Deutschland ist ein Waldland

Wer hätte das gedacht: In der Holz- und Forstwirtschaft arbeiten mehr Menschen als in der Automobil-Industrie. Münsteraner Forscher fordern deshalb bessere Rahmenbedingungen und ein neues Selbstverständnis für die einheimische Forstwirtschaft

VON HOLGER ELFES

Während Wissenschaftler ferne Planeten und die Tiefsee erkunden, ist über den deutschen Wald Wesentliches noch unbekannt. Obwohl die Holz- und Forstwirtschaft in Deutschland mehr Arbeitnehmer beschäftigt als die Automobilindustrie. Zu diesem Ergebnis kam die „Cluster-Studie Forst und Holz Deutschland“ des Wald-Zentrums der Universität Münster.

Die Forst- und Holzwirtschaft hat im Industrieland Deutschland eine wesentlich größere arbeitsmarktpolitische Bedeutung als bisher angenommen, geht aus der Studie, die in Kooperation mit dem Hauptverband der Holz und Kunststoffe verarbeitenden Industrie und verwandter Industriezweige (HDH) entstand, hervor.

Es gibt rund zwei Millionen Waldbesitzer, etwa 185.000 Betriebe, mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte und einem Umsatz von ungefähr 181 Milliarden Euro. Damit arbeiten in der Wertschöpfungskette Wald und Holz deutlich mehr Menschen als etwa in der Chemischen Industrie (465.000), der Automobilindustrie (780.000) oder der Elektrotechnik (810.000). „In Politik und Gesellschaft wird die Bedeutung der Forst- und Holzwirtschaft gemessen an diesen Daten stark unterschätzt“, sagt Andreas Schulte vom Wald-Zentrum der Uni.

Offenbar sahen die Statistiker bisher den Wald vor lauter Bäumen nicht. Vor allem wegen erheblicher methodischer Fehler bei der Erfassung der Strukturdaten der Forst- und Holzwirtschaft erscheint es den Forschern als sicher, dass die arbeitsmarktpolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung der Forst- und Holzwirtschaft regional, bundesweit und in der erweiterten EU völlig falsch dargestellt wird. Dies führe zu erheblichen ökonomischen Nachteilen, weil die Branche so kaum wirtschaftspolitische oder wissenschaftliche Förderung erhalte. Angesichts der für weite Teile der deutschen Forst- und Holzwirtschaft schwierigen und sich weiterhin verschlechternden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sei es dringend erforderlich, ein neues, branchenübergreifendes Selbstverständnis zu finden.

Mit dem in anderen Wirtschaftsbereichen bereits erfolgreich etablierten Clusterkonzept soll nun eine grundlegende Trendwende in der deutschen Forst- und Holzwirtschaft eingeleitet werden. Erster Schritt ist die Veröffentlichung der wichtigsten Strukturdaten in der aktuellen Clusterstudie. Es gelte nun, diese wichtige Rolle des Waldes sowie des Roh- und Werkstoffs Holz in die Öffentlichkeit und Politik zu tragen. In Deutschland würden vor allem die so genannten Zukunftstechnologien wie zum Beispiel die Biotechnologie gefördert, die mit etwa 10.000 Beschäftigten weniger als ein Prozent der Beschäftigten in der Forst- und Holzwirtschaft vorweisen könne.

Während die weltweit stark wachsenden Teilbranchen der Holzwerkstoffindustrie oder der Holzenergie etwa in Österreich Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik sind, erscheinen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in der Holzwirtschaft in Deutschland als marginal. Andreas Schulte: „Holz wird noch nicht ausreichend als nachhaltiger und innovativer Rohstoff der Zukunft wahrgenommen.“ Damit gingen Arbeitsplätze und Wertschöpfungsmöglichkeiten vor allem im ländlichen Raum in Deutschland verloren, so der Forscher. Dabei mangele es nicht am Rohstoff Holz, denn die Wälder Deutschlands sind die holzreichsten Europas – noch vor Finnland oder Österreich, die gemeinhin als „Waldländer“ gelten.

Deutschland könnte ohne den Waldbestand zu gefährden die Holzproduktion um ein Drittel steigern, errechnen die Waldforscher. Aufgabe der Zukunft werde es daher sein, die Rahmenbedingungen der mehr als zwei Millionen privaten und kommunalen Waldbesitzer so zu verbessern, dass sie wie in den vergangenen Jahrzehnten ausreichend Holz zur Verfügung stellen können, ohne die anderen gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald vernachlässigen zu müssen.