Sachbuch: Kein Weg durchs Feuer

Gerhard Schweizer führt in die Welt des Sufismus ein. Dazu hat er fleißig und reichlich Material zusammengetragen. Nur an Verve mangelt es ihm.

Shiitische Muslime pilgern zum Imam Hussein-Schrein bei Bagdad Bild: DPA

In einer Nachbemerkung seiner sorgfältig recherchierten Arbeit über den Sufismus schreibt Gerhard Schweizer: "Ich selbst betreibe keine Meditation und habe erst recht keine mystische Erfahrung mit seelisch-körperlichen Konsequenzen gemacht. Das trennt mich von jenen Autoren und auch Lesern, die sich intensiv auf diesen Weg eingelassen haben. Sie mögen - zu Recht - in meiner geistigen Grundhaltung das letzte Verständnis des Mystischen vermissen."

Er schreibt weiter, dass das Phänomen des Sufismus derart vielfältig ist, dass es unmöglich sei, es in einem Buch darzustellen. Man muss sich fragen, warum ein Autor, der über 300 Seiten der mystischen Ausrichtung einer Religion widmet, sich am Ende dafür entschuldigt, dass er es nicht richtig gemacht hat und es im Grunde sowieso ein unmögliches Unterfangen war.

Dabei hat Schweizer eigentlich fast alles richtig gemacht. Er führt den Leser durch verschiedene Sufi-Pilgerorte in der Türkei, Iran, oder Indien; er stellt einige sufistische Orden vor, weist auf den Zusammenhang von Politik und Religion hin, widmet dem Thema Frauen und Sufismus zwei kleine Kapitel - und nicht zuletzt kann man seine Verehrung für die Dichter spüren, die den Sufismus weltweit bekannt gemacht haben: Rumi, Ibn al-Arabi, Omar Khayyam und auch Kabir, den hinduistischen Sufimeister. Denn das ist ja das besondere am Sufismus, dass er - zumindest in Indien - nicht nur für Muslime attraktiv und offen war.

Tatsächlich gibt es viel mehr über den Sufismus zu sagen, als es in diesem Buch steht, sowohl über den früheren wie auch über den von heute, der einerseits wie in Syrien als Bruderschaft gilt, der dem Geheimdienst zuarbeitet, und andererseits in manchen muslimischen Gemeinschaften - vor allem in den wahhabitischen, aber auch in manchen strengen Sunni-Gemeinschaften - regelrecht verpönt, wenn nicht verboten ist. Kaschmir etwa galt nicht zuletzt deshalb so lange als paradiesischer Hort, weil sein Islam recht weich gelebt wurde, und noch heute zeugen mittlerweile museale Stätten von Sufi-Schulen davon.

Eine große Kennerin der Materie war Annemarie Schimmel, und ihre verschiedenen Bücher darüber sind bislang uneingeholt. Sie taucht übrigens in einer interessanten Anekdote bei Schweizer auf: Als er einst einen tunesischen Theologen traf, der sich mit islamischer Mystik beschäftigt, und sich von ihm Hinweise auf spezielle Quellen erhoffte, verwies der Theologe ihn auf die deutsche Islamwissenschaftlerin. Sie sei seine wichtigste Informationsquelle. Und überhaupt könnten muslimische Autoren am meisten von westlichen Orientalisten über den Sufismus lernen. Ob dies auch nach dem 11. September so freimütig eingestanden würde, bleibt dahingestellt.

Ob es die muslimischen Sufis, die jüdischen Chassiden oder christliche Mystiker sind - all diese hingebungsvollen und die persönliche Vereinigung mit Gott suchenden Gruppen sind vermutlich überhaupt nur zu begreifen, wenn man sich tatsächlich auf sie einlässt. Das muss nicht bedeuten, dass man sich ihnen verschreibt, aber zumindest sollte das Herz so offen sein, dass es wenigstens eine kleine mystische Erfahrung hereinlässt. Ob sie gleich, wie es der Autor verlangt, "seelisch-körperliche Konsequenzen" haben muss, bleibt ja jedem Bedürftigen überlassen, je nachdem, wie ers braucht - die einen kriegn's gern dicke, die andern stellen sich lieber mit dem Notizbuch nach hinten und schreiben alles ordentlich auf.

Diese immer wieder spürbar zögerliche Haltung, das "Ein Schritt vor und mit zwei wieder auf Nummer sicher zurück", macht Schweizers Buch trotz aller braven Fleißarbeit auf Dauer etwas langweilig und zäh. Man muss ja nicht so vollständig eintauchen, wie es die russische Engländerin Irina Tweedie in ihrem dicken Einweihungswälzer "Der Weg durchs Feuer" (Heyne, 18 Euro) beschreibt - sie traf Ende der Fünfzigerjahre in Indien den hinduistischen Sufi-Meister Bhai Sahib und schrieb auf seinen Wunsch ein Tagebuch ihrer langjährigen spirituellen Ausbildung. Aber ein bisschen mehr Verve hätte man sich schon gewünscht.

Gerhard Schweizer: "Der unbekannte Islam. Sufismus, die religiöse Herausforderung". Klett-Cotta, Stuttgart 2007, 344 S., 22,50 Euro

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