„Nur Dissidenten werden wahrgenommen“

KULTUR Chinesische Kunst wird immer vielfältiger – doch in Deutschland realisiert das kaum jemand. Ein Gespräch mit dem Künstler Andreas Schmid, der an der Universität der Künste eine Veranstaltungsreihe kuratiert, die die Szene im Reich der Mitte beleuchtet

■ geboren 1955 in Stuttgart, arbeitet seit 1987 als freier bildender Künstler, Kurator und Experte für zeitgenössische chinesische Kunst in Berlin.

INTERVIEW SUSANNE MESSMER

taz: Herr Schmid, Sie haben mit der Künstlerin Bignia Wehrli eine Veranstaltungsreihe zum Thema zeitgenössische Kunst in China an der UdK organisiert. Warum gerade jetzt?

Andreas Schmid: Trotz der großen nationalen Schauen der letzten Jahre gibt es zu viele Vorurteile in Deutschland, wenn es um China geht – ein Fakt, der wohl auch mit einem speziellen moralischen deutschen Geschichtsbewusstsein zu tun hat. Wir wollen die Vielzahl von Positionen aufzeigen, die es gibt.

Hat es auch mit der Rezeption des chinesischen Künstlers Ai Weiwei zu tun, besonders seit seiner Verhaftung im vergangenen Jahr, die hier medial sehr intensiv begleitet wurde?

Ai Weiwei ist nicht umsonst als Gastprofessor an die UdK berufen worden. Es ist eine tolle Leistung, all das zu wagen, was Ai Weiwei gewagt hat: auf so mutige Weise den Finger in die Wunden zu legen. Allerdings wird Ai Weiwei in Deutschland auch als Held aufgebaut, der in China für die Deutschen alles richten soll. Da wird von einigen Medien große Schwarzweißmalerei betrieben.

Wird nur dem Dissidenten der rote Teppich ausgerollt?

Ja, dem chinesischen Künstler, der politisch ist, und zwar natürlich auf der richtigen Seite. Das kommt mir ungeheuer platt vor. Es ist sehr schade, denn es verstellt den Blick auf die anderen chinesischen Künstler.

Auf welche Künstler?

Auf Künstler, die sich anders ausdrücken und künstlerisch großartig arbeiten, ohne ständig kritisch zu sein. Einige Künstler in China bedienen sich einer anderen Sprache, die oft stiller und manchmal auch auf gewisse Art chinesischer ist. Die aber sehr wohl auch etwas bewirken kann. Es gibt so viele verschiedene Wege und Strategien, wie man etwas anstoßen kann. Viele bemühen das Bild des Gelehrten, der wie das Wasser agiert, das die Steine nicht zertrümmert, sondern langsam aushöhlt.

Oft werden solche leiseren Künstler von anderen, den Rebellen, als feige beschimpft. Was halten Sie davon?

Sehr wenig. Natürlich gibt es Verbote, Zensur und Brutalität in China. Zur gleichen Zeit gibt es oft große Offenheit, große Freiheiten, Aufweichungsprozesse und Grauzonen. Immer mehr mittlere Beamte sind zum Beispiel kunstinteressiert. Also: Auch der kommunistische Apparat ist nicht mehr einheitlich.

Was natürlich auch am kommerziellen Potenzial der chinesischen Kunst liegt, oder?

Das kommt noch dazu. Bis zur Mitte der 90er Jahre war die chinesische Regierung völlig ignorant und hat die Gegenwartskunst bekämpft. Dann haben sie gemerkt, dass man mit Kunst gutes Geld verdienen kann.

Hat die Überhitzung des chinesischen Kunstmarktes auch negative Auswirkungen?

Natürlich. Die Preise sind absurd hoch, teilweise über zehnmal so hoch wie hier. Viele Sammlungen und Museen können sich das nicht mehr leisten, denn für manchen aufstrebenden Künstler in China bekommen sie hier schon einen Klassiker.

Was interessiert Sie selbst an der chinesischen Kunst?

Die Kalligrafie ist wie ein Meer, in das man springt. Man kann sich individuell ausdrücken.

Wird die Kalligrafie vom westlichen Betrachter nicht ganz im Gegenteil häufig als sehr schematisch empfunden?

■ Die Veranstaltungsreihe: „Das Bild hinter dem Bild“ der UdK Berlin in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt wurde von Andreas Schmid und Bignia Wehrli kuratiert und dauert noch bis Ende des Jahres. Sie besteht aus Gesprächen, Vorlesungen und Workshops. Chinesische KünstlerInnen geben im Dialog mit internationalen ExpertInnen Einblicke in die rasanten Entwicklungen der jüngsten Kunstgeschichte Chinas.

■ Heute: Ab 17 Uhr stellen Andreas Schmid und die Kunsthistorikerin Martina Köppel-Yang eine Insidersicht der chinesischen Avantgardebewegung, der Bewegung 85, vor. UdK, Raum 110, Hardenbergstraße 33.

www.udk-berlin.de/kunstinchina

Ja. Aber das stimmt nicht. In der klassischen Kalligrafie sagt man, dass man den Charakter eines Menschen an seinem Pinselstrich erkennen kann. Außerdem gibt es in der Kalligrafie sehr viele Parallelen zur performativen Kunst wie bei Lu Dadong – auch dies ein Thema, das wir in unserer Veranstaltungsreihe behandeln werden.

Seit wann interessieren Sie sich für die chinesische Kunst?

Ich arbeite schon immer sehr viel mit der Linie. Ich war gerade mit dem Studium fertig, als ich eine Ausstellung mit Kalligrafien buddhistischer Mönche der Sammlung eines Abtes in Köln sah. Das hat mich derart fasziniert, dass ich mich beim DAAD bewarb und 1983 für drei Jahre nach China ging.

Davon berichten Sie heute bei der ersten Vorlesung der Veranstaltungsreihe. Wie haben Sie das China der 80er empfunden?

Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, was für eine ungeheure Aufbruchstimmung das damals war. Es war die Zeit, als sich die Parteiherrschaft immer mehr lockerte, die Wirtschaft immer mehr liberalisierte und der Lebensstandard vieler Menschen in China stieg. Auf einmal entstand das Bedürfnis nach mehr Freiheit. Die ganze westliche Geistesgeschichte wurde plötzlich entdeckt, es wurden erstmals Bücher von Freud, Nietzsche und Sartre übersetzt.

Wie empfinden Sie die Bemühungen der Galeristen, chinesische Kunst hierher zu bringen?

Im Unterschied zu vielen nationalen Großschauen chinesischer Kunst in den letzten Jahren finde ich es sehr gut, was Alexander Ochs in Berlin in den Neunzigern vor allem unternommen hat. Er zeigt jedoch nicht nur chinesische, sondern auch andere asiatische Kunst. Oder auch mal einen chinesischen mit einem deutschen Künstler zusammen. Aber ein oder zwei Galerien reichen natürlich noch lange nicht.