Die Freiheitsstatue: Business as usual bei Miss Liberty
Man nehme ein Inselchen, eine französische Dame, viel Symbolgehalt und fertig ist ein Nationaldenkmal. Ein Ausflug zum US-Nationalsymbol.
Welcome to the symbol of freedom.“ Ein Park Ranger mit seinem breitkrempigen Hut begrüßt die Besucher. Vor ihnen der Hudson River, bunte Fähren und die Skyline von Downtown Manhattan mit dem Freedom Tower. Unter ihnen die Inselpromenade, mit roten Backsteinen gepflastert und Hunderten von Menschen. Eine ungewöhnliche Perspektive aus 93 Meter Höhe.
Wir stehen im Kopf der Freiheitsstatue. Aus 25 kleinen Fenstern kann man hinausschauen. Neben uns erkennt man die Unterkante der Fackel. Der 13 Meter lange rechte Arm von Lady Liberty hält graziös das Licht der Freiheit in der Hand und streckt sie in den Himmel. New Yorks Bürgermeister mögen kommen und gehen, die 1886 eingeweihte Statue auf dem Sockel aus Granit ist für die Ewigkeit gemacht.
Über drei Millionen Touristen flanieren jedes Jahr über die Promenade von Liberty Island. Etwa zehn Minuten braucht man für die Umrundung zu Fuß. Fahrzeuge gibt es hier keine, nur mit der Fähre ist das vorgelagerte Eiland am Big Apple zu erreichen.
Den Zugang zur Freiheitsstatue kann man als Allegorie auf die Verfasstheit der Vereinigten Staaten lesen: US-amerikanische Freiheitssymbolik ist garantiert und umsonst, wenn das freie Unternehmertum dabei auf seine Kosten kommt. Der Eintritt zu Insel und Promenade ist frei. Aber hierher kommt nur, wer das kostenpflichtige Boot von der Südspitze Manhattans nimmt. Und nur 365 Besucher, die sich monatelang im Voraus angemeldet haben, werden täglich zur Krone hinaufgelassen. Von wegen „Freiheits“statue.
Für die US-Amerikaner sei Miss Liberty ein universelles Symbol, erklärt Barry Moreno. Zum Beispiel für die Überlegenheit und Vollkommenheit der eigenen Demokratie. Sie bezeuge, dass die USA das liberalste Land der Welt seien und ihre Bürger den Nimbus der Einzigartigkeit besäßen. Moreno ist Historiker und arbeitet für den National Park Service. Der eloquente Enddreißiger kennt wie kein anderer die Geschichte der 129 Jahre alten Französin.
Moreno kritisiert die Überheblichkeit und Geschichtsvergessenheit seiner Landsleute. Dabei spricht er schnell und gewandt, mit wenigen Gesten, stets zuvorkommend und freundlich, in Bluejeans und mit kurz geschorenem Haar. Die Sätze des Historikers sind Salven gegen das Nichtwissen. Die Instrumentalisierung von Miss Liberty ist ihm ein Dorn im Auge.
Die Instrumentalisierung der 129-jährigen Lady
Zugang: Nur mit einer Fähre von Statue Cruises gelangt man nach Liberty Island. Es gibt verschiedene Ticketarten. Das "Reserve Ticket with Pedestal Access" erspart Wartezeiten beim Boarding der Fähre. Mit dem Ticket erhält man den Zutritt zur Fähre, zu Liberty Island, für den Sockel der Freiheitsstatue sowie in das Ellis Island Immigration Museum samt Audioguide. Informationen bekommt man telefonisch unter folgender Nummer: 0 01-8 77-5 23 98 49.
Die Fähren: Sie verkehren ab Battery Park, die Fähranleger befinden sich jeweils am Battery Park (an der Südspitze Manhattans) und Liberty State Park (Jersey City, New Jersey).
Besuch der Krone: Der Fährenbetreiber warnt auf seiner Internetseite vorsorglich vor den Strapazen des Aufstiegs. "Der Aufstieg zur Krone ist ein beschwerlicher Weg, der 393 Stufen umfasst oder der Höhe eines 27-stöckigen Gebäudes entspricht". Pro Stunde werden nur 12 bis 15 Personen hinaufgelassen. Das Reserve Ticket with Crown Access kostet 21 US-Dollar (bzw. 17 und 12 Dollar). Für beide Besichtigungen müssen die Tickets im Voraus online reserviert werden unter www.statuecruises.com/chosse_tickets.aspx oder telefonisch unter 0 01-20 16 04 28 00.
Literatur: Barry Moreno, "The Statue of Liberty. Images of America". Arcadia Publishing 2004, Paperback 17,25 $
Wann immer Miss Liberty für ideologische Zwecke gebraucht wurde, sagt Moreno verschmitzt, wurde sie von den Mächtigen als Symbol eingesetzt: im Kampf gegen Mussolini, gegen Hitler und Stalin, gegen den japanischen Militarismus, gegen Totalitarismus und Kommunismus. Auch nach dem Terroranschlag vom 11. September sei die Freiheitsstatue instrumentalisiert worden, so wie nach Pearl Harbor oder dem D-Day, erklärt der Historiker.
Die Idee, auf dem kleinen Eiland eine symbolträchtige Frauenfigur zu errichten, hatte der französische Historiker, Republikaner und Antiroyalist Édouard de Laboulaye. Die alte Waffenbrüderschaft zwischen Frankreich und den USA sollte beschworen werden. Aber das gehöre zu den Geschichten, die nur wenige kennen, so Moreno: „Viele Besucher wissen nicht, dass die Freiheitsstatue vor allem den Freimaurern und ihrer Unterstützung zu verdanken ist.
Manche Leute denken, dass Miss Liberty für die Emigranten gebaut wurde, die nach Amerika kamen. Aber das ist ebenso falsch wie die Annahme, sie sei ein Denkmal für das Ende der Sklaverei in den USA. Einige Leute glauben, sie sei ein Geschenk für die Stadt New York gewesen. Auch das ist Unsinn. Sie ist nicht einmal ein Symbol für New York.“
Miss Liberty wurde der Bevölkerung der Vereinigten Staaten von einer Gruppe französischer Republikaner geschenkt. 1865 hatten die französischen Liberalen um Laboulaye beschlossen, den Idealen der Freiheit mit einem symbolischen Geschenk an die USA zu huldigen – und damit gegen die Politik Napoleons III. zu protestieren und seines als repressiv empfundenen Staates.
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Der Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten war vorbei, die Sklaverei abgeschafft, der hundertste Geburtstag der jungen US-amerikanischen Nation stand bevor. Zunächst dachte man an eine Geschenkmünze aus Gold, aber bald war daraus ein Riesendenkmal aus Kupfer und Stahl geworden. Die Idee der Freiheitsstatue war geboren.
Frédéric-Auguste Bartholdi aus Colmar im französischen Elsass wurde damit beauftragt, eine mächtige Statue nach der Art des Kolosses von Rhodos zu schaffen. Er konzipierte eine Dame von 46 Meter Höhe. Für das Gesicht diente ihm seine alleinerziehende Mutter als Modell, für den Körper seine Geliebte.
Die Freiheitsstatue mit Richtmikrofon
21 Jahre später war es vollbracht: Auf der anderen Seite des Ozeans wurde Miss Liberty aufgestellt. Doch von Freiheit und Dankbarkeit kann kaum die Rede sein. Die NSA spionierte nicht nur Merkels Handy aus, sondern auch Frankreichs Diplomaten in der Washingtoner Botschaft. Vor allem aber schöpfte der US-Geheimdienst Daten in Frankreich ab. Ob Anschlüsse privater Haushalte, öffentlicher Einrichtungen oder Firmen – die NSA zapfte sie an. Deshalb taucht Miss Liberty auf Cartoons in neuem Look auf: Statt Freiheitsfackel trägt sie ein Richtmikrofon. Waffenbrüderschaft anno 2015.
In den USA hielt sich Ende des 19. Jahrhunderts die Begeisterung für das Vorhaben des Franzosen zunächst in Grenzen. Der Kongress wollte die Kosten für den Unterhalt nur dann übernehmen, wenn der Koloss sich zusätzlich nützlich machte, etwa als Leuchtturm.
Schon nach einigen Jahren war es den Amerikanern gelungen, die Freiheitsstatue den eigenen kulturellen Bedürfnissen zu unterwerfen, zu amerikanisieren. Aus dem universellen Symbol der französisch-amerikanischen Freundschaft wurde ein Sinnbild des amerikanischen Nationalismus, resümiert Historiker Moreno. Wir stehen im Café der Freiheitsstatue, nebenan ist der Andenkenladen. Beides gehört seit 1931 der Familie Hill. Aaron Hill war ein junger Sergeant in der US-Armee und während des Ersten Weltkriegs auf Liberty Island in der Festung Fort Wood stationiert.
Später bekam er die Erlaubnis, den Militärangehörigen Alltagsgegenstände zu verkaufen. 1931 verließ er die Armee und eröffnete einen richtigen Laden. Dort konnten die Touristen kleine Mitbringsel und Frankfurter Würstchen kaufen. Heute ist das Ganze ein florierendes Geschäft in der dritten Generation.
Das Facelifting von Miss Liberty
Unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde Liberty Island gesperrt. Zwar durfte die Insel schon wenige Wochen darauf wieder betreten werden, doch das Innere der bronzenen grünen Dame blieb für die Öffentlichkeit jahrelang ein No-Go-Bereich – aus Sicherheitsgründen, wie es offiziell hieß. Schließlich wurde 2009 Miss Liberty für Besucher wieder freigegeben – und 2011 erneut geschlossen. Nach diversen Restaurierungen und Reparaturen musste die Freiheitsstatue nur einen Tag nach der Wiedereröffnung im Oktober 2012 erneut geschlossen werden. Der Hurrikan Sandy hatte Teile der Promenade und des Sockels zerstört. Seit dem 4. Juli 2013, dem Unabhängigkeitstag, sind Promenade und Freiheitsstatue wieder von Touristen begehbar.
Jetzt ist die 93 Meter hohe Touristenattraktion feuerfest und bombensicher. Wer unter den Füßen der Freiheitsgöttin das neue Museum besuchen will, muss Sicherheitsschleusen mit modernster Technik passieren. Heute kommt man nur bis zur Krone. Die Fackel ist für die Öffentlichkeit tabu. Bis 1916 konnte auch sie bestiegen werden.
Liberty Island mit seiner Promenade und seiner Statue zeige dem Rest der Welt, dass Amerikaner stark seien und ihre Freiheit schätzten, meinte New Yorks ehemaliger Bürgermeister Michael Bloomberg während der Neueröffnung im Juli 2013. Solches Pathos sei typisch für die Vereinigten Staaten, findet Moreno: „Die Freiheitsstatue ist ein leeres Symbol, nicht nur weil sie im Inneren hohl ist.“ Die Statue werde von allen instrumentalisiert: von Konservativen, Liberalen, Radikalen, sie werde für kommerzielle wie für gewerbliche Zwecke benutzt.
Miss Liberty für die Sofashow
Und das mehr als erfolgreich. Die totale Kommerzialisierung begräbt jede Erinnerung an die ursprüngliche historisch-politische Botschaft des Denkmals. Und ob diese heute noch gilt? Fast-Food-Restaurant, Museumsshop, Andenkenladen mit billigen T-Shirts, Kaffeetassen, Plastikfreiheitsinseln, Stars-and-Stripes-Fähnchen und andere Devotionalien sind für viele Touristen ein Muss beim Besuch. So wie der digitale Fotoprint von Miss Liberty für die private Sofashow zu Hause mit den Daheimgebliebenen.
Während die Geheimdienste ihren Aufgaben nachgehen, wurde das Symbol der Freiheit, auf das sich Ex-NSA-Direktor Keith Alexander während seiner Amtszeit berief, Anfang Oktober 2013 erneut geschlossen: Nach dem zwischenzeitlichen Scheitern der Haushaltsverhandlungen wurde auch Miss Liberty der Geldhahn zugedreht. Knapp zwei Wochen lang konnte die Freiheitsstatue von den Touristen nicht besucht werden. Es hagelte Kritik, der Bundesstaat New York entschied, die Betriebskosten von täglich knapp 62.000 Dollar zu übernehmen. Seitdem flanieren die Touristen wieder über die Promenade von Liberty Island.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kritik am Deutschen Ethikrat
Bisschen viel Gott
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel
Mediale Zerrbilder in Amsterdam
Toxische Bro-Kultur
Stoppt die Muskulinisten!
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Scholz telefoniert mit Putin
Scholz gibt den „Friedenskanzler“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“