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: Grünes und blaues Wunder

Aus dem Nichts eine Stimme. Genauere Bestimmung des Nichts: von irgendwo da, wo die Kamera steht, von irgendwo im Rücken des Blicks des Betrachters. Man sieht: frontal Gunnar Dinesen, lange, sehr lange, wer weiß, wie lange er schon durch die immer abweisendere, felsigere Landschaft gelaufen, gewankt, gestolpert ist, da spricht ihn diese Stimme an, körperlos erst, man möchte als Zuschauer den Blick, die Kamera in Richtung dieser heiseren Stimme wenden, die Dänisch spricht, wie Dinesen auch, in dieser patagonischen Wüste; aber lange tun einem der Film, die Kamera, der Schnitt, der Regisseur Lisandro Alonso nicht den Gefallen: Wer zum Teufel ist die, die da körperlos spricht? Sieh dich doch um!

Wir sind in Patagonien, einem losen, strengen, schönen Raum, der sich um die Fiktion, die Alonso in ihn hineinstellt, nie so ganz schließt. Es gibt einen historischen Hintergrund, die Kampagnen gegen die indianischen Völker. Davon sind nur Spuren zu sehen, kaum mehr als die verächtliche Rede von Kokosnussköpfen und ein Arm, der ins Bild greift.

Die Figuren sind in ihren Körpern in der Landschaft präsent, aber sie tragen wenig Geschichte am Leib. Pittoresk-fremd scheinen die Uniformen aus dem 19. Jahrhundert, als hätten die Männer, die in ihnen stecken, einen Kostümfundus geplündert und als hätte jemand die Kleider und Körper dann mit gutem Auge für Farben und Formen in den zunächst noch sehr grünen und feuchten und von Robben bevölkerten Landschaften arrangiert.

Viggo Mortensen, der diesen Gunnar Dinesen spielt, trägt dazu einen vom Mundwinkel die Kinnseiten herabwuchernden Bart, der zu ungefähr gleichen Teilen Bart und Historienmarkierung sein dürfte. So künstlich und so sichtlich und absichtlich arrangiert alles ist: Es liegt ein Ernst über der Szenerie, ein Ernst in den Mienen, in den in spanischer und dänischer Sprache gewechselten Worten.

Jauja ist ein mythischer Ort: Ein Land des Überflusses, des Glücks, so sagen die Alten, nur leider kehrte keiner, der dorthin gelangte, zurück, um Genaueres davon zu berichten. Die Leute übertreiben, wie sie es immer tun, vermutet eine Schrifttafel ganz zu Beginn und stellt nüchtern fest, dass alle Expeditionen nach Jauja in die Irre gerieten. So geht auch Gunnar Dinesen in die Irre, auf der Suche nicht nach Reichtum und Glück, sondern nach seiner Tochter Inge. In der schönen ersten Einstellung dieses an schönen Einstellungen reichen Films sitzen Vater und Tochter nebeneinander. Auf einer felsigen Erhebung im Gras. Er trägt Anzug und Bowlerhut, raucht und wendet dabei den Rücken der Kamera zu. Sie trägt das blaue Kleid, liest, sitzt frontal zum Zuschauerblick.

Wir sind in ­Patagonien, einem losen, strengen, schönen Raum

Inge. Sie wird es sein, die später aus dem Rücken des Zuschauers spricht. Oder auch nicht. So lange ist Dinesen schon unterwegs, hat einen Toten gesehen, einen Halbtoten getötet, hat sein Pferd verloren und vielleicht auch den Verstand. In der Nacht sitzt er erst, liegt dann rücklings auf einem Felsen, oben und hinten dunkel der Himmel, dunkler davor der Stein, Gunnar Dinesen raucht, und irgendwo drinnen draußen im Film ist jetzt Musik.

Später wartet ein großer grauer Hund reglos auf einem Felsen, erhebt sich, weist dem Dänen den Weg. Dann die Stimme, ein Gespräch in einer Höhle mit der alten Frau, die vielleicht Inge ist, vielleicht nicht. Gespielt wird sie von Ghita Nørby, der großen alten Dame des dänischen Fernsehens und Films. Das ist seltsam. Alonso hat immer mit Laien gedreht. In „Jauja“ nun aber Mortensen und Nørby, und es passt. Wie man hier überhaupt blaue, grüne und Wunder in anderen Farben erlebt. Ekkehard Knörer

„Jauja“, Regie: Lisandro Alonso, Argentinien u. a. 2014. DVD ist in Großbritannien erschienen und als Import z.B. bei amazon.co.uk ab rund 20 Euro erhältlich