die wahrheit: Am Tatort
Schwabinger Krawall: Scherben bei Nacht.
D er junge Kollege mit der modischen Frisur, der Polizeioberwachtmeister Stanggradl auf Streife begleitet, war schon den ganzen Abend unmutig. Das sei vielleicht eine fade Gegend, sagt er, und im Glockenbachviertel habe es früher wenigstens eine anständige Schwulenszene gegeben, die man aufmischen habe können. POM Stanggradl nimmt das Gejammer mit stoischer Ruhe. Dann aber, in der Bismarckstraße, wo es sonst höchstens laut wird, wenn Wochenendtouristen von der Münchner Freiheit in die Vorgärten urinieren, tut es einen Schepperer, und direkt vor dem Streifenwagen zerplatzt ein großes Gefäß.
Sofort springt der junge Kollege aus dem Auto, um den Tatort zu sichern. Sämtliche Fenster am Eckhaus sind geöffnet und mit neugierigen Gesichter besetzt, nur eines nicht. Da habe wer eine Vase aus dem Fenster geschmissen, ruft eine alte Frau. Ein gezielter Anschlag könne nicht ausgeschlossen werden, meint der junge Kollege und will Verstärkung herbeirufen. Das lasse er lieber bleiben, rät POM Stanggradl, wenn er nicht wolle, dass das ganze Revier über ihn lache.
Dann werde er jetzt Zeugenaussagen aufnehmen, verkündet der junge Kollege. Für einen Moment wird in dem dunklen Fenster im ersten Stock ein männlicher Kopf sichtbar. "Hallo, Sie da!", ruft POM Stanggradl, und eine hysterische weibliche Stimme antwortet, es sei "niemand da". Der junge Kollege, der soeben noch forschen Schrittes auf das Haus zuging, überlegt und meint, weit weniger selbstsicher, in diesem Fall, da ein Täter nicht zu ermitteln sei, müsse man wohl die Scherben zusammenkehren und weiterfahren.
Er holt einen Handbesen aus dem Auto und macht sich an die Arbeit, staunend beobachtet von POM Stanggradl, der sagt, er werde doch besser hinaufschauen, ob in der Wohnung im ersten Stock alles in Ordnung sei. Das könne er sich sparen, meint der junge Kollege, bei den Bewohnern handle es sich um einen bestens beleumundeten Haarstylisten und seine Freundin, denen derlei nicht zuzutrauen sei. Woher er die Leute kenne, wenn er hier neu sei, fragt POM Stanggradl und läutet. Das habe man ihm halt so erzählt, stottert der junge Kollege und zieht die Dienstmütze tief ins Gesicht.
Mit vielem hat POM Stanggradl gerechnet, aber nicht damit, dass ein Tobsüchtiger mit tiefrotem Gesicht die Tür aufreißt, der brüllt, man werde wohl das eigene Eigentum hinwerfen dürfen, wo man wolle, das sei außerdem nicht er gewesen, sondern die "lesbische Drecksau", die sich jetzt im Klo eingesperrt habe, und das alles gehe die "Bullerei" einen "Scheißdreck" an, zumal er "den da", den "feigen Deppen", bestens kenne und notfalls "auffliegen" lasse. Jetzt solle man ihm "den Schuh aufblasen" und sich schleichen, sonst werde er "hantig".
POM Stanggradl ruft gleich Verstärkung, lässt die Wohnung durchsuchen, fünf Gramm Kokain sicherstellen und den Mann abführen. Vor Gericht muss er jedoch allein als Zeuge antreten, weil sich der junge Kollege vor Verhandlungsbeginn "aus persönlichen Gründen" in den Bayerischen Wald versetzen lässt und auf Nachfrage angibt, er habe von den Vorgängen überhaupt nichts mitbekommen und wolle der Staatskasse unnütze Reisekosten besser ersparen.
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