„Schon mal sozialistische Kängurus gesehen?“

Tierpark Heute feiert der Tierpark Friedrichsfelde sein 60-jähriges Bestehen. Deshalb wollte die taz Genaueres wissen – und befragte eine Bewohnerin, die es wissen muss. Schildkröte Margot war von Beginn an dabei – und kommt gern ins Plaudern

Der Direktor Heinrich Dathe mit Tier im Jahr 1955 Foto: Jochen Moll/bpk

Interview Claudius Prößer und Plutonia Plarre
und Claudius Prößer und Plutonia Plarre

taz: Margot, Sie sind eine Russische Landschildkröte.

Margot:Nein.

Oh. In der Vorbereitung auf das Gespräch hatten w ir …

Russische Landschildkröte ist ein ganz veralteter Name. Korrekt ist Steppen- oder Vierzehenschildkröte. Meine Art stammt ja auch gar nicht aus Russland, sondern aus Zentralasien. Ich persönlich gehöre der Unterart Testudo horsfieldii rustamovi an und wurde in der Nähe von Oktyabr geboren, das liegt in Kasachstan, östlich des Aralsees, wenn Sie es genau wissen wollen.

Nein, so genau brauchen wir es nicht.

(schweigt)

Entschuldigung, haben wir Sie jetzt gekränkt?

Wissen Sie, ich bin 78 und lasse mir von niemandem das Wort abschneiden. Wobei das ja kein Alter für eine Schildkröte ist. Aber Sie erwähnten vorhin, dass Sie etwas mitgebracht hätten.

Ach ja, selbstverständlich. Hier, bitte, ganz frisch.

Lollo Rosso! (kaut) Jetzt mfragen Sie schon mweiter.

Würden Sie uns kurz erzählen, wie Sie zu Ihrem doch recht … deutschen Namen kamen?

Den habe ich von Margot Honecker.

Ach was.

Ja, sicher. Ich war ein Geschenk. Der Junge, der Erich, der hat mich Margot mitgebracht, da hieß sie noch gar nicht Honecker. Ihren Namen trage ich aber erst, seit ich hier bin, also seit 1955.

Das Gründungsjahr des Tierparks Friedrichsfelde.

Sie sagen es. Am Anfang gab es ja kaum Tiere. 400 Stück. Da war jede Spende willkommen, und Frau Volkskammerabgeordnete – inzwischen hieß sie ja Honecker – hatte nichts Besseres zu tun, als mich loszuwerden.

Hat Sie das sehr mitgenommen?

Nein. Für jemanden mit zoologischen Interessen wie mich ist ein Tierpark die perfekte Umgebung.

Sie sind Hobbyzoologin?

Sagen wir, ich kenne mich aus.

Unter den Erstzugängen waren Tiger aus dem Moskauer Zoo und Hirsche aus Leningrad, später kamen Vietnamesische Hängebauchschweine oder der China-Alligator „Mao“ hinzu. Es heißt, Ho Chi Minh habe den Tierpark 1957 besucht und ihm später das Asiatische Elefantenmädchen „Kosko“ geschenkt. Der Tierpark war voller Osttiere, nicht wahr?

Sie haben sich ja richtig vorbereitet.

Der Tierpark wurde am 2. Juli 1955 als DDR-Gegenstück zum Westberliner Zoo eröffnet. Anlässlich des 60. Geburtstags steigt am Samstag auf dem Gelände in Friedrichsfelde ein großes Familienfest mit Musik, Theater und Führungen.

Der regionale Kindersender Radio Teddy organisiert auf der Freilichtbühne von 11 bis 17 Uhr ein Musikprogramm. Gemeinsam mit Guides können Gäste auf historischen Pfaden den Tierpark neu entdecken und Geschichten und Anekdoten über Tiere hören. Die kostenlosen Führungen finden jeweils um 12 und 14 Uhr statt, die Anmeldung erfolgt vor Ort. Im Affenhaus gibt es eine historische Fotoausstellung; im Schloss einen Film über den früheren Direktor Heinrich Dathe.

Andreas Knieriem, derzeitiger Direktor der Hauptstadtzoos, möchte den Tierpark für 93 Millionen Euro sanieren. Auch attraktivere Angebote für die Besucher sollen geschaffen werden. Der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses wird nach der Sommerpause über den Antrag beraten. (taz)

Na ja, im Rahmen unserer Möglichkeiten.

Trotzdem stimmt es nur bedingt. Sehen Sie, Dombo, eine der ersten Asiatischen Elefantenkühe, kam von Hagenbeck. Und der erste Afrikaner, Hannibal, stammte aus dem Opel-Zoo im Taunus. Also, es waren ganz sicher nicht alle aus dem Osten. Das hätte ja auch gar nicht funktioniert. Haben Sie schon mal sozialistische Kängurus gesehen?

Nein.

Aber Sie haben recht, die Verbindungen zur SU und China waren natürlich viel besser als in jedem Westzoo. Und auch besser als die zwischen Moskau und Peking. Deren Zoos haben oft Tiere über den Umweg Friedrichsfelde getauscht. Und die Tierparks im Westen haben sich hier gegen Devisen mit asiatischen Tieren eingedeckt.

Lustig, dass Sie „SU“ sagen. Aber Sie haben ja in der DDR gelebt.

Ich habe sie überlebt.

Kannten Sie Heinrich Dathe, den Tierpark-Chef, eigentlich persönlich?

Natürlich. Er hatte wenig Zeit, aber immer ein Blättchen Salat für mich übrig.

Dathe war die gesamte Zeit bis 1990 Direktor und sehr populär …

Die Menschen haben ihn geliebt, ja. Obwohl er in der NSDAP gewesen war. Aber das waren ja einige, und er hat es immerhin offen zugegeben. Alle haben seine Radiosendung gehört, „Im Tierpark belauscht“. Später trat er auch im Fernsehen auf. „Prof. Dr. Dr. Dathe“, haben immer alle gesagt. Nur der Klös hat ihn nicht ausstehen können.

Heinz-Georg Klös, der ebenso langjährige Westberliner Zoo-Chef?

Ja, der. Die beiden konnten einfach nicht miteinander. Der Klös war doch sauer, dass unser Tierpark so erfolgreich war. Am Ende hat er seine eigene Zoo-Sendung gemacht, im Sender Freies Berlin …

… dem SFB …

… und die lief sonntags genau zur selben Uhrzeit! Na, wir haben das hier ja nicht gehört.

Dathes Sohn Falk arbeitet heute noch in Friedrichsfelde.

Richtig, als Kurator für Lurche und Kriechtiere. Er ist quasi mein Vorgesetzter. Wobei ich „Kriechtier“ ein furchtbar hässliches Wort finde, ich bevorzuge „Reptil“.

Sind das nicht Schlangen? Also Reptile?

(kaut heftig)

„Ich kann mich beim besten Willen nicht an den Namen erinnern“

Margot über Tierparkdirektor Blaszkiewitz

Verzeihung.

Sie sollten mal häufiger in den Tierpark kommen, wenn es mit Ihren Grundkenntnissen so dünn aussieht. Erstens heißt es „Reptilien“, und zweitens gehören dazu natürlich auch Schlangen. Genau wie Schleichen, Skinke, Geckos, Leguane. Und das sind nur die Echsen. Zu den Reptilien gehören aber auch die Krokodile, wir Schildkr…

Im Tierpark gibt es ja auch eine sogenannte Schlangenfarm.

Ich habe davon gehört.

Stimmt es, dass das die offi­zielle Serumproduktionsstätte der DDR war?

Ja.

Lassen Sie uns über die späteren Jahre sprechen. Bis in die Achtziger hinein wuchs der Park immer weiter, es entstanden neue Tierhäuser, zuletzt das 1989 eröffnete Dickhäuterhaus mit dem tollen Seekuhbecken.

Das wurde erst 1994 gebaut, da war schon der andere dran.

Der andere … Sie meinen Bernhard Blaszkiewitz, Dathes Nachfolger?

Ich kann mich beim besten Willen nicht an den Namen erinnern.

Aber Blaszkiewitz war doch auch über 20 Jahre lang Tierpark-Chef, von 1991 bis 2014!

Wenn Sie das sagen.

Sie mochten ihn nicht.

Margot,

Foto: ap

78, kam als junge Steppenschildkröte aus der damaligen Sowjetrepublik Kasachstan in die DDR. Im Jahr 1955 zog sie in den Tierpark Friedrichs­felde. Das alles ist natürlich ein bisserl gelogen. Aber der Rest stimmt.

Es gab da die Geschichte mit den verwilderten Kätzchen, denen er 1991 die Hälse umdrehte. Seitdem habe ich auf meinen eigenen Hals noch besser aufgepasst als sonst. Ich bin ja nur eine hundsgemeine Steppenschildkröte. Nichts Exotisches wie so ein Sichuan-Takin, mit dem man sich brüsten kann.

Was ist das denn für ein Tier?

Eine Art große Ziege. Unwichtig.

Was halten Sie von den Plänen des neuen Tierparkchefs Andreas Knieriem zur Modernisierung der Anlagen? Kennen Sie Knieriem überhaupt schon?

Ach, der Neue. Wir sind uns noch nicht begegnet. Aber größere Anlagen sind nie falsch. Ich meine, ich brauche ja nur ganz wenig Platz. Aber ein Amurleopard? Das Alfred-Brehm-Haus wurde schon 1963 eröffnet, und so sieht es heute noch aus. Das sind immer noch geflieste Käfige.

Haben Sie eigentlich mal von Knut gehört, dem knuddligen Eisbärenstar aus dem Zoo im Westen?

Habe ich. Aber wissen Sie was? Wir hatten hier Björn Heinrich, der wurde schon 1986 mit der Flasche aufgezogen hier im Tierpark. Hat nur keiner mitgekriegt damals, schon gar nicht im Westen.

Margot, herzlichen Dank für das interessante Gespräch. Wir haben einiges von Ihnen lernen können und damit auch über den Tierpark Friedrichfelde.

Keine Ursache. Kommen Sie einfach wieder mal vorbei, ich bin sowieso immer hier. Aber vergessen Sie den Lollo Rosso nicht. Und wenn Sie keinen finden: Rucola geht auch.