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DokumentationDer bequeme Tod

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Allein gelassen im Feindesland: Die Dokumentation "Kriegsbeute Mensch" (20.40 Uhr, Arte) spürt den Schicksalen von verratenen Soldaten nach

Glück gehabt: Kriegsgefangene US-Soldaten bei ihrer Rückkehr auf der US-Air-Base Ramstein (2003) Bild: dpa

Nobody is left behind": Niemand wird zurückgelassen. Sei es lebendig oder tot. Dieses Versprechen gegenüber den Soldaten gehört seit langem zu den unantastbaren Grundsätzen der US-Armee. Es ist ein entscheidender Faktor für die Moral von Truppen - vor allem dann, wenn sie in fernen Ländern kämpfen. Und deshalb ist es ein besonders heikles Thema, wenn dieses Versprechen gebrochen wird.

"Kriegsbeute Mensch. Wie Regierungen ihre Soldaten verraten" lautet der Titel der Dokumentation von Dirk Pohlmann. Es geht darin um US-Soldaten, die - so Pohlmann - ein "finsteres Geheimnis" umgibt: Sie wurden zurückgelassen. Schon im Ersten Weltkrieg, danach im Zweiten, in Korea und in Vietnam. Und keineswegs nur als Gefallene: "Im Feindesland. Als Kriegsgefangene."

Öffentlich haben US-Regierungen und die US-Militärbürokratie niemals eingeräumt, was Wissenschaftler, Journalisten und auch Angehörige von Vermissten seit Jahrzehnten immer wieder behauptet haben: dass Soldaten von US-Behörden einfach für tot erklärt wurden, wenn dies aus politischen Gründen bequemer war, als zuzugeben, dass weiterhin Hunderte oder gar Tausende als Gefangene lebten.

Die Kontroverse um jeden Einzelfall endete nicht mit dem jeweiligen Krieg. Noch Jahrzehnte später können neue Aktenfunde jederzeit für einen Skandal sorgen. Anfang der 90er-Jahre bekam Harvard-Professor Steven Morris Zugang zu Dokumenten des sowjetischen Militärgeheimdienstes aus der Zeit des Vietnamkrieges. Sie legten den Schluss nahe, dass die Zahl der US-Kriegsgefangenen im ehemaligen Feindesland weit höher war als von der Militärbürokratie behauptet.

Die New York Times druckte die brisanten Akten - die CIA erklärte sie prompt zur Fälschung. Morris selbst berichtet von Einschüchterungsversuchen der US-Geheimdienste. Kein Einzelfall, sagt Dokumentarfilmer Dirk Pohlmann: Die meisten Zeitzeugen, die in seinem Film aussagten, "seien bedroht oder überwacht worden: nur ein Beispiel dafür, welche Brisanz das Schicksal der verratenen Soldaten bis heute besitzt."

Kein Wunder: Immerhin sollen allein in Korea etwa 8.000 Soldaten zurückgelassen worden sein. In den sowjetischen Gulags sind angeblich nach dem Zweiten Weltkrieg sogar mehr als 24.000 US-Gefangene verschleppt worden. Sie waren ursprünglich in deutschen Lagern untergebracht, die beim Vormarsch der Roten Armee überrannt wurden. Offiziell bestätigt ist all das nicht. Im Hinblick auf Vietnam kommt ein US-Untersuchungsausschuss immerhin zu dem Ergebnis, "eventuell" seien "einige" Soldaten zurückgelassen worden.

Der Film von Dirk Pohlmann kann nicht alle Widersprüche und Rätsel lösen. Aber das akribisch zusammengetragene Material und die zahlreichen Interviews lassen zumindest an etwas keinen Zweifel: dass die Öffentlichkeit absichtlich im Dunkeln gelassen wird. Die Wahrheit werde "planmäßig" verschwiegen, so der Autor. Beteiligt daran seien Regierungen, Politiker aus beiden großen US-Parteien und die US-Militärbürokratie. Alle hätten bei diesem Thema Leichen im Keller.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).

1 Kommentar

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  • AZ
    Anke Zöckel

    Der Artikel lässt einmal mehr tief blicken. Gibt es denn schlimmere Verräter als die, die einen in den Tod schicken für nichts und wieder nichts? Was ist ärgerlicher, als von Leuten verheizt zu werden, die einen weder kennen noch kennen lernen wollen und die in einem nichts weiter sehen als ein billiges Mittel zur Erreichung ihrer ganz individuellen Ziele? Die mächtige US-Regierung weiß es genau: Viel schlimmer noch, als ein sinnloser Tod, ist ein Überleben (respektive ein begraben bleiben) in "Feindeshand bzw. -land". Na dann..!

     

    Nebenbei: Sehr verbreitet kann das Vertrauen in die Genfer Konvention und die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen in Gottes eigenem Land noch nicht sein - wenn man da seine Lieben lieber tot wissen möchte, als in der Hand von Nicht-Amerikanern...! Fehlt nur noch, dass man jene Todgesagten, die aus eigener Kraft oder auf Grund von Gnadenerweisen heimkehren, zum Staatsrisiko erklärt und zum Zwecke der Zwangsarbeit in Lager deportiert - vorzugsweise nach Sibirien. Wenn sie da verrecken, fragt nachher wenigstens keiner, ob es das Wert war.