Südafghanistan: Die Hände voll Waffen und Geld

Randall Gilhart, Chef des US-Wiederaufbauteams, fährt übers Land, verteilt Geld für Fußballplätze und Straßen. Parallel läuft der Krieg unbeirrt weiter.

Verschanzt hinter Stacheldraht: Das Gebäude des US-amerikanischen Wiederaufbauteams im südafghanischen Gardes. Bild: dpa

Erster Tag: Am späten Nachmittag rast ein Auto ins Camp. Im Kofferraum liegt ein lebloser Junge mit einem Tropf im Arm. Dem Jungen ist nicht mehr zu helfen. Der Selbstmordattentäter, in dessen Nähe er gestanden hat, hatte kleine Stahlkugeln in seinen Sprengstoff gepackt - eine davon hat den Schädel des 14-Jährigen durchschlagen. Eigentlich ist der Junge schon im Krankenhaus im Stadtzentrum gestorben, aber zwei Verwandte haben ihn hierher, zum Wiederaufbauteam der Amerikaner in Gardes, gebracht. Vielleicht kann hier jemand Wunder vollbringen.

Das kann niemand. Um das zu begreifen, muss man keine knappe Woche als eingebetteter Journalist bei einem Wiederaufbauteam der US-Streitkräfte in Afghanistan verbringen. Aber es hilft einem dabei, zu beobachten, wie diese Teams nicht nur Entwicklungsprojekte vorantreiben sollen, sondern auch, wie sie derart mit Geld um sich werfen, dass es mitunter wirkt, als wollten sie ihre Freunde und Verbündete im Kampf gegen die Taliban kaufen.

25 solche Wiederaufbauteams, betrieben von zehn Nationen, gibt es derzeit in Afghanistan. Deutschland ist für zwei im Nordosten des Landes verantwortlich. Das in Gardes - zuständig für die Loghar- und die Paktia-Provinz, hundert Kilometer südöstlich von Kabul - war im Frühjahr 2003 das erste überhaupt. Damals war das Konzept der helfenden und aufbauenden Soldaten noch heftig umstritten. Vor allem Hilfsorganisationen befürchteten, ihre Mitarbeiter würden durch die Konkurrenz in Uniform von den Afghanen als Konfliktpartei wahrgenommen. Aber die Wiederaufbauteams haben sich durchgesetzt.

Mit seinen 10.000 Einwohnern, dem kleinen Markt und der Festung über der Stadt wirkt Gardes wie jedes verschlafene Provinzstädtchen. Die umliegende Paktia-Provinz gilt als Region, in der die Taliban schwach sind. Womöglich hat das bei der Entscheidung des US-Hauptquartiers in Bagram, den Reporter nach Gardes zu schicken, eine Rolle gespielt. Im Gegensatz zur Helmand-Provinz, der Taliban-Hochburg in Südafghanistan, wurde in der Paktia-Provinz in diesem Jahr kein Schlafmohn angebaut. Aber wie fast überall in der Region gibt es auch hier einen Bezirk, der de facto von den Taliban kontrolliert wird.

Der Mörder des Jungen hatte sich am Nachmittag mitten auf einer Hauptstraße in die Luft gejagt. Wahrscheinlich, weil dort ein paar Stunden zuvor neue Rekruten der Polizei eingeschworen worden waren. Er hat sie nicht getroffen, stattdessen den 14-Jährigen, der an einer Tankstelle arbeitete.

Kurz nach der Explosion kam eine Patrouille des Wiederaufbauteams zum Anschlagsort. Die Männer sammelten ein, was vom Attentäter übrig war - den Kopf, die Beine, die Finger -, und brachten alles aus erkennungsdienstlichen Gründen ins Camp.

Am Abend erzählt der Presseoffizier, ein Feldwebel des Wiederaufbauteams sei aus seinem Humvee zum Tatort gestürmt, habe den verbrannten Kopf des Attentäters gegriffen - der Presseoffizier führt seine Hand neben seinen Kopf, als halte er darin das Haupt Johannes des Täufers - und sich grienend damit fotografieren lassen. Auch andere hätten das getan. Randall Gilhart, der Chef des Wiederaufbauteams, ist schockiert. Er beordert den Patrouillenführer zu sich und befiehlt ihm, all diese Fotos zu vernichten, "damit sie nicht morgen im Internet auftauchen. Genau solche Aktionen sind es", sagt er und schüttelt den Kopf, "mit denen man sich die Afghanen zum Feind macht."

Zweiter Tag: Einmal im Monat findet im Büro des Gouverneurs ein Entwicklungstreffen statt. Das Wiederaufbauteam macht sich auf den Weg. Selbst um die drei Kilometer in die Stadt zu fahren, sind die Sicherheitsmaßnahmen enorm: Ein Konvoi mit vier gepanzerten Humvees, im Turm auf dem Dach ist jeweils ein Maschinengewehr oder schweres Geschütz installiert.

Das Camp selbst ist von dicken, mit Sand und Beton gefüllten Wällen umgeben. Die Soldaten, das Wiederaufbauteam und ein Bataillon Kampftruppen - "das sind die, die rausgehen, um die Bösen zu töten", sagt der Presseoffizier -, wohnen in Hütten und Containern. Die Büros beider Einheiten sind in einer für die Region typischen, aus Lehm und Stroh gebauten Festung mit hohen Wachtürmen untergebracht.

Die meiste Zeit verwendet das Wiederaufbauteam darauf, die verschiedenen Entwicklungsprojekte der Region zu koordinieren und voranzutreiben. Es verteilt dafür große Summen, in bar. Allein aus dem Topf des Verteidigungsministeriums haben die USA seit Oktober letzten Jahres 83 Millionen US-Dollar über die zehn Wiederaufbauteams im Osten Afghanistans ausgereicht - ein Vielfaches mehr als das Hilfsbudget vieler Entwicklungsländer. Hinzu kommen noch die Mittel von USAID, der Entwicklungsbehörde, sowie des Außen- und des Landwirtschaftsministeriums.

Zusätzlich zu den größeren, längerfristigen Projektgeldern für den Bau von Straßen, Dämmen und Schulen bringt Kommandeur Gilhart zu jedem monatlichen Entwicklungstreffen 25.000 Dollar Soforthilfe in bar mit. Schon bald sollen es 50.000 sein.

Heute hat Gilhart 48.000 Dollar dabei, weil die Tranche des Vormonats noch nicht ausgeschüttet wurde. Sofort melden sich die Mitarbeiter des Gouverneurs mit Ideen, wofür das Geld ausgegeben werden könnte. Aber ihr Chef legt die Hand ans Kinn und sagt versonnen: "Nein, nein, ich weiß, was wir damit machen." Etwas später, in kleinerer Runde in seinem Amtszimmer, sagt er, das Beste wäre es, einen Fußballplatz zu bauen. Gilhart verspricht, den Vorschlag zu prüfen.

Dritter Tag: Im Konvoi fahren wir zur Trauerfeier für den getöteten Jungen. Seine Familie wohnt außerhalb der Stadt in der Steppe. Auf fast 2.500 Meter über dem Meeresspiegel sind die Weiden staubig und trocken, in dem kargen Haus sitzen dreißig Männer im Kreis, sie tragen graue Bärte und hohe Turbane. Sie sprechen das Trauergebet und trinken Tee.

Die Besucher vom Wiederaufbauteam haben Reis, Speiseöl und Spielzeug für die Kinder mitgebracht. Der Chef des Kampfbataillons, Oberst Baker, spricht sein Beileid aus. Er sagt, die Seele des getöteten Jungen sei sicher im Himmel angekommen. Zustimmendes Gemurmel in der Runde. Die Greise bringen den zwölfjährigen Cousin des toten Jungen herbei. Er hat am Tag des Anschlags ebenfalls an der Tankstelle gearbeitet, jetzt steckt eine der Metallkugeln in seiner Leiste, die Ärzte im städtischen Krankenhaus haben sich nicht getraut, sie zu entfernen. Gilhart verspricht, den Jungen untersuchen und, wenn möglich, operieren zu lassen.

Vierter Tag: Wir fahren zum Stützpunkt der afghanischen Armee. Nur ein paar Kilometer auf der Westseite von Gardes haben die Amerikaner für sie eine Kaserne gebaut. Ein Krankenhaus mit fünfzig Betten für die Soldaten und ihre Angehörigen gehört auch zum Komplex. Bald soll ein zweites direkt daneben gebaut werden, die Planungen sind schon abgeschlossen. Die Klinik ist supermodern ausgestattet: digitale Sehtestgeräte, Wasserbetten für Verbrennungsopfer und so weiter. Doch die Wartezimmer sind leer, durch die Gänge geistern nur ein paar Ärzte und Krankenpfleger, und in den Betten verlieren sich drei Patienten. Es fehle an ausgebildetem Personal, erklärt Chefarzt Oberst Sultan Gul.

Am anderen Ende der Stadt steht ein neuer Komplex von Polizeikasernen. Auch sie wurden mit amerikanischem Geld gebaut und stehen fast alle leer. Die Polizeioberen der Stadt können sich nicht darüber einigen, wer die Gebäude bewachen muss. Zudem sind die Einheiten, die hier einziehen sollen, noch gar nicht ausgebildet. Gleich auf der anderen Straßenseite steht der nagelneue Flughafenterminal, ebenfalls von den Amerikanern gebaut. Es ist verschlossen, drinnen erkennt man Möbel, auf denen sich der Staub sammelt. Nur einmal am Tag, wenn ein amerikanisches Flugzeug erwartet wird, kommt Leben in den Flughafen. Aber der Terminal bleibt unbenutzt.

Fünfter Tag: Der Freitag ist in Afghanistan Feiertag. Er ist auch Ruhetag für die amerikanischen Soldaten. Sie waschen Wäsche, surfen im Internet, chatten mit daheim. Sonst gibt es nicht viel zu tun. Für alle gilt striktes Alkoholverbot. Das Einzige, was die Zeit etwas schneller vergehen lässt, ist der Gedanke an den Sold. Bei einem Einsatz im Irak oder in Afghanistan steigt er rasant an. In Gardes zum Beispiel gibt es einen zivilen Mitarbeiter, der die Soldaten an medizinischen Geräten ausbildet. Nach zwanzig Jahren aktivem Dienst hat er bei voller Pension die Armee verlassen. Zusammen mit dem Gefahrenzuschlag und Steuerrückzahlungen, sagt er, habe er im letzten Jahr eine Million Dollar verdient.

Sechster Tag: Der letzte Tag in Gardes. Wir besuchen ein Krankenhaus im Baraki-Barak-Bezirk, um dort zwei Kartons mit Medikamenten abzuliefern und um zu fragen, welche medizinischen Geräte benötigt werden. Obwohl die Klinik nur eine Autostunde von Kabul entfernt liegt, berichten die Patienten, dass es hier noch nie Angriffe der Taliban gegeben habe.

Der Chefarzt des Krankenhauses, barfuß und in einen schmutzigen Kittel gehüllt, zählt den amerikanischen Soldaten auf, was er braucht: Sterilisierungsgeräte, Kühlschränke, Operationstische, am liebsten einen eigenen Krankenwagen. Gilhart will sehen, was sich machen lässt.

Auf dem Rückweg fahren wir an grünen Weizenfeldern und Dörfern mit flachen Lehmhäusern vorbei. Kurz vor Baraki Barak passiert es. Eine enorme Explosion, die gepanzerten Humvees sind mehr als fünf Tonnen schwer, dennoch wird das Heck des vor uns fahrenden Fahrzeugs einen Meter in die Luft geschleudert. Dann Stille. Vor uns, quer über der Straße, gähnt ein anderthalb Meter tiefer Graben.

Fünf Minuten später ist die afghanische Polizei vor Ort. Die Männer finden einen dünnen Draht, der auf das Feld neben der Straße führt. Den Sprengkörper haben die Attentäter in dem Abwasserrohr deponiert, das unter der Straße durchführt. Ein beißender Geruch von Pulver liegt in der Luft, wahrscheinlich haben die Taliban aus dem Pulver von Mörser- oder Panzerfaust-Granaten einen Sprengkörper gebaut. Die Straßendecke hat die größte Wucht der Explosion aufgefangen, niemand ist verletzt.

Sorgfältig unter der Ackerkrume verborgen, führt der Draht 80 Meter weit zum Rand des Feldes. Dort liegt eine kleine Motorradbatterie, mit der per Knopfdruck der Sprengsatz gezündet wurde. Die Attentäter hatten genug Zeit, zu entkommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.