Man muss nicht nach Nepal fliegen für die Exotik, neuerdings liegt die Fernreise vor der Tür: Mit dem Bus nach Eritrea
Später
von Barbara Dribbusch
Theresa hatte mir schon letzten Winter davon erzählt: Sie wollte im Oktober nach Nepal.Trekken im Himalaya, schneebedeckte Achttausender, Tempel, buddhistische Gesänge. Ihr Plan stand schon seit Januar fest, vor dem Erdbeben also. Ich habe sie beneidet. Ich würde auch gerne mal trekken im Himalaja. Aber ich mache nur alle zwei Jahre eine Fernreise. Langstreckenflüge stressen mich ein bisschen, da ist mein Hirn altmodisch.
„Nepal !“, sagt Freundin Britt zu Theresa und verschränkt die Arme hinter dem Kopf, „also im Moment ist das doch eine Schnapsidee. Nach dem Erdbeben leben die Leute dort unter blauen Plastikplanen, unterversorgt und krank, viele Tempel sind zerstört. Da kann man nicht einfach so vorbeispazieren, so tun als wäre nichts, und sich an den Bergen erfreuen“.
Wir drei liegen im Gras auf dem Tempelhofer Feld und gucken in den Himmel, der auch in Berlin ziemlich weit sein kann. Theresa hat Nepal noch nicht gebucht. „Das Land jetzt zu meiden, ist doch vielleicht falsch“, entgegnet sie, „man liest, dass die Einheimischen nun erst recht die Einnahmen von den Touristen bräuchten. Dass die kleinen Ladenbesitzer in Kathmandu es feige finden von den Westlern, den Abenteuertouristen in ihren Jack-Wolfskin-Jacken, dass sie jetzt nicht mehr kommen, weil sie Schiss haben vor einem neuen Erdbeben.“
Britt rupft ein paar Grashalme aus. „Ich fände es schwierig, angesichts von offensichtlichem Elend Urlaub zu machen“, sagt sie, „würde ich mich schämen. Dann kann ich auch gleich eine Kreuzfahrt im Mittelmeer buchen. Stell dir vor, abends auf der ,Aida‘. Sanfte Barmusik. Viergangmenü mit Schampus. Alle im eleganten Outfit. Und dann taucht am Horizont plötzlich ein marodes Schlauchboot auf mit verzweifelt winkenden Afrikanern. Nein danke.“
Mir fällt Silke ein, die geschockt von ihrer Sizilienreise berichtete. Da haben sie am Morgen ertrunkene Flüchtlinge vom Strand weggekarrt. Mir hat allerdings jemand erzählt, dass die Kreuzfahrtschiffe nur im nördlichen Mittelmeer herumfahren und nicht mehr vor den Küsten Nordafrikas kreuzen. Das sind ganz andere Routen.
Es ist kein Zufall, dass Britt sich mit der Schifffahrt auf dem Mittelmeer ein bisschen auskennt. Sie arbeitet ehrenamtlich in einem Asylbewerberheim bei Potsdam. Eritreer, Syrer, Afghanen leben da. Manchmal organisieren die Ehrenamtlichen in den Räumlichkeiten der Umgebung so eine Art Begegnungsfest für die Flüchtlinge, mit Fußball, Disco, Diskussion. Die örtliche Bevölkerung, auch die Jugend, ist herzlich eingeladen. Aber die kommt eher nicht, ist wahrscheinlich zu sehr beschäftigt mit den Reiseplanungen für Rucksacktouren nach Spanien, Thailand oder den Senegal.
„Wenn ihr wollt, könnt ihr mal bei uns vorbeikommen“, schlägt Britt vor, „es gibt afghanische und eritreische Küche. Da spart man sich den Langstreckenflug und macht trotzdem eine Fernreise.“ Sie grinst.
Die Welt kommt jetzt zu einem, was vielleicht auch seine gute Seite hat. Flugangsttechnisch gesehen. Trekken kann ich auch in Thüringen, wenn man es genau nimmt. Und zum deutsch-afghanisch-eritreischen Begegnungsfest schaffe ich es neuerdings mit dem Bus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen