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Berühmtsein hilft

REGIONAL-TOURISMUS Viele Attraktionen in Norddeutschland hoffen auf den Titel „Unesco-Weltkulturerbe“, um mehr Geld und Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber selbst wer den Titel hat, profitiert erst dann, wenn es sich international herumgesprochen hat – so wie der Hildesheimer Dom

Umgebettet: Altarfigur aus dem 18. Jahrhundert im Hildesheimer Dom   Foto: dpa

VON Joachim Göres

Das Alte Land vor den Toren Hamburgs ist einer von vielen Bewerbern für den Unesco-Welt erbe-Titel. Auch zahlreiche andere Baudenkmäler, Naturlandschaften, Stadtensembles und Industrieanlagen in Deutschland hoffen auf die Verleihung dieses Titels, von dem sie sich mehr Aufmerksamkeit, mehr finanzielle Förderung und mehr Touristen versprechen. Bislang gibt es 39 deutsche Welt erbestätten, und sie profitieren ganz unterschiedlich davon.

„Als der Mariendom und die Michaeliskirche in Hildesheim 1985 zum Unesco-Welterbe wurden, gab es dadurch nicht plötzlich mehr Besucher, denn der Titel war noch nicht so populär“, sagt etwa Claudia Höhl, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Dom-M useums. Das habe sich erst im Laufe der Zeit geändert. „Besucher aus Japan, China oder Indien orientieren sich daran wie an einem Leitfaden, der anzeigt, was man in Europa gesehen haben muss“, sagt die Kunsthistorikerin. Für einheimische Gäste sei dagegen angesichts der Vielzahl deutscher Unesco-Welterbestätten oft nicht ganz klar, worin ihre Besonderheit bestehe. Und für Kinder und Jugendliche spiele dieser Titel gar keine Rolle. Sie müssten gezielt geworben werden.

Mitarbeiter des Mariendoms und der Michaeliskirche in Hildesheim überarbeiten derzeit ihr Konzept für junge Besucher und überlegen, sie künftig mit einer App anzusprechen. Vor übertriebenen Erwartungen warnt Höhl allerdings. „Durch die App erreichen wir keinen Neunjährigen in den USA. Kinder und Jugendliche rennen uns nicht die Bude ein, wenn wir auf Facebook vertreten sind oder per Touchscreen Inhalte vermitteln wollen. Wir wollen sie stärker als bisher über einzelne Objekte erreichen und dabei das selbstständige Denken fördern“, sagt Höhl. So eigne sich die bronzene Domtür, die den Mord von Kain an Abel darstellt, zum Beispiel für den Einstieg in ein Gespräch über Gewalt und Tod.

Die Fagus-Werke in Alfeld, der erste Industriebau der Moderne, gehören dagegen erst seit 2011 zu den Welterbestätten – die einzige weltweit, in der noch produziert wird. Bei Führungen durch die nach Plänen des einstigen Bauhaus-Direktors Walter Gropius erbauten Produktionshallen sowie beim Museumsrundgang wird man anschaulich über Industriearchitektur, Schuhmode oder die Bedeutung von Holz als Werkstoff informiert. Konzerte und Kunstausstellungen sollen zudem auch die Einheimischen ansprechen.

„Wir haben unsere Gästezahlen seit 2011 mehr als verdreifacht. Es kommen Architekten genauso wie Freizeitgruppen von weit her. Der Welterbe-Titel hat dazu geführt, dass auch die Bevölkerung unserer Region die Fagus-Werke mehr schätzt“, sagt Karl Schünemann vom Förderverein. Kürzlich wurde dort zudem im ehemaligen Spänehaus ein neues Besucherzentrum eröffnet.

Der Unesco-Welterbe-Titel hilft nicht immer und vor allem nicht sofort, neue Touristen an die Orte zu holen. Das muss sich erst herumsprechen

„Ich rechne damit, dass dieser Titel künftig vor allem an Stätten in Entwicklungsländern vergeben wird, denn die Industriestaaten sind bereits sehr stark auf der Liste der Unesco vertreten“, sagt Norbert Huschner, Leiter des Amtes für Welterbe, Tourismus und Kultur in Wismar. Die historischen Altstädte von Stralsund und Wismar sind seit 2002 Welterbestätten. „1995 lag der Leerstand in der Altstadt bei 36 Prozent, heute nur noch bei neun Prozent, und die Zahl der Einwohner ist von 5.000 auf 8.000 gestiegen. Durch ein Bundesinvestitionsprogramm für Welterbestätten haben wir vor fünf Jahren mehr als 20 Millionen Euro bekommen – nur durch dieses Geld konnten wir bedeutende Bauten sanieren und neue Attraktionen schaffen“, so Huschner.

Die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) lädt zudem Blogger zu Welterbestätten nach Deutschland ein, die sie in ihrem Heimatland mit selbst gedrehten Filmen und eigenen Texten bekannter machen sollen. „Wir nehmen keinen Einfluss auf den Inhalt. Ich kenne aber keinen Fall, in dem negativ berichtet wurde“, sagt DZT-Mitarbeiterin Leonie Friedlein.

Welche Rolle der Unesco-Titel bei den Besuchern aus dem Ausland tatsächlich spielt, bleibt offen: Bei einer DZT-Umfrage unter 15.000 internationalen Gästen zu ihren beliebtesten Zielorten in Deutschland steht das Schloss Neuschwanstein an der Spitze, gefolgt unter anderem vom Europa-Park Rust, dem Kölner Dom, der Altstadt von Rothenburg ob der Tauber, der Berliner Mauer, und der Heidelberger Altstadt.

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