stellt sie in Berlin im Haus am Kleistpark aus, in Hamburg im Ernst-Barlach-Haus und ab diesem September im art3 – art contemporain in ­Valence in Frankreich.

taz: Welche Ausstellung in Berlin hat Sie/dich zuletzt an- oder auch aufgeregt? Und warum?

IM: Es gibt eine Arbeit im Stadtraum, an der ich mich schon seit 25 Jahren erfreue, immer wenn ich daran vorbeigehe oder -fahre – seit ich in Berlin lebe. Eine ganz feine, zurückhaltende, fast nebensächliche Arbeit von Norbert Radermacher von 1984: ein kleines achteckiges Häuschen auf einem der abgesägten Brückenpfeiler unter den Yorckbrücken. Inzwischen wächst da eine kleine Birke heraus. Eine andere tolle Arbeit von Radermacher in Berlin: der „Ring“ an der Potsdamer Brücke. Außerdem gefällt mir die Arbeit der brasilianischen Künstlerin Renata Lucas direkt vor den Kunst-Werken in der Auguststraße, eine kleine Verschiebung des Gehsteigs. Es gibt gerade auch eine sehr sehenswerte Ausstellung von ihr in der Galerie Neugerriemschneider, noch bis Mitte August.

Welches Konzert oder welchen Klub können Sie/kannst du empfehlen?Ich war seit Langen mal wieder im SO36 und habe mir die Sleaford Mods angeschaut, und die mochte ich sehr gerne: rotzig, zornig, laut. Manchmal tut das gut. Dieses Jahr spielen sie noch mal in Berlin, im November.

Welche Zeitung/welches Magazin und welches Buch begleitet Sie/dich durch den Alltag?

Ich habe zuletzt „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada gelesen, ein sehr trauriges und schmerzhaftes Buch, das im Berlin der NS-Zeit spielt. Es geht um Korruption, Neid, Denunziantentum, aber auch um den Widerstand, darum, dass es trotz der Möglichkeit des Scheiterns wichtig ist, zu versuchen, mit seinen persönlichen Mitteln etwas zu erreichen. Danach möchte ich unbedingt „Bleeding Edge“ von Thomas Pynchon lesen. Ich fand von Pynchon bis jetzt alles großartig. Ein tolles Buch, in dem ich immer wieder lese, ist die Novelle „Flatland“ von Edwin Abbott Abbott, der sich als Autor A. Square nannte. Darin werden auf einfach verständliche Weise die Dimensionen erklärt, gleichzeitig geht es um Gesellschaftskritik: Die Zweidimensionalität der in „Flatland“ beschriebenen Gesellschaft darf nicht in Frage gestellt werden.

Welcher Gegenstand/welches Ereignis des Alltags macht Ihnen/dir am meisten Freude?

Meine Pflanzen umzutopfen, zu gießen, zu schauen, ob sie gewachsen sind, ob sie blühen; zu sehen, wie verkümmerte Pflanzen wieder schön werden.