Gegen den Sog antanzen

Die Tänzerin und Choreographin Claudia Hanfgarn zeigt im Theater im Fischereihafen die Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz – und fragt tanzend nach der Dauer der eigenen Arbeit

Sie deckt die Wehmut, die Einsamkeit der an ihre Küche gefesselten Hausfrau mit leiser Ironie und Komik auf

Nichts als ein schmaler Lichtstreifen auf der Bühne. Aus dem Dunkel kommt ein Körper, eine Frau auf Händen und Füßen, aber hoch erhoben wie ein Wesen auf Stelzen. Sobald sie im Licht zu sehen ist, ertastet sie die erleuchtete Fläche, geht langsam zu Boden, rollt sich ein, lebt auf im Licht und erhebt sich.

Die vorsichtigen Bewegungen, der Blick auf den eigenen Körper, den die Hände abfahren, das Gehen und Stehen auf zwei Beinen, das Erlernen des aufrechten Ganges im Licht der Öffentlichkeit, im Bühnenlicht, sind Themen in allen Solostücken der Choreografin und Tänzerin Claudia Hanfgarn, mit denen sie seit einigen Jahren von Bremerhaven aus zu Tanzfestivals im In- und Ausland eingeladen wird.

Das experimentierfreudige „Theater im Fischereihafen“ (TiF) ist ihr Stammhaus, in dem sie jetzt mit zwei neuen Soli Premiere hatte. In „flattern, sammeln“ befragt sie nicht nur das Bewegungsrepertoire der Tänzerin, das sie in kleinen stets wiederholten Bewegungsmustern ausprobiert, einstudiert und erweitert, sondern sie macht die Quelle ihrer Kunst sichtbar: Ihr Körper wird zur Leinwand für das eigene, in Großaufnahme und per Video projizierte Gesicht. Kunst lebt aus der Balance zwischen Nähe und Distanz zum Privaten, so ihre Aussage in diesem zarten Spiel, das mit Licht- und multimedialen Effekten von Peter Melchert und Martin Kemner unterstrichen wird.

So abstrakt das erste Stück, so konkret das zweite: „Ewigkeit erhalten“ zeigt auf der leeren Bühne nichts als einen großen Kühlschrank und im Hintergrund zwei aufgerichtete Eisblöcke, die im kalten Licht wie Grabstelen wirken und allmählich schmelzen. Hier ist sie zu Hause, die Hausfrau im geblümten Kleid aus den klinisch sauberen 50er-Jahren. Die Tänzerin liegt wie eine Puppe auf dem monströsen Küchenmöbel, lässt sich dann herunterfallen, wacht am Boden auf, nähert sich dem Kühlschrank, als sei er ein Geburtstagsgeschenk, öffnet ihn, lehnt sich an seine Wände, rutscht daran herunter, entfernt sich von ihm, tänzelt singend durch den Raum und wird unwiderstehlich von ihm angezogen. Dann öffnet sie die Tür und legt sich in ihn hinein.

Das Bild erinnert nicht zuletzt an die Schriftstellerin Sylvia Plath, die ihren Kopf in den Gasherd gesteckt hat, um sich das Leben zu nehmen. Der Kühlschrank im großen 40-minütigen Solo von Claudia Hanfgarn ist zugleich Objekt der Begierde und Sarg. Dabei bleibt die Tänzerin, die als Musik die nostalgischen Stücke der „17 Hippies“ ausgewählt hat, jederzeit erfrischend leicht.

Sie deckt die Wehmut, die Einsamkeit der an ihre Küche gefesselten Hausfrau mit leiser Ironie und Komik auf, sie zeigt, wie sie sich in ihre Erinnerungen flüchtet, mit selbst gesprochenen Texten und schnell geschossenen Polaroid-Fotos das Elternhaus imaginiert oder fremde Stimmen vom Band zu Wort kommen lässt.

Lauter Fragmente, Lebensschnipsel, die sie aber stärken gegen den verführerischen Sog, für immer im Kühlschrank zu verschwinden. Zu einem düsteren Song von Tom Waits tanzt sie um und gegen den mächtigen Apparat, auf dessen weiße Wände Videobilder vom Meereswasser projiziert werden. Aber anstatt die Tür von innen zu schließen, kommt sie wieder zum Vorschein und schmückt die unbefleckten Wände mit ihren Fotos.

„Ewigkeit erhalten“ ist eine fragile Selbstbefragung, eine Anfrage an die Künstlerin nach der Haltbarkeit ihrer Arbeit, für die sie mit dem Tanz um den Kühlschrank ein starkes und poetisches Bild findet.

Hans Happel

Weitere Vorstellungen: Sonntag, 13. November um 20 Uhr im „Theater im Fischereihafen“ in Bremerhaven.