Stoiber unter Minderheitenschutz

CSU hält ihren Chef im Amt. Noch. Nur 23 Prozent der Bayern wollen ihren Ministerpräsidenten wieder wählen

BERLIN taz ■ Unter normalen Umständen wäre dieser Dienstag ein guter Tag für Edmund Stoiber. Union und SPD haben sich auf eine Föderalismusreform geeinigt – und niemand bestreitet, dass der CSU-Chef einen wertvollen Beitrag für den ersten Erfolg der großen Koalition geleistet hat. Unter normalen Umständen hätte er sich dafür jetzt in der CSU-Landesgruppe im Bundestag feiern lassen können. Doch seit einer Woche, seit Stoibers Verzicht auf ein Berliner Ministeramt, ist nichts mehr normal.

Noch nie wurde in der CSU so offen und Chef-kritisch diskutiert. Wo Stoiber auch hinkommt, überall muss er sich rechtfertigen, um Milde bitten. 15 Abgeordnete haben in der Sitzung der Landesgruppe Fragen. Einziges Thema ist Stoiber selbst, sein Wankelmut, sein wenig überzeugend begründeter Rückzug aus Berlin. Die durchgehend negative Kommentierung zeigt Folgen. Ein Parteichef, der in der Bild-Zeitung als Feigling bezeichnet wird, dem so gut wie alle konservativen Blätter Flucht vor der Verantwortung vorwerfen, gerät in Erklärungsnot. Selbst Hinterbänkler, die sich sonst nie etwas zu sagen trauen, melden sich plötzlich zu Wort. Stoiber versucht zu besänftigen und zu beruhigen. Erst zwei Stunden lang hinter verschlossenen Türen, dann vor der Presse. Es gelingt ihm mehr schlecht als recht. Was er auch sagt, um seine Lage zu entdramatisieren, es wird augenblicklich widerlegt.

Es habe in der Landesgruppe „alles in allem große Zuversicht und Harmonie“ geherrscht, sagt Stoiber. Doch was der Mann gleich neben ihm erzählt, klingt anders. Jeder habe gespürt, dass es „ein kleines Beben“ gegeben habe, sagt Michael Glos, noch amtierender Chef der Landesgruppe und bald an Stoibers Stelle Wirtschaftsminister. „Kleines Beben“ klingt gefährlich, ist aber eine freundliche Untertreibung.

Die Münchner Abendzeitung veröffentlicht eine Umfrage, wonach sich 77 Prozent der Bayern gegen eine nochmalige Spitzenkandidatur von Ministerpräsident Stoiber bei der Landtagswahl 2008 aussprechen. Sogar 71 Prozent der CSU-Anhängern meinten, Stoiber solle aufhören, ermittelte das Forsa-Institut. Kein Wunder, dass Stoiber intern Reue zeigte, wie der CSU-Abgeordnete Albert Rupprecht berichtet: „Er hat zusammengefasst, was er meint, das schief gelaufen ist.“ Immerhin erzählt er nicht gleich weiter, welche Fehler Stoiber eingestanden hat. Überhaupt sei die Sitzung in Berlin „glimpflich“ für ihn abgelaufen, heißt es. Glimpflich heißt: Einen offenen Aufstand gab es nicht. Doch das dürfte eher daran liegen, dass viele CSUler in Berlin froh sind, Stoiber los zu sein. Niemand hier bedauert öffentlich seinen Rückzug. Glos, der dadurch einen neuen Job bekam, erklärt, es sei ganz normal, dass der Parteichef in München bleibe, denn: „Wir sind uns völlig klar, dass das Zentrum und die Kraftquelle der CSU in Bayern liegt.“ Doch auch das klingt eher wie ein Hinweis auf weiteres Ungemach. Denn daheim in Bayern laufen nicht nur die Wähler davon. CSU-Landtagsfraktionschef Joachim Herrmann läuft sich auch bereits als neue Kraftquelle warm. Die derzeitigen Probleme seien durch eine Abfolge „mehr oder minder einsamer Entscheidungen“ Stoibers entstanden, schimpft Herrmann: „Das kann auf Dauer so nicht gut gehen.“ Ein erster Vorgeschmack für Stoibers nächsten Rechtfertigungstermin: heute in der CSU-Landtagsfraktion in München.

Die Sitzung der gemeinsamen Unions-Bundestagsfraktion hat er vorsichtshalber gleich ganz geschwänzt. LUKAS WALLRAFF