Überall bienenfeindliches Pflaster

Insekten Der Immobilienbau boomt. Immer mehr Brachflächen müssen weichen. Und Grünflächen werden viel zu oft gemäht. Das alles hat Folgen für die Stadtnatur. Die Artenvielfalt ist bedroht, Wildbienen und andere Insekten finden immer weniger Lebensraum

So sieht eine gute Bienenweide für Wildbienen & Co aus – voller Blüten Foto: Paul Langrock/Zenit

von Jana Tashina Wörrle

Grassteppe, dazwischen Büsche, Baumreihen und Schafe. Das ehemalige Flugfeld Johannisthal in Treptow-Köpenick wirkt wie eine riesige Prärie mitten zwischen Neubaublocks. Und unberührbar – denn man kann nicht über die Wiesen spazieren, sondern nur auf einem Rundweg darum herumlaufen. Zäune und Mauern schützen das Naturschutzgebiet vor ungewollten Eindringlingen.

Lange war Christoph Saure nicht mehr hier. Doch jetzt möchte der Tierökologe nachsehen, was sich auf den Sand- und Magerrasenflächen noch so tummelt. Nicht nur das abgezäunte Gelände ist für ihn interessant, sondern auch die Blühflächen ringsherum, auf denen Salbei und andere Wildkräuter, einzelne Ochsenzungen und Wicken wachsen.

Mit dem Kescher auf Jagd nach Wildbienenarten

Saure holt einen Kescher hervor und wedelt damit in schnellen Bewegungen durchs Gras. Noch vor zehn Jahren hat er hier im Naturschutzgebiet in den angrenzenden Pufferzonen – die nicht so strengen Kriterien unterworfen sind wie das Naturschutzgebiet selbst – über 180 verschiedene Wildbienenarten gezählt, darunter viele seltene Arten. Jetzt ist er enttäuscht, nur wenig fliegt und krabbelt über die vereinzelten Blüten.

Zwischen 1991 und 2006 hat Christoph Saure die Flächen jedes Jahr besucht und Gutachten erstellt, die die Artenvielfalt an Wildbienen und Stechimmen – also wilden und selteneren Wes­pen – belegt haben.

Damals waren hier noch rund 130 Hektar unbebaut. 26 Hektar wurden als Naturschutzgebiet festgelegt – nicht nur wegen der Vielzahl an Insekten, sondern auch wegen der artenreichen Vogelwelt. „Leider spielen die Wildbienen in der Bau- und Landschaftsplanung nur eine Nebenrolle, aber immerhin werden sie nicht ganz vergessen“, sagt Saure. Er hat sich auf die wilden Vertreter der Honigbiene spezialisiert und arbeitet als freiberuflicher Tierökologe unter anderem für die Senatsverwaltung.

Auf alten Truppenübungsplätzen fühlen sie sich wohl

Viele Flächen in Berlin hat er schon untersucht und auch immer wieder bundesweit sehr seltene Wildbienenarten entdeckt. Zu seinen Lieblingsorten zählen der alte Truppenübungsplatz in Lichterfelde, das Schöneberger Südgelände und das Fort Hahneberg in Spandau, denn hier gibt es noch viele bemerkenswerte Wildbienen – so wie einst in Johannisthal.

Im vergangenen Jahr hat Saure den Görlitzer Park untersucht und sich gefreut, hier immerhin rund 50 verschiedene Arten zu finden. „Das hätte ich nicht erwartet“, sagt der 55-Jährige, der zugibt, dass die Möglichkeiten, neue oder bessere Habitate für die Wildbienen zu schaffen, in innerstädtischen Parks begrenzt sind.

Denn Wildbienen mögen es wirklich wild und nicht unbedingt so, wie der Mensch sich den Lebensraum vorstellt. Frei stehende, abgestorbene Bäume oder teils bewachsene Sandberge sind ihnen lieber als die meisten der angelegten Insektenhotels oder Dachgärten.

Auf den ersten Blick sieht das Naturschutzgebiet in Treptow-Köpenick für Saure enttäuschend aus, denn eine Grassteppe hat Wildkräuter und Pflanzen, die auf die Bestäubung von speziellen Wildbienen angewiesen sind, verdrängt. Die Schafe haben die Flächen des Naturschutzgebiets radikal bearbeitet. Sie verhindern zwar, dass das Areal mit Büschen zuwächst, aber statt krautiger Pflanzen wachsen Gräser.

Auf einigen Randflächen stehen Schilder von Baufirmen. Der Campus Adlershof wächst und bewegt sich auf das Naturschutzgebiet zu. Wie fast überall in der Stadt wird hier gebaut, was das Zeug hält, und die Brachflächen verschwinden.

Christoph Saure sieht zwar den steigenden Bedarf an Wohnraum in der Stadt, lehnt es aber ab, dass die ökologisch wertvollen Brachen alle zugebaut werden. Dadurch verschwinden nicht nur wichtige Hauptlebensräume für Wildbienen, sondern auch Verbindungs- und Wanderungskorridore.

Neben dem Schwinden von Brachflächen gibt es besonders in der Innenstadt noch weitere Probleme für Wildbienen, Schwebfliegen und anderen Blüten besuchende Insekten – und das, obwohl Berlin im Vergleich zum Umland als Refugium für Insekten gilt, die in der intensivierten Landwirtschaft oft keine Chancen mehr haben, weil sie zu wenig Nahrung finden und Belastungen durch Pestizide ausgesetzt sind.

Mehr bienenfreundliche Bäume pflanzen

Das gilt auch für die steigende Zahl von Honigbienenvölkern, die in der Hauptstadt gehalten werden. Parks, Grünstreifen und andere öffentliche Flächen könnten Insekten noch viel mehr Lebensraum und Nahrung bieten, wenn sie bienenfreundlicher bepflanzt und nach der Blüte gemäht würden. Trachtpflanzen – also Bäume wie Ahorn, Linden und Robinien sowie Sträucher wie Wildpflaumen und Weißdorn, die den Insekten und Bienen Nahrung bieten, sollten häufiger berücksichtigt werden, regt das „Netzwerk Blühendes Berlin“ an.

Auch sollten Straßenbegleitgrün und Mittelstreifen später und nicht so häufig gemäht werden. „Den Pflanzen wird oft gar keine Möglichkeit mehr gelassen, zu blühen, so radikal wird gemäht“, sagt Rainer Kaufmann. Der Ko­initiator der Berliner Regionalgruppe würde sich wünschen, dass in den Grünflächenämtern auch mehr Bewusstsein für die Insekten entsteht und für die Bedeutung der Städte als Rückzugsraum für diese.

Doch wenn es um Blühflächen und den richtigen Zeitpunkt des Mähens geht, müssen in einer so großen und bevölkerungsreichen Stadt wie Berlin viele – auch gegensätzliche – Interessen unter einen Hut gebracht werden. „Die Grünflächen in der Stadt sind in erster Linie für die Menschen da, und die wollen auf Rasenflächen sitzen und keine nassen Hosen bekommen, wenn es regnet. Und wenn lange Gräserrispen und Ranken von Sträuchern auf die Wege ragen und die Pflanzen auf den Mittelstreifen der Straßen zu hoch wachsen, kann es gefährlich für die Autofahrer werden“, sagt Klaus Brockmann. Auf insektenfreundliche Blühzeiten könne hier nur abseits der Straßenränder geachtet werden.

Brockmann ist Fachbereichsleiter der Unteren Naturschutzbehörde in Marzahn-Hellersdorf und kennt den Spagat zwischen den Forderungen beider Seiten. Denn er ist auch Stadtimker und kümmert sich in einer Kleingartenanlage in Charlottenburg um mehrere Bienenvölker.

Deutschlandweit gibt es etwa 560 Wildbienenarten.Rund 300 sind es in Berlin. Anders als Honigbienen leben Wildbienen als Einzelgänger oder nur in kleinen Völkern. 75 Prozent der nestbauenden Wildbienenarten nisten im Boden, der Rest sucht sich Pflanzenstängel, Gänge von anderen Insekten in altem Holz, leere Schneckengehäuse etc.

Die kleinsten heimischen Wildbienen sind nur 3 Millimeter groß, andere Arten haben eine Größe von bis zu 2,5 Zentimetern. Bienen sind die wichtigsten Bestäuber von Wild- und Nutzpflanzen.

Der Flächenverbrauch in Deutschland liegt immer noch auf hohem Niveau, obwohl sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt hat, ihn zu senken. Täglich werden rund 73 Hektar als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen.

Bis 2020 will der Bund den Zubau eigentlich auf 30 Hektar pro Tag begrenzen, doch von diesem Ziel ist sie weit entfernt. Das belegt auch der kürzlich erschienene „Bodenatlas“, erstellt unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung. (jtw)

Als problematisch empfindet er vor allem die knappe personelle Ausstattung der Bezirke und speziell der Grünflächenämter. Sowohl die insektenfreundliche Pflege als auch die intensive Wiesenmahd bedeutet einen hohen personellen und finan­ziel­len Einsatz.

Die Konsequenz: Es muss dann gemäht werden, wenn es die Zeit zulässt; und auf eine besonders gute Bienenweide zu achten würde eine bessere Aufklärung insbesondere in der Öffentlichkeit voraussetzen, die sich kaum einer leisten kann.

Aber wenn eine Grünanlage ganz neu geplant wird, werde durchaus darüber diskutiert, welche Sträucher ausgewählt werden und wo man Flächen anlegt, auf denen nicht nur Rasen wächst. „Die Insektenfreundlichkeit ist aber nicht immer ausschlaggebend bei der Bepflanzung. An besonders attraktiven Orten wird auch schon einmal ein Baum ausgewählt, der einfach nur schön ist. Bei anderer Gelegenheit nehmen wir die Vögel oder die Amphibien mehr in den Fokus“, sagt Brockmann, der Berlin trotz des aktuellen Baubooms für ein Paradies für Honigbienen hält. Vor allem die Bäume an den Straßenrändern liefern viel Nektar. Die vielen Lindenbäume wurden laut Brockmann vor einigen Jahrzehnten auf Druck von Imkern angepflanzt, die in engem Kontakt mit den Straßenbaubehörden standen.

Den Wunderbaum gibt es eben nicht

„Heute haben es Straßenbäume schwer. Sie müssen salztolerant, hundekotunempflindlich und trockenheitsresistent sein. Sie sollen keine Früchte oder klebrigen Nektar fallen lassen und insektenfreundlich sein. Aber den Wunderbaum gibt es nicht“, erklärt er. Auch hier müsse man je nach Standort und verschiedenen Interessen abwägen. Statt ein paar hundert Jahre werde eine Linde oder eine Eiche am Berliner Straßenrand nur etwa 50 Jahre alt.

Die Wildkräuter auf dem ehemaligen Flugfeld Johannisthal haben nur eine viel kürzere Zeit überlebt. Sie wurden an vielen Stellen von Gräsern verdrängt. Doch in ein paar Ecken wachsen sie noch, und genau dort versucht es Christoph Saure nochmals. Er wedelt mit seinem Kescher und schafft es tatsächlich, noch eine kleine Sandbiene und eine seltene Pelzbiene zu fangen. Saure ist sich sicher, dass er später im Jahr auch noch ein paar mehr finden würde.

Seine Bilanz fällt trotzdem bitter aus. Und das wird sie auch für ganz Berlin, wenn er im kommenden Jahr die aktuelle Rote Liste der bedrohten Wildbienenarten veröffentlicht. „Es werden einige Arten mehr darauf landen“, sagt der Experte, der vom „Bienenparadies Berlin“ nicht so recht etwas wissen will. Die zunehmende Zahl der Honigbienenvölker in der Stadt führt nämlich auch zur Konkurrenz um Nahrung und Lebensraum für die Wildbienen – gerade dann, wenn Brachflächen verschwinden.