taz NRW I: J'accuse!
Der Vorstand der taz begründet seine Entscheidung für die Schließung mit dem Satz "Es fehlt der lange Atem." Stimmt nicht!
DÜSSELDORF taz Zeitungen zu schließen ist ein Akt der Barbarei, es verschwindet ein öffentlicher Raum. Das kann man sich nicht schönreden. Erst recht nicht schönschreiben. Als Redaktionsleiter der taz nrw muss ich das gerade erleben und damit das Ende eines Traums. Der drehte sich seit zehn Jahren um eine taz für Nordrhein-Westfalen. Um den Aufbau einer anderen Redaktion, anderer Seiten im Bundesland der Großverleger und Großkonzerne. Als die taz nrw im Dezember 2003 endlich täglich loslegen konnte, da lebte dieser Traum in Köln und Bochum stark wie nie. Wir fühlten uns wie Pioniere.
1997: Junge taz-Freunde in Münster und Bochum gründen Initiativen für eine lokale Berichterstattung der taz in Nordrhein-Westfalen.
1998: Am 2. Oktober erscheint erstmals die taz ruhr. Immer donnerstags liegen fortan der taz im Ruhrgebiet acht Extraseiten bei - produziert von einer Crew unbezahlter taz-Fans in Bochum. Vorerst monatlich gibt es auch die münster taz.
1999: Nach 60 Ausgaben ist schon wieder Schluss. Die taz ruhr wird mangels Geld eingestellt. Die Redaktion trifft sich weiter jeden Donnerstag in der Kneipe.
2000: Ein neuer Versuch für die taz in Nordrhein-Westfalen startet, diesmal mit lokalen Seiten für das Ruhrgebiet, für Münster - und neu dabei: Extraseiten für die Millionenstadt Köln.
2003: Die Zeitungskrise macht auch den neuen Lokalinitiativen zu schaffen. Die Münsteraner müssen aufgeben. Den anderen Standorten stellt die neue "taz Entwicklungs KG" das nötige Investitionskapital für einen Neustart bereit. Nach fünf Jahren Improvisation erscheint die taz ab 8. Dezember täglich mit Lokalteilen in Köln und an der Ruhr.
2005: Journalistisch machen die neuen Lokalteile große Fortschritte, ökonomisch kommen sie aber nur langsam voran, zumal die taz Entwicklungs KG aufgrund einer neuen Gesetzeslage ihre Kapitalakquise vorzeitig einstellen muss. Eine Rettungskampagne soll 1.000 neue Abos bringen - bis 30. Juni. Am Ende sind 650 neue Leser geworben. Die Geschäftsführung verordnet Sparmaßnahmen: Die Lokalteile Köln und Ruhr werden geschlossen, ab sofort gibt es täglich vier Seiten für ganz Nordrhein-Westfalen - die taz nrw. Im Dezember ziehen die Redaktionen aus Bochum und Köln zusammen in die Landeshauptstadt Düsseldorf.
2007: Weil die Gelder der Entwicklungs KG zu Ende gehen, muss die taz nrw noch viel mehr LeserInnen finden, um finanzierbar zu bleiben. Der Aufsichtsrat der Genossenschaft wiederholt deshalb das Ultimatum von 2005: Bis zum 30. Juni müssen weitere 1.000 NRW-Abos zusammenkommen. Anderenfalls muss die taz nrw endgültig aufgegeben werden. Das Ziel wird trotz des großen Engagements der NRW-Redaktion nicht erreicht.
Dabei galt für die taz nrw immer ein besonders strenges ökonomisches Bedingungsgefüge: Die extra dafür gegründete Entwicklungsgesellschaft der taz steckt die eingeworbenen Millionen in die Entwicklung im Westen, dafür wächst dort die Aboauflage Jahr für Jahr um 1.000 Abos. Beides klappte nicht. Erst fehlte Kapital, dann fehlten Abos, nun fehlen neues Kapital und neue Abos, und am Ende des Weges fehlt vor allem die Hoffnung in die Entwicklung der taz.
Es klingt merkwürdig, aber gerade Nordrhein-Westfalen bietet eigentlich Anlass zur Hoffnung. In etwas mehr als drei Jahren gelang es, eine taz-Regionalausgabe auf die Beine zu stellen, wie sie sein soll: eine relevante Zeitung für die wichtigsten Themen im Bundesland, so unterhaltsam, interessant und meinungsfreudig, dass alle politischen Lager gerne mit ihr sprachen, dass die taz nrw viel zitiert wurde, die Regionalseiten ernst genommen wurden - aber nicht zu ernst. In den drei Jahren hat die taz in NRW dennoch nur 1.000 neue LeserInnen hinzugewonnen. Wie schreibt der taz-Vorstand in seiner Presseerklärung zur Schließung: "Es fehlte der lange Atem." Nicht nur. Aus der Distanz in Düsseldorf betrachtet, fehlte es im taz-Verlag in Berlin in den vergangenen Jahren auch an Geschäftsideen und verlegerischem Mut im Westen. Das Aus für die taz in NRW hätte verhindert werden können.
Bereits 2005 wurden Medienfonds wie die taz-Entwicklungsgesellschaft von der großen Koalition gestoppt. Die Kapitalquelle für die Regionalisierung war damit versiegt, und die Kosten brauchten die Rücklagen auf. Dass der Vorstand der taz dennoch keine neuen Investitionsmodelle nicht nur für die taz nrw entwickelte, zeugt vom Mangel an Weitblick. Dass die taz nrw dann in den vergangenen drei Monaten eine Rettungskampagne startete, während die Bundes-taz eine ganz andere Abokampagne laufen ließ mit dem Motto "Die taz ist wahrer Luxus", war denkbar ungeschickt und ließ den Rettungskampf in NRW nicht gerade glaubwürdiger erscheinen. Dass es schließlich sogar noch reichlich Irritationen gab bei der Abrechnung der NRW-Kampagne, auch das geht sicherlich geplanter. Es ist nicht sehr wirtschaftlich, wenn am Ende einer Kampagne nicht alle neuen Abos in NRW gezählt werden, sondern das Ergebnis mit der Bundesauflage verglichen wird. Demnach wäre die taz nrw gerettet worden, wenn die Bundesauflage eingebrochen wäre. Aber ist das gut für die taz?
So bleiben am Ende große Gefühle: Enttäuschung über das absehbare Ende statt eines neuen Aufbruchs an Rhein und Ruhr. Sorge weniger um das fabelhafte Team in Düsseldorf als um die Zukunft der taz, die vier Seiten verliert, ein kompetentes Redaktionsbüro in NRW, ein Marketinginstrument. Aber es bleiben auch Stolz und Freude über die Anteilnahme der FreundInnen, LeserInnen, GenossInnen, KollegInnen am Ende dieses publizistischen Traums im Westen.
CRISTOPH SCHURIAN ist seit 2002 Redaktionsleiter der taz nrw mit Sitz in Düsseldorf.
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