Der Alpenleopard

THEATER Ethnologisch interessant, ästhetisch Schauer auslösend: Im Ballhaus Ost gastiert die Wiener New Space Companymit der Performance „Der Fuchs“. Darin geht es um Raves, Rausch und andere Mythen des Berlins der Neunziger Jahre

In der Performance „Der Fuchs“ erzählt die Wiener New Space Company vom Aufwachsen in alpinen Dörfern und vor allem vom Ausbrechen der dörflichen Jungmännerelite nach Berlin. Sie liefert eine mental und ästhetisch noch in den 70er Jahren steckende One-Man-Show über die 90er in der Post-Mauerstadt ab, die all die provinziellen Ursprünge der ach so herrlichen Neuberliner Aufbruchszeit sichtbar macht. Ethnologisch nicht uninteressant, ästhetisch Schauer auslösend.

Das Anfangsbild ist allerdings noch stark. Auf dem Boden ist ein Feld von Kerzen ausgebreitet. Über dieser Zone von Licht, Wärme und sakraler Anmutung hat sich ein Mensch um eine von der Decke herabgelassene horizontal befestigte Stange gewunden. Er kauert da und wird in Schaukelbewegung versetzt. Es kann sich um ein Opfer handeln, um die Vorbereitung einer rituellen Handlung. Das Ballhaus Ost scheint für diesen Abend Ort eines Kultes zu sein.

Der Eindruck hält noch ein wenig länger an. Der Performer Daniel Wagner befreit sich von seiner Hängevorrichtung, springt auf den Boden und löscht die Kerzen mit Tritten seiner nackten Füße. Tatsächlich ein Guru, ein Behelfsguru zumindest, einer in der Traditionslinie von Hermann Nitsch, immerhin noch ohne Blutverspritzen.

Animalisch aber gibt er sich. Angetan in ein Leopardenfellkostüm singt Wagner das Hohelied des Raubtiers, in seinem Falle des Fuchses. Der erhebt sich aus der Senke, in die er hineingeboren wurde, und strebt größeren Jagdrevieren zu. Der Fuchs, ein metropolitaner Einzelgänger, ein Aristokrat in der Feierkultur, ein Leader im Rave, der niemals aus der Masse herauswinkt. So imaginiert sich die Wagner’sche Figur. Punktuelle Luzidität erreicht sie beim Beschreiben der Rauschzustände, wenn Körper leicht werden, wie Tropfen auf Glasplatten klingen und dazu die Technobeats durch die – leider überforderte – Anlage wummern.

Bis Wagner dorthin kommt, muss man mit ihm aber erst die Ebenen der Provinz durchpflügen, auf Dorfdiskos Jungmännerfantasien beiwohnen, in klischeehafte schwäbische Wohngemeinschaften ziehen und einen verunglückten Amerika-Aufenthalt absolvieren.

Nach dem kleinen Drogenhighlight wird es nicht besser. Der von seiner eigenen Bedeutung aufgeblasene Protagonist klappert die Berliner Party- und Kunstszene ab. Fabrikhallen werden entkernt, Lofts abgeschritten, Soundanlagen installiert und geklaut. Angelesenes Klischee türmt sich auf Hörensagen-Anekdote. Leitthema ist auch hier der Versuch, aus der Masse herauszuragen. Es wird zum Leidthema für den Betrachter. Ein paar nette Beobachtungen über die innere Leere des Boheme- und Hipstertums liefert Wagner immerhin auch.

Leider ist er in seinem wüsten Tun ästhetisch aber so sehr in den Provinz-70ern verortet, dass man die Darstellungsform mit ihrem erzählten Inhalt partout nicht zusammenbekommt. Das Retro-Leofell wirkt wie eine Kutte, in die sich Fußballfans der 70er und 80er hüllten; der Müffelgeruch eines ungewaschenen Parkas, dem Kultkleidungsstück der Prä-Punk-Ära, macht sich breit. Das Einzige, das man diesem aus dem Neolithikum der Popkultur erwachsenen Performanceprodukt zugute halten darf, ist die Erinnerung daran, dass das Gros der Protagonisten der 90er-Jahre-Bewegung ja tatsächlich aus oft südwestdeutsch, manchmal gar alpin gelegenen Provinznestern stammte und möglicherweise mit dem von Wagner gezeigten Ideengepäck in Mitte und Friedrichshain aufschlug. Ein kühler Schauer lässt für Momente die eigene Heldenerinnerung erzittern. Tom Mustroph

27. 6., 20 Uhr, Ballhaus Ost, Regie: Volker Schmidt, mit Daniel Wagner, Eintritt 13, ermäßigt8 Euro