die wahrheit: Rächer des Rechtsstaats
Mit Wolfgang Schäuble erhebt sich der Staat zu ganzer Größe. Ein beinhartes Porträt
Sie wollen Deutschland in die Luft sprengen, die Europäische Union in einem Flammenmeer ersäufen und den Satan USA bei lebendigem Leib mit den Hufen Allahs zerstampfen: Was alles der internationale Terrorismus in seinem finsteren Schädel auskocht, lässt die Zukunft nicht bloß der Welt, sondern vor allem auch Deutschlands in einem schwarzen Licht erscheinen. Gleichwohl braucht niemand seine Hose mit Angst zu füllen, denn der beinharte Retter steht bereits bereit: Wolfgang Schäuble! Seit er sich im November 2005 den großen Schuh des Innenministers anzog, marschiert der Krieg gegen den Terror auf breiter Front voran wie auf tausend strammen Füßen.
Seine weichen Vorgänger im Amt taten bekanntlich nicht mehr, als Polizei und Verfassungsschutz ein paar Augen mehr auf fremde Bürger mit behaartem Gesicht werfen zu lassen, insbesondere wenn deren Nase nach Mekka zeigte. Im Übrigen aber hatten Terroristen ihr Projekt lediglich rechtzeitig anzumelden und - weil der Staat den illegalen Erwerb von Sprengstoff eindämmen und den unerlaubten Waffenbesitz unter Kontrolle halten wollte -, in speziellen Läden für Terrorismusbedarf einzukaufen. Unter Otto Schily ging es sogar so weit, dass Fluggäste, die bereit waren, sich im Entführungsfall abschießen zu lassen, sich in eine Liste eintragen mussten; aber mehr als der Name des damaligen Innenministers und seines Nachfolgers kamen nie zusammen, die Liste blieb viel zu dünn.
Inzwischen aber hat sich mit Wolfgang Schäuble der Staat zu ganzer Größe erhoben. Nun dürfen Terroristen endlich in die Luft gesprengt, Sympathisanten in einem Flammenmeer ersäuft und teuflische Staatsfeinde von den Hufen des Rechtsstaats zerstampft werden! Folter bleibt zwar strikt verboten - es sei denn, es handelt sich gar nicht um Folter -, aber ab sofort gilt jeder, der kein Polizist oder Staatsanwalt oder Wolfgang Schäuble persönlich ist, als Gefährder, folglich als potenzieller Terrorist und damit als überführt. Außerhalb des Innenministeriums soll es gut und gern 65 solcher Gefährder geben.
Schäuble trifft mit solchen Maßnahmen den Zahn der Zeit. Die Mehrheit der lebenden Bevölkerung hat erkannt, dass Ordnung und Sicherheit fett in Butter sind, wo Wolfgang Schäuble geht und steht. Über den Vorwurf, er mache die Menschenrechte klein und bewege sich mit seiner Politik unter der Gürtellinie einer gesunden Demokratie, kann er nur die Ohren schütteln. Gewiss, manche halten ihn für behindert. Aber in Wahrheit ist er ein kerzengerader Demokrat, der mit allen Beinen im Rechtsstaat steht!
Wolfgang Schäuble weiß das. Und er weiß, dass es nur eines gibt, das in der Demokratie wichtiger ist als Sicherheit: noch mehr Sicherheit. Er weiß es seit 1990, als ein Mann im badischen Oppenau durch ein Sicherheitsloch schlüpfte und ihn mit drei Schüssen durchbohrte; und dass ihn 2002 in Kirchheim/Teck ein neuerlicher Attentäter mit einer Geflügelschere zerschneiden wollte und nur wenige Meter davor von der Polizei in den Sack gesteckt werden konnte, war Wasser auf seine Gehirnmühle.
Attentate waren jedoch nicht das einzige, was Wolfgang Schäuble in seiner politischen Laufbahn fast über den Haufen warf. Obwohl er 1961, mit neunzehn, zur Jungen Union eilte, 1965 zur Erwachsenen-CDU rannte und 1972 in den Bundestag raste, kam er nie oben an, obwohl er mehrmals den Fuß in einer wichtigen Tür hatte: Parteivorsitzender, Kanzler, Bundespräsident - irgendwo lahmte es bei Schäuble rätselhafterweise immer. Als Parteivorsitzender ließ ihn 2000 die Spendenaffäre einknicken. Beim Rennen um die Kanzlerkandidatur 2002 war Stoiber schneller auf den Beinen, zumal viele die Vorstellung nicht ertrugen, dass Schäuble in Bauchhöhe mit den Mächtigen der Welt redet. Als es 2004 um den Apfel des Bundespräsidenten ging, trat ihm die FDP mächtig auf die Zehen.
Da war Schäuble so manches Mal zumute, als drücke ihn das Schicksal in die Knie, ja in die Knöchel. Sieben Jahre, seit 1998, musste er in der Opposition schlafen. 2005 hatte ihn kaum jemand noch auf dem Schirm. Als er dann, im Herbst 2005, den Befehl erhielt und sich in Bewegung setzte, um die deutsche Innenpolitik in seine Gewalt zu bringen, war niemand mehr da, der ihn stoppen konnte. Und auch nicht wollte, denn Schäuble, dessen Vater ein geborener Steuerberater und dessen Mutter eine gelernte Landtagsabgeordnete war, der selbst als ehrlich gestrickter Finanzbeamter begann und dann als grunzeinfacher Rechtsanwalt weitermachte, gilt als rechter Biedermann, der keiner Fliege ein Bein abholzen kann. Freiheit, Demokratie und Bürgerrechte, so die Auffassung der weitverbreiteten Bevölkerung, werden bei ihm schon in sicheren Schuhen sein. Und tatsächlich, jeder kann es Tag für Tag mit eigenen Augen sehen: Der Rechtsstaat steht bei Wolfgang Schäuble auf festen Füßen!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“