Von der Tyrannei des Subjekts

PREMIERE Für Ariel Efraim Ashbels industriell lautstarke Performance „The Empire strikes back: Kingdom of the Synthetic“ im HAU 3 wurden gleich zu Anfang Ohrstöpsel ausgegeben

Wesen, die Fiktion sind, aber nicht unbedingt Science-Fiction: Szene aus „Kingdom of the Synthetic“ Foto: Dorothea Tuch/HAU

von Jens Uthoff

Irgendwann musste der Lärm ja losbrechen. Zum Einlass waren schließlich Ohrstöpsel verteilt worden, die sollten doch wohl eine Bewandtnis haben. Während man dies noch so dachte, crashten schon die Becken, dröhnten die Boxen, klagten und kreischten die Kehlen der Protagonisten auf der Bühne. Ein dunkler Raum tat sich da vor einem auf, man wurde Zeuge, wie auf einem fernen Planeten humanoide oder posthumanoide Wesen mit sich selbst kämpften, gegeneinander kämpften. Der Geräuschpegel dazu: eine Mischung aus indus­triellem Krach und Free Jazz.

Free Jazz ist dabei ein gutes Stichwort. Denn in der Performance „The Empire strikes back: Kingdom of the Synthetic“, die am Dienstagabend im HAU 3 Premiere hatte, spielt Free Jazz auf mehreren Ebenen eine Rolle. Vor allem bildet das Konzept von „Space“, das Free Jazz-Ikone Sun Ra in den Siebzigern formulierte, eine wichtige Grundlage des Stückes. „Space is the Place“, Sun Ras Song aus dem gleichnamigen Film, wurde bei der Premiere des von Ariel Efraim Ashbel inszenierten Stücks somit auch als erstes rezitiert. Und auch die nicht immer kohärenten Bewegungsabläufe der Darstellerinnen und Darsteller, die oft um geometrische Körper herumtänzelten und -zappelten, kamen an diesem Abend oft sehr freejazzig rüber.

Regisseur, Performer und Dramaturg Ashbel, der aus Tel Aviv kommt und in Berlin lebt, hatte sich bereits 2013 in „All White People Look the same to me: Notes on the National Pornographic” mit Identitätspolitik beschäftigt; die aktuelle Performance, die noch für drei weitere Abende am HAU 3 zu sehen ist, kann als Fortsetzung dieses Stücks gesehen werden. Ging es Ashbel damals vor allem um das Fortleben der Strukturen des Kolonialismus im postkolonialen Zeitalter, geht es ihm und seinem 13-köpfigen Team nun um Konzepte von Identität, die sich ausschließlich über das Eigene und das Fremde definieren – daher auch der Bezug zu Sun Ra und dessen „Space“, den dieser als utopischen Raum für die von der weißen Herrschaft befreiten Afroamerikaner verstand.

Es ist ein fulminantes Stück, das Ashbel auf dieser Folie auf die Bühne bringt. Der Planet, den wir Zuschauer im aufgeheizten und schweißgetränkten Theaterraum vor uns haben, sieht so aus: eine große Black Box, in dessen Zentrum schwarze Würfel, Rampen und Quader stehen, die immer wieder neu aufgetürmt und angeordnet werden. Sechs, sieben Bewohnerinnen und Bewohner dieses Ortes, in enge schwarze Ganzkörperanzüge à la Superman gehüllt, jeder mit unterschiedlichen Streifen markiert, schmiegen sich an die Raumkörper, huschen über die Oberfläche, winden sich auf dem Boden. Sie halten Reden in kryptischen, mechanisch-abgehackten Sprachen, sie singen, sie posieren in Gorilla-Gesten, sie liegen halbnackt auf Thronen, die sie sich gebaut haben.

Macht und Herrschaft

Ashbel will die „Tyrannei des Subjekts“ darstellen, wie es in der Ankündigung heißt, und dies gelingt ihm ausgezeichnet. Die Tyrannei des Subjekts ist hier die zwischen den Subjekten: Sie können einander nicht verstehen, sie suchen Macht und Herrschaft zu erlangen – und wenn sie eine Organisationsform finden, so ist dies eine totalitäre: Dann marschieren die Angehörigen dieser neuen Spezies gemeinsam auf, und eine schwarze Fahne wird gehisst.

Ashbel gelingt es, mit vielen verschiedene nEffekten die Probleme dieser Spezies, die Conditio posthumana, wenn man so will, darzustellen: Kleine 10- Watt-­Verstärker rauschen und rollen ferngesteuert nebst einem Mikrofon durch den Raum; die Maschine ist hier genauso autonom wie die Wesen, die sich da mit ihrem neuen Planeten vertraut machen.

Das Spannungsverhältnis unter den Bewohnern wird deutlich, wenn sie sich berühren wollen und – von einem Summen, einer Art Wischgeräusch untermalt – beim Körper des anderen auf eine undurchdringliche Mauer stoßen. Die deutlichste Anlehnung an das Vorgängerstück gibt es, als ein weißer Mann mit Farb­pistolen schwarz gespritzt wird. Neben toller – ebenfalls zuweilen freejazziger – Sound-Untermalung werden auch immer wieder Songs eingestreut, so zu Beispiel „Life on Mars?“ von David Bowie, das von jedem dieser Planetenbewohner in dessen eigener Welt wahrgenommen wird.

Ashbels Stück ist ein gut gelungener Theater-Essay zu den Themen Kommunikation, Herrschaft und Identität. Die Wesen hier, die Fiktion sind, aber nicht unbedingt Science-Fiction, werden als hermetisch, als undurchdringlich dargestellt – die Herrschaftsformen, die sie finden, mäandern zwischen Anarchie und Totalitarismus. Der „Space“ hier ist dystopisch.

Am Ende schreien alle autistisch vor sich hin, der Raum versinkt im Nebel, einer der Bewohner ist an Stangen gefesselt und kann sich nur mühsam fortbewegen. Und die Ohrstöpsel, die zu Beginn ausgeteilt wurden, wünschen sich nun die Planetenbewohner selbst – um die Differenz, die sie trennt, auszuhalten.

„The Empire Strikes Back: Kingdom of the Synthetic”: HAU 3, 2., 3. und 4. 7., jeweils 20 Uhr