Auktion: Nashornskelette für die Bobos

Was macht das Skelett neben Jonathan Meese? Bürgerliche Sammler kombinieren merkwürdige Gegenstände. Eine Warenkunde

Hier kommt alles unter den Hammer: Auktionshaus Christies Bild: DPA

Am 16. April 2007 wurden bei Christies in Paris ausnahmsweise keine Kunstwerke, sondern Skelette und Fossilien versteigert. Am meisten Aufsehen erregte schon im Vorfeld das komplette Skelett eines Mammuts, 15.000 Jahre alt, das schließlich für 260.000 Euro den Besitzer wechselte. Das Skelett eines eiszeitlichen Wollnashorns brachte immerhin noch 100.000 Euro. Insgesamt wurden 87 Stücke aufgerufen, wobei das älteste ein Überrest eines 400 Millionen Jahre alten Gliederfüßlers war. Doch das Bemerkenswerteste an der Auktion dürfte sein, dass nicht etwa Naturforscher oder Paläontologen die erfolgreichen Bieter waren, sondern mehrere Sammler moderner und zeitgenössischer Kunst diese Stücke erwarben. Was aber sollen Kunstsammler mit Versteinerungen und Skeletten, ja mit "Werken" der Natur anfangen? Geht es hier um die Wiedererfindung einer Kunst- und Wunderkammer? Oder um einen Spleen? Oder einfach nur um Anlagenotstand?

Das Beispiel macht deutlich, dass Sammler sich mittlerweile so benehmen, wie es eigentlich typisch für eine besondere Spezies von Konsumenten ist. Diese wurden in den letzten Jahren gerne als Bobos (bourgeoise Bohemiens) bezeichnet; zugleich hat man es bei ihnen mit den erwachsen gewordenen Angehörigen der "Generation Golf" zu tun. Sie sind Konsumbürger und haben den Ehrgeiz, sich durch eine überraschende Kombination von Gütern zu profilieren. Statt sich etwa nur auf hochpreisige Marken zu beschränken und damit Kennerschaft und Reichtum zu beweisen, gehen sie auch in einem Second-Hand-Shop oder auf einer Fernreise auf Einkaufstour, mischen Altes und Neues, Schickes und Legeres auf provokante, ironische oder frivole Weise. Verleihen sie Bekanntem einen neuen Dreh, dürfen sie sich für originell halten, und manchmal gelingt es ihnen sogar, alternative Konsummuster zu etablieren. Wenn sie also eine poppige Kinderkette aus Plastikkugeln zusammen mit dem Collier einer Premiummarke um den Hals tragen, erscheinen sie als Vorbild jener Kunstsammler, die sich nicht länger auf ihr angestammtes Terrain beschränken, sondern plötzlich ein Mammutskelett neben Arbeiten von Jonathan Meese, Hanne Darboven oder Jeff Koons platzieren. Sie wollen damit ähnlich originell auftreten wie die Künstler, die sie sammeln.

Doch gilt nicht nur, dass der Sammler sich am engagierten Konsumenten orientiert; vielmehr trifft ebenso - und schon länger - das Umgekehrte zu. Da nämlich in einer Wohlstandsgesellschaft der Gebrauchswert der Dinge in den Hintergrund gegenüber einem Symbol- oder Fiktionswert, gegenüber ästhetischen und emotionalen Faktoren tritt, kaufen viele nicht mehr nur das, was sie dringend benötigen, sondern was sie am meisten anspricht. Ihnen geht es darum, eine persönliche, vielleicht sogar innige Beziehung zu ihren Sachen aufzubauen. Genau dasselbe aber beschäftigt den Sammler, der auch der Erste war, der sich für Dinge nicht aufgrund ihres Gebrauchswerts interessiert hat: Wer Waffen sammelt, hat bekanntlich gerade nicht vor, damit in den Kampf zu ziehen, sondern findet Gefallen an ihren Formen oder ihrer Vorgeschichte. Sammler erkannten somit vor allen anderen, dass Dinge zusätzliche Bedeutungen bekommen können, sobald man sie von ihrem Gebrauchswert emanzipiert.

Heute werden Konsumenten vom Marketing oft sogar ausdrücklich wie Sammler angesprochen. So ist es seit einigen Jahren beliebt, ein Produkt - von der Tafel Schokolade bis zum Automodell - als "limited edition" zu deklarieren. Auch wenn kaum einmal angegeben ist, in welcher Auflagenhöhe ein solches Produkt existiert, scheint allein der Hinweis auf seine Limitiertheit adelnd zu wirken: Das jeweilige Stück wird dann von vornherein nur noch am Rande in seinem Gebrauchswert wahrgenommen; dafür erhält es die Aura des Exklusiven und Bedeutsamen, wobei offen bleibt, worin die besondere Bedeutung besteht. Sie zu bestimmen, ja den semantischen Spielraum zu nutzen, der dadurch geschaffen wird, ist dem einzelnen "Sammler" und Konsumenten überlassen.

Die Zeiten, in denen Sammeln und Konsumieren geradezu entgegengesetzte Tätigkeiten waren, sind also vorbei. Je weniger der Konsum gebrauchswertorientiert stattfindet, desto weniger besteht er auch im Verbrauchen von Gütern, sondern stellt ebenso eine Wertschöpfung - die Genese von Bedeutung und Codes - dar wie das Sammeln. Sammler und Konsument können gleichermaßen in die Rolle des Prinzen schlüpfen, der in einem Aschenputtel als Erster die mögliche Prinzessin erkennt und sonst Übersehenes allein durch seine Auswahl aufwertet. Sie konkurrieren darum, wer am findigsten und gewitztesten auftritt - und sie kommen beide darin überein, Dinge in wechselnde Zusammenhänge zu bringen und auf diese Weise immer wieder interessant und bedeutsam, ja begehrenswert erscheinen zu lassen.

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