Kommentar: Zweierlei Recht

Mehr Recht im Alltag, Macht der Willkür im Sonderfall - das ist die Strategie der Kommunistischen Partei Chinas. Auch in der Frage der Todesstrafe.

Es war eine Niederlage für alle, die in China die Todesstrafe einschränken wollen: die Hinrichtung des ehemaligen Leiters der Pekinger Arznei- und Lebensmittelbehörde wegen Bestechlichkeit. Und sie erinnerte daran, dass auch Wirtschaftsverbrechen in China noch mit der Todesstrafe geahndet werden.

In führenden Juristenkreisen der Volksrepublik herrscht längst Einigkeit, dass die Anwendung der Höchststrafe auf Gewaltverbrechen beschränkt werden sollte. Doch die Partei macht da nicht mit. Im Einzelfall ist sie immer bereit, den Rechtsstaat auf dem Altar der Staatsräson zu opfern. Diesmal gab es der Arznei- und Lebensmittelskandale in China zu viele. Also benannte der Parteistaat einen Bösewicht, den er zum Henker schickte - damit nun jeder Chinese weiß, dass es die Regierung ernst meint mit der Lebensmittelkontrolle.

Was in Peking selten und auf großer Bühne passiert, geschieht in der Provinz täglich ohne Aufsehen. Jeder Kreischef sucht dort Bösewichte, mit deren Hinrichtung er seine Macht untermauern kann. Das aber ist der Grund, warum in China viele Jahre lang annähernd 10.000 Hinrichtungen gezählt wurden - auch pro Kopf ist das viel mehr als in jedem anderen Land der Welt.

Zumindest dieser Henker-Willkür will die KP nun Einhalt gebieten: Eine neue Verordnung schreibt vor, dass seit Januar jedes Todesurteil automatisch an den Obersten Volksgerichtshof in Peking zur Revision überwiesen wird. Die bisherigen Ergebnisse sind ermutigend. Amerikanische Menschenrechtler sehen bereits einen Rückgang der Hinrichtungen um 40 Prozent in China zwischen 2000 und 2006. Und auch in diesem Jahr sollen unter dem Einfluss des Obersten Gerichts noch einmal bedeutend weniger Menschen exekutiert werden als im vergangenen Jahr.

Die Verrechtlichung der Gesellschaft ist eine Folge des Wirtschaftsbooms, der anders als durch das Recht nicht mehr zu kontrollieren ist. Noch will die KP beides: mehr Recht im Alltag, die Macht der Willkür im Sonderfall. Damit aber denkt sie bereits fortschrittlicher als viele Chinesen.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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