Unsichtbare Flüchtlinge
: Nicht hören, nicht sehen, nicht reden

Foto: privat

Zu Hause bei Fremden

Von Miguel Szymanski

Vergiss es nicht: Diesmal schreibst du was Nettes über Deutschland“, erinnert mich meine Frau. Nach einem halben Jahr sei es Zeit, dass ich den Vorteilen Deutschlands einen Kolumnentext widme. Für sie ist das leicht: Viele Jahre hat Alex für die Vogue geschrieben. Ich hatte dagegen das Gefühl, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein. Am Tag, als ich nachgeben wollte, kam der erlösende Anruf von der Stadtverwaltung Frankfurt.

Auf dem täglichen Fußweg zum Kindergarten meiner Tochter kommen wir an einer rostigen, abgefrackten Containerbarracke des Roten Kreuzes vorbei. Auf dem Hof dort spielen oft ärmlich gekleidete Jugendliche improvisiertes Cricket. Nach einem Jahr grüße ich inzwischen diese verloren aussehenden Menschen. Gestern, frühmorgens, blieb ich mit meiner Tochter kurz stehen und zwei junge Männer sprachen mich an. Wir hatten Schwierigkeiten, uns zu verstehen. Einer konnte ein paar Worte Deutsch und sagte, er sei aus dem Irak und sein Freund aus Somalia. Sie wollten, dass ich ihnen etwas erkläre. Wir verstanden uns nicht, es war frustrierend. Ich zeigte auf die Uhr, auf meine Tochter an meiner Hand und ging weiter.

Als ich auf dem Rückweg an der Flüchtlingsbaracke vorbeikam, sah ich außen an einem Anschlagbrett die Handynummer einer Kontaktperson. Ich rief sie an, sagte, dass ich Journalist bin, mit zwei der jungen Männer gesprochen hatte und mehr über ihre Geschichten wissen wollte. „Das ist schwerwiegend. Sie können die nicht einfach ansprechen. Das geht nicht!“

Wenn, dann müsste ich über das Jugendamt der Stadt Frankfurt Kontakt aufnehmen. Ich wollte wissen, ob die Jugendlichen traumatisiert wären und warum nicht mit ihnen gesprochen werden sollte. „Ich werde nichts weiter sagen. Sie dürfen nicht mit den Jugendlichen reden. Das ist schwerwiegend.“

Nach diesem für mein Empfinden sehr verstörenden Gespräch – und ich habe schon in Harare, Moskau, Lima oder Karatschi gearbeitet, wo es Journalisten gewiss nicht leicht haben – legte die Frau, kurz angebunden, auf. Ich schickte Ihr eine SMS und bat um den Namen der Kontaktperson in der Stadtverwaltung.

Am Nachmittag kam der erlösende Anruf. Eine Stimme fragte, ob ich der Journalist sei, der mit den Flüchtlingen gesprochen hatte oder mit ihnen sprechen wollte. Was mir einfiele. „Als Journalist sind Sie uns ja völlig unbekannt“, Reportagen gäbe es nur „von langer Hand“ und „vorbereitet für das Fernsehen“. Mit einer Genehmigung bräuchte ich nicht zu rechnen. Ob ich denn nicht wisse, dass es verboten sei, „als Journalist minderjährige Flüchtlinge auf offener Straße anzusprechen? Was würden Sie sagen, wenn jemand Ihre Kinder anspricht?“ „Dürfte ich es denn, wenn ich Bäcker oder Opernsänger wäre?“, fragte ich. Ich musste an Mark Twain denken und daran, dass es sich so oft nicht lohnt, zu diskutieren („Sie ziehen dich auf ihr Niveau herunter und schlagen dich dort mit Erfahrung“).

War es wirklich administrative Dummheit? Oder ist es behördliche Einschüchterung? Man lässt Menschen im Meer krepieren, man schiebt sie ab und treibt sie weg. Aber schlimm ist es, wenn man mit ihnen reden will? Am selben Tag – das Leben ist voller Zufälle – hörte ich im Radio vom Besuch des Bundespräsidenten in einer Schule für minderjährige Flüchtlinge. „Viele Sicherheitsmaßnahmen, viele Polizisten“, sagt der Journalist, „die Jugendlichen in schön gebügelten Hemden.“

Passen Sie auf, mit wem Sie in Ihrer Nachbarschaft reden, es könnten Flüchtlinge sein. Sie tragen noch immer kein Schild um den Hals.

Eine nette Kolumne kommt später.