Feind & Schläger: Die Schlagkraft der Polizei
Weil er einen Koch auf dem Weg zur Frühschicht krankenhausreif geprügelt haben soll, steht in Bremen ein Zivilpolizist vor Gericht.
Den Satz sagt er in einem Deutsch, das immer ins Unverständliche rutscht, wenn de O. aufgeregt ist. Und er sagt ihn unter Tränen. Als Richter Hans Ahlers noch einmal nachfragt, erklärt de O., „já tentei me suicidar duas vezes“, er gestikuliert. „Er hat zweimal versucht sich umzubringen“, erläutert die Übersetzerin. Ständig habe er Schmerzen seither, Zähne, Ellbogen, Knie, die OP-Narben und dann die Panikattacken.
Ein posttraumatisches Belastungssyndrom hat die Therapeutin diagnostiziert, bei der de O. seither in Behandlung ist. Und als vorne am Richtertisch die Bilder seiner Verletzungen gezeigt werden, die komplett zugeschwollene linke Gesichtshälfte, Jochbeinbruch, Augenhöhlenbruch, Kieferfraktur, Quetschungen, da kann er nicht mehr an sich halten. Die Erinnerung schüttelt ihn. Er schluchzt. Er weint. Seine Anwältin bittet um eine Verhandlungspause. Marcel B. verdreht die Augen.
Er war gar nicht erst mitgekommen, nach vorne, um sich die Bilder anzugucken. Auf der Anklagebank zieht er währenddessen die Stirn hoch und feixt ins Publikum wie ein Schulbub, der gerade eine Gardinenpredigt über sich ergehen lässt. Von der Opferseite ist niemand da, stattdessen bilden zwölf KollegInnen des Marcel B. eine Phalanx. Und deren ermutigende Mimik lässt sich gewiss als Ausdruck schönster Solidarität unter Beamten deuten. Zumal Marcel B. ja wirklich in der Scheiße sitzt. Er ist gleich wegen zweier Rohheitsdelikte angeklagt, von diversen älteren Sachen, die eingestellt wurden, ist auch die Rede.
Und obendrein muss er sich jetzt noch wegen falscher Beschuldigungen rechtfertigen: Schon im Herbst 2012, wirft ihm die Staatsanwaltschaft vor, habe B. einen jungen Mann, Patrick K., grundlos „mit der Faust gegen die Brust“ geboxt. Schmerzhafte Prellungen, Hämatome hat er laut ärztlichem Attest davongetragen. Obendrein habe B. sein Opfer noch verhöhnt und „sinngemäß mit den Worten: Macker, verpiss dich!“ beleidigt. Als Patrick K. ihn daraufhin anzeigte, hat ihn Zivilpolizist B. nach Überzeugung der Ermittler verleumdet.
„Nach Rücksprache mit den unmittelbaren Vorgesetzten des Beamten gab es keine Anhaltspunkte, ihn von seiner Aufgabe abzuziehen“, erklärt die Pressestelle, warum B. auch acht Monate später noch im Dienst ist – und zum Verhängnis werden kann für V. de O.:
Auch in dessen Fall ist von Verhöhnung die Rede. Denn als V. de O., am Boden liegend, „Polícia!, socorro!, polícia!“ ruft und nach seiner Mama verlangt, zückt Marcel B. die Waffe und sagt: „Die Polizei bin ich.“ Und als V. de O. seinem Peiniger droht, ihn anzuzeigen, soll der Beamte ihm bloß „ja, mach‘ das mal“ geraten und gelacht haben – in Anwesenheit der später eingetroffenen anderen Cops.
Davon wissen die nichts mehr. Und sie erinnern sich plötzlich vor Gericht ganz anders als bei den Vernehmungen durch die interne Ermittlung. Als hätten sie ein Skript vom selben Autor, fällt ihnen ein, wie der untersetzte und diabeteskranke Koch sich gewehrt habe: Auf dem Bauch liegend und damit beschäftigt, seine Arme dem Zugriff der Polizei zu entziehen, habe Herr de O. doch auch dem muskulösen Marcel B. an der Jacke gezerrt und diesen arg in Bedrängnis gebracht. Staatsanwalt Udo Stehmeier hat Mühe, sich diese athletische Tat vorzustellen.
V. de O. ist denselben Weg wie jeden Morgen gegangen. Er trägt, wie stets, eine Tasche mit Wechselklamotten bei sich. Es ist regnerisch und zu kühl für Mitte Mai, die Dämmerung beginnt gerade erst, als der Koch Sankt Marien in Bremen Walle passiert. Seine Kapuze hat de O. aufgesetzt, darunter eine Mütze, die ihm Ailton selbst einst geschenkt hat. Um die Ohren zu schützen, hat er Kopfhörer aufgesetzt.
Er nimmt sie ab, als er aus den Augenwinkeln bei der Kirche eine Gestalt gewahrt, so sein Bericht. „Ich dachte, es ist ein Betrunkener“, sagt V. de O.. Also lieber vorsichtig und auf die andre Seite gewechselt. Ach wäre es doch so gewesen! Auch Besoffene sind unangenehm und unberechenbar – aber körperlich meist weniger fit als der Zivilpolizist Marcel B., der da im Gebüsch hockt und Verbrecher jagt.
Wie, das schildern zwei Augenzeugen zwei Jahre nach der Tat weitgehend übereinstimmend: B. verfolgt de O. Er packt ihn. Er traktiert ihn mit Hieben. Der Brasilianer flüchtet. B. setzt ihm nach, er haut wieder zu. Das Opfer stürzt. „Er hat sich ihm auf den Rücken gesetzt“, das hat ein Student beobachtet, der wegen der Schreie ans Fenster getreten ist.
Ein Krankenwagen wird zum Tatort gerufen. Einer der Rettungsassistenten hat lebhafte Erinnerungen: Beim Eintreffen am Einsatzort „herrschte betretenes Schweigen“, schildert er. Die PolizistInnen hätten ihn an „12-Jährige, die beim Klauen erwischt worden sind“ denken lassen In seiner über zehnjährigen Karriere habe er „keinen Fall gehabt, wo jemand nach einem Polizeieinsatz so heftig verletzt war“.
Es soll um 2.40 Uhr einen Einbruchsversuch in einer Gaststätte in anderthalb Kilometern Entfernung gegeben haben. Dadurch habe 50 Minuten später ein Anfangsverdacht gegen Herrn de O. bestanden, stellt ein Kollege von B. fest. „Warum denn?“, fragt Staatsanwalt Stehmeier nach. „Spielte dabei möglicherweise die Hautfarbe des Herrn de O. eine Rolle?“ Aber woher denn. Die Polizei hat nichts gegen Schwarze. Es war bloß so, dass Herr de O. eine Tasche trug, und zu Fuß nachts durch die Straße ging, in der Marcel B. für Sicherheit sorgte.
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