piwik no script img

Im StriplokalDie auf den Tischen tanzen

Herr Hefele sündigt: Ein todesmutiger Besuch im Striplokal. Mit falschen Dollars, gefährlichen Russen und der geknechteten Jelena.

Irgendwie blond und billig: Schüler im Striplokal im Kinofilm "Crazy" Bild: dpa

Das Lokal ist schon von außen so, wie man sich solche Lokale vorzustellen hat. Table-Dance. Eine wild flimmernde Leuchtreklame, ein abgewrackter Chevrolet schief aufgebockt vor dem Eingang. Ich werfe einen scheuen Blick in den Schaukasten. Die Damen im Schaukasten haben wenig an. Logisch.

Es ist noch früh am Abend und auf den paar Stufen, die zum Lokal führen, sitzt ein kahlgeschorenes Individuum im Unterhemd. Der junge Herr trägt eine dicke Goldkette um den - wie mir scheint - feisten Hals und ist natürlich von oben bis unten tätowiert. Knastmode. Hundertpro. Der junge Herr sagt freundlich "guten Abend", aber mir kann der nichts vormachen. Möchte nicht wissen, was der auf dem Kerbholz hat. Ich ziehe eine optimistische Grimasse und erklimme mit schnellen Sidesteps die Stufen zum Lokal. Nur dem nicht den Rücken zudrehen. So einer wartet nur darauf.

Uff! Gott sei Dank drinnen. Gott sei Dank dem Tätowierten entkommen - außerdem - man könnte ja gesehen werden. Zumal das Lokal direkt vor dem Haus mit den vielen roten Herzen im Fenster liegt. Jedenfalls schnell hinein. "Halt" sagt eine Stimme. Ein anderer kurzgeschorener Herr taucht hinter einer kleinen Theke auf. Eine auffällig unauffällige Theke. Hinter solchen Theken liegen die abgesägten Schrotflinten. "Es kostet Eintritt", sagt der Herr und ich zucke zusammen. "Sechs Euro, inklusive einen Dollar." "Bitte? Dollar?" Ist das schon Erpressung? Schweigegeld? Schutzgeld? Die Dollars sind aber keine echten Dollars, erklärt mir der Thekenherr scheinheilig freundlich, es sind sogenannte Dollars. Dollarähnlich bedruckte Scheine, die statt eines Präsidenten eine mager bekleidete Dame im Wappen führen. Sie dienen dazu, den Tänzerinnen zugesteckt zu werden. "Zugesteckt?" "Ja, zugesteckt." Ich bemühe mich um ein eingeweihtes Schmunzeln. In Wirklichkeit kann ich mir unter "zugesteckt" nichts Rechtes vorstellen. Man wird sehen.

Erst mal sieht man aber nichts. Bzw. fast nichts. Es ist nämlich ziemlich schummerig im Innern des Lokals. Eine lange Theke vor einer gläsernen Barwand. Mehrere kleine Tischchen im Raum und mehrere kleine Sitzgruppen an dem Wänden. Die Hocker sind mit Leoparden-Fell-Imitat bezogen. Im Zentrum des Geschehens eine nicht sehr große, sich durch den Raum schlängelnde Bühne mit Stangen, die bis zur Decke reichen. Diese Stangen kenne ich. Rotlicht. St. Pauli usw. Ich klemme mich hinter ein Stehtischchen. Wenig los heute. Noch wenig los, ich bin zu früh. Die, die im Milieu verkehren, scheuen das Licht des frühen Abends. Vor Mitternacht gehen die nicht aus dem Haus.

Hinten an der Theke drei rauchende Damen, die lasziv die Beine übereinander geschlagen haben. Allesamt irgendwie blond und billig. "Aha", denkt es in mir "das sind sie also, die Bordsteinschwalben." Ein einzelner, asiatisch aussehender Kunde an der Bar. Er hat eigentlich nichts Auffälliges an sich, trotzdem kommt er mir zwielichtig vor. Verschlagen. Asiatisch eben. Ich taste rasch nach meinem Portemonnaie. Es ist noch da. Plötzlich öffnet sich der schwere rote Vorhang, der die Bar vom Eingangsbereich trennt, und ein rundlicher, unrasierter Herr im Trainingsanzug tritt schwungvoll herein. Diese Russen! Nicht mal ins Bordell gehen die ohne ihren Trainingsanzug. Nicht mal die von der Russenmafia. Wahrscheinlich will er Schutzgeld kassieren!

Jetzt wird es spannend. Die drei Damen am Tisch winken ihm devot zu und lassen sich von ihm auf die Wange küssen. Wird wohl besser für sie sein, mit den Jungs von der Russenmafia ist nicht zu spaßen. Ein aufmerksames junges Fräulein bringt mir Wein und bittet um sofortige Begleichung. Ich schmunzle wieder wissend: bei dieser Kundschaft verständlich, denen kann man doch keinen Millimeter über den Weg traun.

Und dann geht auch schon das Programm los. Ein Art Disc-Jockey, verströmt erstens geheimnisvoll wabernden Nebel und: "Jetztaa kommt-aa Jellenaaaa!" Jellenaa mag so Anfang zwanzig sein und ist russisch hübsch. Ich schiele zu dem Trainingsanzug. Wahrscheinlich gehört ihm Jelena. Wegen ihrer Rauschgiftsucht, die er ihr aufgezwungen hat. Verschlagener Tartar, der er ist. Dazu ist Jelena auch noch behindert. Sie scheint eine Problem mit ihren Beinen zu haben, denn sie trägt riesige durchsichtige Klumpschuhe. Schon die Bay City Rollers haben sich in solchen Schuhen die Gelenke ruiniert. Solche Schuhe sind der Albtraum eines jeden Orthopäden. Wahrscheinlich dienen diese Klumpschuhe dazu, um Jelena an einer impulsiven Flucht zu hindern. "Mit dissen Schuhään chommst du niacht weit!", ich kann mir die Szene geradezu bildlich vorstellen. Der grölende Tartar in seinem glitzernden Trainingsanzug, vor ihm wimmernd die geknechtete Jelena. Trotz aller Tragik - Jelena tanzt - the show must go on. Nun gut, sie tanzt nicht im eigentlichen Sinne. Ihr tänzerischer Vortrag besteht darin über die Bühne zu schlendern, sich ab und zu um die Stangen zu winden und dabei Kleidung abzulegen.

Jelenas Kolleginnen rauchen derweil ausdauernd (Haschisch?) und wippen gelangweilt mit den Beinen; die Bemühungen der geknechteten Russin schlaff betrachtend. Wahrscheinlich stehen sie allesamt unter Drogen und werden zusätzlich von der Russen-Mafia beobachtet. Inzwischen ist die Künstlerin mit ihrem Latein am Ende und torkelt auf ihren viel zu hohen Plateau-Sohlen zu Tale. Genauer: zu dem Herrn an der Theke, der ihr etwas in den Tanga steckt. Aha: zustecken. Jetzt hab ichs auch kapiert und falte schon mal meinen Dollar, um bereit zu sein. Jelena kommt und ist auch aus der Nähe hübsch. Ich stecke ihr weltmännisch den "Dollar" zu und nicke dem geknechteten Wesen tröstend zu. Sofort fragt Jelena leiernd: "Kann ich mich zu dir setzen?" Ich glotze wohl ziemlich hohl, denn sie bemüht sich nun, freundlich mit den angeklebten Wimpern zu klimpern: "Wir könnten uns unterhalten". "Unterhalten? Ja gut, warum nicht?" Ich schiele nach ihrem Beschützer an der Theke. Vielleicht besser so und gegen unterhalten gibt es beim besten Willen nichts einzuwenden. Und doch sehe ich plötzlich schemenhaft Szenen aus alten Filmen, in denen gutgläubige Bauerntölpel von jungen, unschuldig dreinblickenden, hübschen Damen um ihr Erspartes gebracht werden. "Ja gut, warum nicht?" Ich hätte wohl auch: "Wenn du mich ausrauben möchtest, nur zu", sagen können. Ich kann auch nicht mehr zurück, denn Jelena ist schon am Davonstöckeln. Sie sagt noch, sie wolle sich frisch machen und was Schönes anziehen.

Was nun? Einfach davonrennen? Meinen Wein habe ich ja schon bezahlt. Einfach, so schnell es geht, an dem kahlrasierten Herren vorbei. So schnell, dass der die abgesägte Schrottflinte nicht mehr durchladen kann. Eine gute Idee, aber nicht sehr elegant. Außerdem kommt Jelena schon zurück. Sie trägt eine Art modischer Alufolie. Jelena möchte, dass wir es uns gemütlich machen, in einer der Leopardenfell-Sitzgruppen: "Ich komme aus dem Kaukasus. Was machst du so?" Ich sage ihr, was ich so mache, und sie lächelt starr. "Tanzt du schon lange?", mir fällt auch nichts Gescheites ein. "Macht es Spaß?" Sie zuckt verloren lächelnd die Schultern: "Doch, es ist schön. Nur manchmal trinke ich zu viel. Ich bin Russin du weißt ja " "Ich verstehe " murmle ich betroffen. Eine solche unwürdige Existenz hat schließlich schon andere in den Alkohol getrieben. Um ein Haar hätte ich ihr juveniles Knie getätschelt. Aber ich kann mich gerade noch zurückhalten. Schließlich: Wäre ich dann besser als der im Trainingsanzug? Wenn ich scheinheilig die Situation dieser jungen Frau ausnützte.

Ob Jelena die Betroffenheit in meinem Blick sieht? Deutet? Sie sagt: "Darf ich einen Cocktail?" Ich zögere nur kurz, denn um diese Entscheidung treffen zu können, hätte ich mir, fehlsichtig wie ich bin, die mit winzigen Schriftzeichen versehene Getränkekarte millimeternahe vor die Nase halten müssen. Ich hätte einen geizigen, alten Tatterer wie aus dem Bilderbuch abgegeben. "Darf ich einen Champagnercocktail?" Schöne Zwickmühle. Einerseits wird das sicher nicht billig, andererseits fühle ich die Äuglein des Trainingsanzugs auf uns ruhen und ahne, dass diese junge Frau Kasse machen muss, um zu überleben. Auf jeden Fall bin ich schon zu weit in die unheimliche Szenerie verstrickt, um jetzt noch umkehren zu können: "Klar. Champagner. Muss auch mal sein."

Jelena strahlt und tätschelt mein Knie: "Du bist nett. Was machst du so?" Ich sage es ihr noch mal, aber sie ist nicht recht bei der Sache und winkt energisch dem Fräulein an der Theke. "Du bist also aus Kasachstan?" "Kaukasus". Dann schweigen wir wieder und sehen einer Marion zu, wie sie auf der Bühne Dehnübungen vollführt. Gott sei Dank kommt das Thekenfräulein und bringt den Cocktail. "Fünfzig" sagt sie. Ich macht mir eine Hörmuschel: "Fünf wie?" Sie muss herzlich lachen: "Fünfzig, du hast schon richtig verstanden." Jelena strahlt: "Ich kriege Prozente." Wir sehen uns stumm an und mir wird nun klar, dass dieser Champagnercocktail tatsächlich fünfzig Euro kosten soll. Kosten wird. Für einen Moment werde ich richtig wütend: "Und wie viel kriegt der?", ich schleudere meinen Schädel in Richtung Theke. "Wer?" Jelena lächelt immer noch erfreut. "Na, der Russe da " "Welcher Russe?" Das kassierende Fräulein sagt: "Das ist Horst. Er hat geerbt. Der ist jeden Abend da."

Horst? Nicht Ivan? Jeden Abend ? Fast hätte ich das auch noch geglaubt. Die können mir viel erzählen. Ich nicke und zwinkere den Damen zu, zahle mürrisch und betrachte traurig den einzigen mir noch verbliebenen Fünf-Euro- Schein. Teure gute Tat das.

Als Marion vor mir auftaucht. Undeutlich nehme ich ihr Tattoo wahr und den String-Tanga. Und ich weiß, als nunmehr routinierter Table-Dance-Kunde, was dies bedeutet: Meine letzten fünf Euro bin ich auch los. Für heute habe ich genug vom Rotlichtmilieu. Und mehr an Solidarität mit von der Russenmafia geknechteten Frauen kann man von mir nicht verlangen. Ich tätschle kurz Jelenas kaukasisches Knie und murmle irgendwas von einem Termin. Und lasse zügig die Leopardenbezüge und den mich erstaunt betrachtenden kurzgeschorenen Herrn und den Chevrolet zurück. Und es ist mir, als hörte ich Jelena aus der schummrigen Tiefe noch rufen: "Was machst du so?"

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

3 Kommentare

 / 
  • LK
    Lars Koke

    Ohje, 50,- für einen Drink? Ich hatte bei meinem ersten Besuch einer solchen Lokalität einen Lap-Dance für 60,-. Der war sicher heisser als das anregende Gespräch!

  • KP
    Kay P

    Bis zum Ende gelesen?

    Ich mein hier wird ein Klischee nach dem anderen Rausgeholt, nur um am Ende zu zeigen das der Autor sich zum einen irrt und von der Dame übers Ohr haun lassen hat, nur wiel etwas annahm, was er aus seinen Vorurteilen ableitete, dass wiederum nicht der wirklichkeit entsprach.

     

    Mich würde mal interessieren was Sie von dem Film "Borat" halten, der auf ähnliche Art und weise mit Vorurteilen umgeht und die idiotie unsere Gesellschaft, in diesem Falle die der USA, aufzeigt.

  • MG
    Magdalene Geisler

    Jetzt verstehe ich, warum das neue online Layout so schwarz ist, es "korrespondiert" mit dem Niveau mancher Beiträge.

    Klischees aufzuspießen ist ja sicherlich eine segensreiche und nützliche publizistische Tätigkeit, aber so plump und so blöd - das ist schon bemerkenswert.

    Magda Geisler