Aserbaidschan-Angebot: Ein genialer Bluff der Russen

Putin hat Bush ein altes Radarsystem in Aserbaidschan als Ersatz für den Anlagenbau in Tschechien angeboten. So gelingt es ihm, Europa erneut zu spalten.

Putin: Überraschungscoup in Heiligendamm. Bild: dpa

MOSKAU taz Russlands Generalstabschef Juri Balujewski konnte seine Freude über Putins Überraschungscoup auf dem G-8-Gipfel nur mit Mühe verbergen. In Heiligendamm sorgte der russische Präsident mit dem Vorschlag, eine russische Radarstation in Aserbaidschan zusammen mit den USA zu betreiben, für Furore.

Zurück in Moskau, legte Balujewski, der den Plan nach eigenen Worten mit ausgeheckt hatte, noch einmal nach: Die Initiative mache die US-Pläne eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien überflüssig. Beim Besuch des Kremlchefs an diesem Wochenende auf der Familienranch der Bushs in Maine erwarten die Russen nun eine offizielle Antwort. Doch wie immer die USA entscheiden werden, eigentlich haben sie schon verloren.

Zunächst waren es die USA, die Russland aufforderten, sich an der Errichtung eines gegen "Schurkenstaaten" gerichteten Abwehrsystems zu beteiligen. Moskau zeigte jedoch kein Interesse. In einer geschickten Kampagne verbreitete der Kreml stattdessen die Sicht, das System an der europäischen Ostgrenze gelte nicht potenziellen Bedrohungen aus dem Iran oder Nordkorea, sondern ziele vornehmlich auf Russland. Gleichzeitig stritt Moskau ab, dass von den "Schurkenstaaten" überhaupt Gefahr ausgehen könnte.

Geht Washington nun auf das Aserbaidschan-Angebot des Kreml ein, mag dies zwar antiamerikanische Stimmungen in einigen westeuropäischen Ländern etwas abkühlen. Die osteuropäischen Staaten würden aber verunsichert. Mit dem EU- und Nato-Beitritt wollten sie sich dem Einfluss Russlands entziehen. Durch die Hintertür wäre es Moskau nun wieder gelungen, die Interessen der früheren Sowjetvasallen zu beeinträchtigen.

Russlands Militärs fühlen sich von dem Raketenschirm nicht bedroht. Moskau ist daran gelegen, die Dislozierung des Systems in Polen und Tschechien sowie US-Präsenz in der Region zu verhindern. Überdies hoffte der Kreml, die USA würden sich langfristig aus Europa zurückziehen und dem Aufbau eines europäischen Verteidigungssystems Platz machen.

Die Errichtung von US-Basen erschwert jedoch die Entwicklung einer eigenen EU-Verteidigungspolitik. Zumal die USA bewusst über die Nato hinaus zusätzliche bilaterale Kooperationen unterhalten. Dies ruft auch im transatlantischen Bündnis Unstimmigkeiten hervor, die Russland für seine Interessen zu nutzen versucht.

Außerdem gibt es eine Reihe von technischen Gründen, die es fraglich erscheinen lassen, ob die Radarstation im aserbaidschanischen Gabala dieselben Funktionen erfüllen kann wie die geplante Anlage in Tschechien. Der dort geplante X-Band-Radar könnte nicht nur Raketen aus dem Iran erkennen, sondern auch die Flugbahn Richtung Europa verfolgen und die zum Abschuss notwendigen Daten liefern. Nach Ansicht von Experten und Nato-Generalsekretär de Hoop Scheffer liegt Gabala jedoch zu nahe an der iranischen Grenze. Die Anlage deckt bis auf einen kleinen östlichen Zipfel den gesamten Iran ab, nicht aber das Gebiet nördlich Gabalas. Eine iranische Rakete würde binnen kurzem den Radar verlassen. Um sie weiter zu verfolgen, müsste eine zusätzliche Installation gebaut werden.

Dies wird auch russischen Militärs nicht verborgen gewesen sein. Indes wissen die PR-Strategen im Kreml, dass in der westlichen Öffentlichkeit Details, die zu einer begründeten Ablehnung führen könnten, nicht mehr recht wahrgenommen werden. Das Kalkül ging bereits auf, als deutsche Politiker die Initiative eilfertig als aufrichtiges Angebot feierten.

Die Kooperation würde Russland auch gegenüber Aserbaidschan aus der Klemme helfen. Die Anlage in Gabala hat Moskau bis 2012 nur gepachtet. Die Aseris schienen bislang nicht geneigt, den Vertrag noch einmal verlängern zu wollen. Gelegentlich drehten sie den russischen Militärs, die von hier aus Saddam Hussein am Vorabend des Irakkrieges mit sensiblen Daten über US-Bewegungen versorgten, sogar den Strom ab.

Anders sähe es aus, stießen die USA dazu. Aserbaidschan würde sicherheitspolitisch aufgewertet. Baku verspricht sich davon mehr Unterstützung im territorialen Konflikt mit dem Nachbarn Armenien, der Anfang der 90er-Jahre das Gebiet Berg-Karabach annektierte. Noch unterstützt Russland in dem Streit den armenischen Verbündeten. Das könnte sich ändern.

In der Begeisterung für Moskaus Friedensinitiative wurde fast übersehen: Mit dem Vorschlag vollzog der Kreml gegenüber der früheren Position eine 180-Grad-Wendung und räumt ein, dass ein Raketenschild sinnvoll ist und Europa vor Angriffen schützen kann. Gleichzeitig gesteht Russland ein, sich nicht wirklich bedroht zu fühlen. Gabala befindet sich 40 Kilometer vor der russischen Grenze. Erheblich näher als die potenziellen Standorte in Osteuropa. Putins PR-Sieg mag sich daher langfristig als Pyrrhussieg entpuppen. Dennoch war es ein genialer Bluff der Russen.

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