Verstockte Impulse

KINO Jugendliche Rituale, mit feinstofflichem Naturalismus eingefangen: Gia Coppolas Regiedebüt „Palo Alto“

Eigentlich sind Teenager eher kamerascheue Wesen. Es fällt ihnen leicht, sich hinter halbstarken Posen verstecken, weil sie letztlich nichts anderes tun, als die Vorstellungen Erwachsener von einem jugendlichen Lebensgefühl zu bedienen. Wie schwierig es dagegen ist, das Wesen der Adoleszenz mit der Kamera einzufangen, wird einem erst wieder bewusst, wenn ein Film plötzlich ein ernsthaftes Interesse an der Sensibilität Heranwachsender zeigt, wenn Social-Media-Apps und Elternkonflikte keine besondere Rolle spielen. Das US-Independentkino bringt alle paar Jahre einen Film hervor: „Kids“, „Virgin Suicides“, „Hamilton“, „Paranoid Park“ oder „We Need to Talk About Kevin“.

„Palo Alto“ gehört in diese Reihe, und das ist vor allem das Verdienst von drei Personen. Der Film basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichtensammlung von James Franco über das Aufwachsen in Suburbia, jugendliche Rituale und teenage angst. Die Regisseurin Gia Coppola hat Francos Prosa zu einer lose zusammenhängenden Geschichte verarbeitet, die stark von ihren flüchtigen Bildeindrücken lebt.

In der leicht somnambulen Orientierungslosigkeit ihrer Hauptfiguren kommt eine der Stärken des Kinos gegenüber der Literatur zum Ausdruck. Denn die Verzweiflung, der verstockte Impuls des Dagegenseins lösen sich immer noch am schönsten in Bewegungen und Gesten auf, die die Kamerafrau Autumn Cheyenne Durald mit einem feinstofflichen Naturalismus einfängt. Die Posen etwa, die April (Emma Roberts) vor dem Spiegel einübt, kennt sie nicht aus dem Kino, sondern von den Mädchencliquen auf ihrem Schulhof. Und die Partys – das betrunkene Rumknutschen, das schüchterne Anbändeln auf der Terrasse – werden von den Bildern mit traumwandlerischer Ruhe durchquert. Nie sucht die Kamera nach Fixpunkten, sie bleibt in ihren Bewegungen stets so vage wie die Gedanken der Jugendlichen.

Beiläufige Begegnungen

April, Teddy und Fred heißen die Hauptfiguren von „Palo Alto“, deren unterschiedliche Temperamente dem Film eine emotionale Zerrissenheit verleihen. April ist heimlich in Teddy verliebt, fühlt sich aber auch von den väterlichen Avancen ihres Fußballtrainers (Franco) geschmeichelt. Teddy muss nach einem Autounfall in der örtlichen Kinderbücherei Sozialarbeit leisten. Familiäre Probleme gibt es auch bei ihm nicht, dennoch lässt er sich von den destruktiven Anwandlungen seins besten Freundes Fred mitreißen. Die beiläufigen Begegnungen von April und Teddy geben der Geschichte eine lose Struktur, doch die eigentliche Qualität des Regiedebüts von Gia Coppola (Sofia Coppola ist ihre Tante) besteht darin, dass am Ende gar nicht viel passieren muss. Coppola beschränkt sich auf Andeutungen, was im heutigen Kino selten geworden ist. Umso erfreulicher, dass „Palo Alto“ wenigstens für kurze Zeit im fsk-Kino laufen wird. Einen regulären Verleih hat der Film in Deutschland nämlich nicht gefunden. Andreas Busche

„Palo Alto“, Regie: Gia Coppola. Mit Emma Roberts, James Franco u. a. USA 2013, 98 Min., im fsk-Kino