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Inklusion Kopftücher sind Teil Neuköllns wie Hochsteckfrisuren, Kippot oder Hüte. Die interkulturelle Initiative Salaam-Schalom fordert die politische Anerkennung dessen

Am Dienstag wird erneut gegen die Ausgrenzung von Kopftuchträgerinnen demonstriert Foto: Gregor Zielke

IntervieW Sybille Biermann

Das muslimische Kopftuch: beliebter Aufreger, Projektionsfläche für antimuslimische Ressentiments und Feminismusdebatten und nicht zuletzt: Ausschlusskriterium für Positionen im öffentlichen Dienst. So auch für Betül Ulusoy, Jurastudentin, kopftuchtragende Muslima und Bloggerin. Eine Stelle als Rechtsreferendarin im Bezirksamt Neukölln hätte sie bei Beharren auf ihr Tuch nur bedingt antreten können. Also lehnte sie ab. Dem Streit liegt das in Berlin seit zehn Jahren geltende Neu­tralitätsgesetz zugrunde, nachdem Beschäftigte im öffentlichen Dienst keine sichtbaren religiösen Symbole tragen dürfen. Im März hatte das Bundesverfassungsgericht das Gesetz zumindest für Lehrerinnen eingeschränkt.taz: Ihr ruft am 14. Juli zu einer Demo für ein inklusives Neukölln auf. Bezieht ihr euch dabei direkt auf den Fall Ulusoy?

Rebecca: Als Initiative beschäftigen wir uns viel mit antimuslimischem Rassismus und Diskriminierung insbesondere in Neukölln. Daher war die Basis für eine Beschäftigung mit dem Fall schon vorhanden.

Emine: Wir hatten schon einmal eine Willkommensdemo organisiert, als klar wurde, dass sich die neue Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey ähnlich äußert wie ihr Vorgänger Buschkowsky. Die Demo jetzt geht also auch über den Fall Ulusoy hinaus.Lassen sich die Trennung von Religion und Staat und das Antidiskriminierungsgesetz vereinbaren?

Rebecca: Das Problem ist ja, dass, obwohl sich das Neutralitätsgesetz an alle Religionen richtet, es die Gruppen unterschiedlich betrifft. Einen Nachteil erfahren hauptsächlich kopftuchtragende Musliminnen und theoretisch auch Jüdinnen, die ihr Haar bedecken, wobei mir bisher kein Fall bekannt ist, in dem eine Jüdin von ähnlicher angewandter Diskriminierung betroffen gewesen wäre. Die säkular-christliche Mehrheitsgesellschaft, die vielleicht ein Kreuz um den Hals trägt, ist davon nicht betroffen. Von daher ist der Begriff der Neutralität eigentlich schon unpassend für die Situation, die durch das Gesetz kreiert wird.

Dienstag, 14. JuliZur Unterstützung aller Frauen, ob mit oder ohne Kopfbedeckung, lädt die Salaam-Schalom-Initiative zur Demo: „Kopftücher sind ebenso wie Hochsteckfrisuren, Kippot oder Hüte ein Teil Neuköllns. Wir repräsentieren diesen Bezirk und dieses Land und fordern das Recht ein, diese Repräsentation auch (und gerade) in öffentlichen Ämtern wahrnehmen zu können.“ 18 Uhr, Rathaus Neukölln.

Emine: Viele Politiker, die damals das Neutralitätsgesetz bejaht und sogar dazu beigetragen haben, stehen inzwischen nicht mehr dazu. Wenn Frauen mit Kopftuch im öffentlichen Positionen, als Beamte, in Vorbildrollen nicht vertreten sind, dann ist das eine Ausgrenzung.

Betül Ulusoy spricht auf ihrer Face­bookseite von einer Scheinneutralität. Ihre Schulzeit, schreibt sie, war geprägt von Übergriffigkeiten und Mobbing seitens der Lehrer. Kennt ihr diese Erfahrungen aus dem Neuköllner Kontext?

Emine: Wir hören das immer wieder von Jugendlichen, insbesondere von Mädchen, die Kopftuch tragen, dass sie auf der Straße rassistisch beleidigt werden. In der Schule werden sie häufig unterschätzt. Sie hören Äußerungen wie „Du schaffst das Abi doch gar nicht“, und zwar unabhängig von ihren Noten. Man muss sich mal in diese pubertierenden Jugendlichen reinversetzen: „Dürfen die das, ist das denn normal?“, fragen sie uns. Da gibt es eine große Verunsicherung.Die Debatte um das Kopftuch kommt oftmals wohlmeinend und paternalistisch daher – geht es dem Bezirk hier nicht bloß um die „Befreiung der Frau?“

Rebecca und Emine

Rebecca de Vries, 31, Bildungsprojektkoordinatorin für Flüchtlinge in Tel Aviv und Sprecherin der Salaam-Schalom-Initiative

Emine Erol, 27, islamische Theologin, Ethik und Religionslehrerin und Religionsbeauftragte der Şehitlik-Moschee in Neukölln

Rebecca: Frau Giffey hatte sich zum Beispiel in einem taz-Interview besorgt gezeigt, dass eine Lehrerin, die Kopftuch trägt, Druck auf muslimische Mädchen in der Klasse ausüben würde. Ich finde das ist eine interessante Perspektive. Wenn eine Muslima mit Kopftuch in einer Vorbildfunktion als Lehrerin an einer „normalen“ deutschen Schule unterrichten kann, könnte die Nachricht ja auch eine andere sein. Nämlich, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religionszugehörigkeit und Lebensweise gleichermaßen qualifiziert sind und somit Mädchen und junge Frauen dahingehen bestärken, sich in der Schule zu engagieren.Was könnte die Sichtbarkeit muslimischer Frauen mit Kopftuch auch in hohen öffentlichen Ämtern bewirken?

Rebecca: Das Signal wäre, dass jeder, auch Menschen, die nicht in die Mehrheitsgesellschaft passen, die Möglichkeit hat, wichtige Positionen in der Gesellschaft einzunehmen. Das wiederum motiviert junge Menschen dazu, sich einzubringen. Gleichzeitig würde es die Mehrheitsgesellschaft zwingen, umzudenken.

Emine: Wenn in einem Land jeder vertreten ist, auch in öffentlichen Stellen, dann weiß man, dass es der Gesellschaft gut geht. Das ist doch eigentlich ein demokratisches Prinzip.