Krachige Bremen-Revue

TANZTHEATER Mit „Ich bin ein Antifant, Madame“ präsentiert die Company Bodytalk gemeinsam mit Bremer Laiendarstellern in der Schwankhalle ein dynamisches Spektakel

Die Inszenierung taucht ab in Bremens Kolonialgeschichte – Schokoküsse werden hier „Herero-Küsschen“ genannt

VON JENS LALOIRE

Wenn man den Saal betritt, ist man augenblicklich mittendrin. Die Darsteller rotieren bereits durch den Raum, ein Marktschreier stolziert mit einer Spendenbüchse durch die Publikumsreihen, und zum Akkordeonspiel wird das Bremenlied gesungen: „In Bremen in Bremen, da lässt’s sich’s gut leben, hier muss man geboren sein.“

Tatsächlich in Bremen geboren sind die drei Laiendarsteller (Finn-Halvar Peters, Franziska Steinhaus und Hella Streicher), die sich nach dem Anfangstumult mit ihren realen Namen vorstellen und erzählen, was Bremen für sie bedeutet. Wer nach der Vorstellung der drei Akteure nun auf biografisch-dokumentarisches Theater à la „Rimini Protokoll“ oder „She She Pop“ hofft, wird erst einmal enttäuscht, denn die Inszenierung taucht stattdessen ab in Bremens Kolonialgeschichte – das jedoch mit viel Kraft, Dynamik und einer ordentlichen Portion derbem Humor.

Während ein Erzähler (Helge Tramsen) poetisch versponnen von der Kolonialisierung Südwestafrikas durch Großkaufmänner wie den Bremer Adolf Lüderitz berichtet, bieten die anderen Akteure eine Choreografie, in der mehreren Dutzend Schokoküssen eine zentrale Rolle zukommt. Die Süßigkeit wird hier „Herero-Küsschen“ genannt; damit wird angespielt auf die Herero, jenem südwestafrikanischen Volk, das von den Kolonialherren erst ausgebeutet und dann in einem Genozid niedergemetzelt wurde.

Die vernichtende Schlacht zwischen Herero und Kolonialtruppen inszenieren die Darsteller in einer spektakulären Performance, die durch Trommeln angetrieben wird. Am Ende triumphiert der auf Stelzen laufende Kolonialherr (Till Bleckwedel) mit einem Unbehagen auslösenden, dreifachen „Sieg!“.

Von der düsteren Kolonialgeschichte geht es zur trostlosen Gegenwart. Die Akteure hocken nach ihren Einkommen gestaffelt in einer Stuhlreihe und berichten davon, mit wie wenig Geld sie über die Runden kommen müssen. Nichtsdestotrotz steigert sich die Gruppe im Anschluss zum New-Order-Song „Blue Monday“ in eine grandiose, energiegeladene Tanzperformance, in der das Ensemble zur Höchstform aufläuft und eine mitreißende Lebensfreude ausstrahlt – hervorzuheben sind dabei die Leistungen der Tänzerinnen Jeanna Serikbayeva und Sylvana Seddig sowie des Tänzers Tim Gerhards, der bis zur vergangenen Spielzeit zum Ensemble von Urs Dietrich gehörte.

Gegen Ende überdreht die Inszenierung allerdings verstärkt. Einige Darsteller, die zuvor bloß verbal die Hosen runterließen, indem sie ihr Einkommen offenlegten, lassen sie nun tatsächlich runter, sodass schließlich fast das ganze Ensemble unten ohne durch die Gegend hüpft.

Zum Schluss gibt es noch den vom Musiker Rafael Weisz live eingespielten Velvet-Underground-Song „I’m waiting for the man“, womit (wie bereits im Titel) auf Peter Zadeks in Bremen gedrehten Kinofilm „Ich bin ein Elefant, Madame“ angespielt wird.

Eine Minirolle in diesem Filmklassiker aus dem Jahr 1969 hatte der Autor und Regisseur Rolf Baumgart. Er ist ebenfalls in Bremen aufgewachsen und im linkspolitischen Milieu der Siebzigerjahre sozialisiert. Inzwischen lebt er nicht mehr in Bremen, sondern in Köln mit seiner Frau, der Tänzerin und Choreografin Yoshiko Waki. Gemeinsam bilden sie die seit Jahren erfolgreich in der freien Szene agierende Company Bodytalk. 2012 haben sie mit ihrem Konzept für „Ich bin ein Antifant, Madame“ den mit 15.000 Euro dotierten Bremer Autoren- und Produzentenpreis gewonnen. Am Donnerstagabend hat Bodytalk die aus dem Konzept entwickelte Produktion in der Schwankhalle uraufgeführt.

Insgesamt überzeugt diese Aufführung. Während das letzte Drittel ein wenig zerfleddert, weil es dauerhaft überdreht und trashig zugeht, beeindrucken die ersten zwei Drittel durch originelle Ideen, kraftvolle Tanzperformances, dynamische Livemusik und überzeugende Darsteller. Die vielleicht ergreifendste Szene in den knapp 70 Minuten ist einer der wenigen reduzierten Momente – die Laiendarstellerin Hella Streicher steht mit einer Alditüte in der Hand ganz allein auf der Bühne, während ihr selbst komponiertes und von ihr eingesungenes Kampflied „Babylon muss fallen“ aus den Boxen dröhnt und verkündet: „Wir sind Menschen, keine Maschinen!“

■ Samstag & Sonntag, 20 Uhr, Schwankhalle