Sigmar Gabriel: Briefträger und Bürgermeister

Die Klimaprobleme machen Bundesumweltminister Sigmar Gabriel groß - und 2013 womöglich zum Kanzlerkandidaten der SPD. Eine Sommerreise mit einem Mann, der mehr will

Sigmar Gabriel juckt es nicht mehr, wenn die Medien schreiben: "Hängt wie ein nasser Sack" : dpa

KIEL/NEUWERK taz Der Sigmar Gabriel, der macht einfach alles mit. Unterschreibt selbst die Postkarte an den "Lieben Ernst" - obwohl er den Mann noch nie gesehen hat.

Seit den Zeiten von Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU, Amtszeit: 1987-1994) gehen die Umweltminister einmal im Jahr auf eine mehrtägige Sommerreise. Auch Töpfers Nachfolger Angela Merkel (CDU, 1994-1998) und Jürgen Trittin (Grüne, 1998-2005) hielten diese Tradition aufrecht. Dabei haben die Minister auf ihren Reisen bald ganz Deutschland durchquert. In der Regel werden besondere Naturschutzziele besucht. Gerade in den meist politikärmeren Sommermonaten bieten sich solche Reisen an. Nach Auskunft des Bundesumweltministeriums geht es dabei auch darum, Themen zu beleuchten, die sonst weniger häufig die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit finden. Und immer geht es auch - das ist zu vermuten - um schöne Bilder.

Die Szene ist typisch für Gabriel. Der Bundesumweltminister ist an Deck des Schiffs "Flipper", das ihn von der Insel Neuwerk zurück nach Cuxhaven bringt. Er geht an einem Trupp Senioren vorbei, die gerade eine Karte an einen gemeinsamen Freund schreiben. Gabi, Heinz und Günter oder wie sie auch heißen - stehen schon drauf. "Wollen Sie auch unterschreiben?", spaßen die Rentner mit dem SPD-Politiker. Der zögert nicht.

Gabriel pflanzt sich auf die orangene Bank, nimmt Kuli und Karte. Zack, steht auch sein Name auf der Freundschaftskarte. Lächelt, steht auf, wünscht "schöne Reise" und geht weiter. Der stattliche Minister gleicht einem Bürgermeister. Er grüßt und er fragt. "Wo kommen sie her?" Man könnte Sigmar Gabriel auch eine Feuerwehrwache einweihen oder einen Kaninchenzüchterverein besuchen lassen. Doch er will höhere Ämter.

Dazu muss er beweisen, dass es der Regierung - und vor allem ihm selbst - ernst ist mit dem Umweltschutz. Das ist sein Job. Darum tourt er jetzt zwei Tage durch den Norden Deutschlands, zuvor war er im Süden. Der Minister ist auf Sommerreise. Das hat Tradition. Seine Vorgänger haben das auch so gemacht. Eigentlich wollte sich Gabriel hier mal um die Vögel im Watt und die Blumen in den Salzwiesen kümmern. Wer für Tiere und Blumen wirbt, der ist der Gute. Doch sich als Naturschützer zu geben, dazu kommt Gabriel kaum. Tragisch ist das für ihn nicht. Er hat es in diesen Tagen nicht nötig, sein Image zu polieren.

Der erste sozialdemokratische Bundesumweltminister ist derzeit so gefragt wie nie zuvor. Fernsehsender, Radiostationen, Nachrichtenagenturen wollen Interviews. Immer dasselbe Thema: Atomkraftwerke und die Pannen von Vattenfall. "Nicht schon wieder Vattenfall!", sagt er an diesem sonnigen Morgen in Cuxhaven etwas miesepetrig. Ein Kamerateam fängt ihn ab, kurz bevor es losgehen soll mit einer Pferdekutsche auf die Insel Neuwerk, 15 Kilometer vor dem Festland von Cuxhaven.

Der Minister - schwarze Outdoorjacke, Kaki-Hose, beige Boots - spult seine Antworten ab. Sind alte Atomkraftwerke störanfälliger? "Ja", sagt Gabriel. Vorzeitiger Atomausstieg? "Nein" - das ginge ihm dann doch zu weit.

Vor einigen Wochen hätte sich Gabriel sicher über jedes Interview gefreut. Die Bundeskanzlerin rettete da offiziell das Klima. Gabriel war kaum präsent. Keine Frage: Für Gabriel sind die AKW-Pannen ein Glück. Sie bringen ihm täglich schöne Schlagzeilen. Auch wenn sich ab und zu Übellaunigkeit einschleicht.

Doch wenige Minuten später blüht er auch schon wieder auf. Der Mann aus Goslar fährt in einer Pferdekutsche durchs Watt, grüßt die Urlauber auch mal mit "Moin". Die meisten erkennen ihn.

Insel Neuwerk. Seit 1990 gehört sie zum Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer. Der Leiter erzählt, dass sein Team Klimaschutz wichtig nimmt. Besucher lesen, dass auf der Nationalparkstation eine Solaranlage installiert ist. Auf den Schildern steht: "Die Sonne schickt keine Rechnung." Er habe am Morgen auch genug heißes Wasser zum Duschen gehabt, so erzählt der Chef. Gabriel sagt dazu nur: "Warmduscher" - und lacht herzlich. Fragen stellt er zu den Ökoenergien nicht.

Er interessiert sich mehr für den 700 Jahre alten Wehrturm. Ob der schon immer aus Backstein war? Was es für ein Leuchtfeuer gab? Der Minister fragt oft nach Heimatkunde. Zu lang dürfen die Antworten nicht sein. Dafür ist Gabriel zu ungeduldig.

Schon geht er weiter - nur ein paar Schritte. Die Insel ist klein und gut besucht. Auf ein paar Bänken, aber auch auf dem roten Pflasterboden davor sitzt eine Seniorengruppe. Die Frauen und Männer singen " aber der Wagen, der rollt". Eine der Damen auf dem Boden streckt ihre Hand aus und fragt: "Ziehen Sie mich hoch?" Der hemdsärmelige Gabriel zieht.

Mal sagt er "euch" und "ihr", dann wieder "du" und "Sie". Und er schaltet hin und her - herzliche Worte zu Fremden, dann hakt er bei den Fachleuten mit Fragen nach. Er versteht schnell: Eben hat ihm der Nationalparkchef erklärt, warum die Vögel auf Neuwerk "überaltern". Gabriel speichert es. Und streut im nächsten Interview prompt ein: Auf der Insel mache sich der Klimawandel bereits bemerkbar. Immer öfter überspüle das Meer die Wiesen, in denen die Vögel brüten. "Die bekommen ein Problem mit dem Nachwuchs", erklärt er.

Gabriel ist ein Mann für die Sendung mit der Maus. Er sagt Kompliziertes in einfachen Sätzen. Auf Neuwerk spaziert er nun neben einem Jungen durch die Salzwiesen. Der Lütte will wissen, was an Atomkraft schlimm sei. Gabriel beginnt "Wir bestehen alle aus Atomen." Dann "hat mal jemand herausgefunden", dass Energie frei wird, wenn man Atome spaltet. Nur entstehen dabei Strahlen. "Siehste nicht, ist aber gefährlich."

Das macht ihm Spaß, dem Exlehrer. Dabei fand er die Idee der Inselverantwortlichen, die Kinder mit ins Spiel zu bringen, zunächst doof - "Ach, lasst doch die Kinder in Ruhe". Er kann darauf verzichten, dass Kinder ihm artig die Hand geben. Steif und inszeniert wirkt das oft. Das will er nicht. War so aber auch nicht geplant.

Die Kleinen rupfen in den Wiesen Pflänzchen wie Strandmiere und Wermut für Gabriel. Sie lassen ihn auch vom dickfleischigen, kaktusähnlichen Strandqueller abbeißen - "wie Salzstangen", sagt er. Gabriel probiert spontan alles aus.

Am Tag drauf macht er so ein richtiges Jungs-Ding. Da steht er auf dem Schiff "Arkona". Er beobachtet eine Havarie-Übung in der Kieler Bucht. Feuerwehrleute lassen sich von einem Marinehubschrauber auf Deck abseilen. "Darf ich das auch?", fragt Gabriel den Einsatzleiter. Gabriels PR-Leute raten sofort ab. Ein Minister am Seil? "Hängepartie", "Rettungsaktion", "Abflug": Die Bilder wandern für immer ins Archiv, und die hämischen Schlagzeilen sind schnell getextet.

Eine halbe Stunde - und Super-Siggi baumelt trotzdem in der Luft, er wird hochgezogen und später wieder abgelassen. Bei den Profis sieht das sportlich aus, sie machen eine gute Figur. Gabriel dagegen hängt am Seil wie ein nasser Sack. Er schert sich nicht um das Motiv.

Das ist neu. Sonst wittert Gabriel gerne mal Gefahren: Journalisten können immer etwas Böses vorhaben. Im Moment kann für ihn aber offenbar nichts schief gehen. Gabriel ist mit 47 Jahren wieder da. 2003 war er als SPD-Nachwuchstalent schon abgeschrieben. Da hatte er in Niedersachsen die Landtagswahl krachend verloren.

Viele glauben jetzt wieder an sein Talent. SPD-Vizekanzler Franz Müntefering hat ihn zum Ökominister gemacht. Und Gabriel versteht es, den Menschen das Gefühl zu geben, etwas für sie zu tun.

Auf Neuwerk ist das deutlich geworden. Gabriel hat den Strandqueller probiert und sitzt dort nun auf einer Holzbake. Der Turm, der den Schiffern den Weg weisen sollte, ist vor einem Jahr zusammengebrochen. Sturm "Kyrill" hat ihn plattgemacht. Die Inselbewohner wollen ihn zwar wieder aufstellen. Es fehlt aber Geld. Gabriel hält mit ihnen Ratschlag. Kurz überlegt. Dann präsentiert er auf die Schnelle eine Lösung: Der Nationalpark könne bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanzielle Unterstützung beantragen. Gabriel: "Ihr schickt den Antrag an mich, und ich mache für euch den Briefträger." Der Minister verspricht, ein gewichtiges Wort einzulegen. Die Leute nicken.

Gabriel wird dem Wahlvolk keinen Klimacent und keine Ökosteuer aufbürden. Er hält Umweltschutz vor allem dann für sinnvoll, wenn es der Wirtschaft nützt. Seine Kritiker werfen ihm das vor, es lässt ihn aber unbeeindruckt. Seine Politik ist werbestrategisch durchdacht.

So installiert er in seinem Haus eine "Biodivkampa", wie es seine Mitarbeiter nennen. Die Kampagnenzentrale, geleitet von seinem Staatssekretär und früheren SPD-Wahlkampfmanager Matthias Machnig, dient der UN-Biodiversitätskonferenz. Im Mai nächsten Jahres werden tausende Politiker der Welt in Bonn über den Schutz von seltenen Pflanzen und Tieren streiten. Gabriel ist Gastgeber - und sichert sich schon vorab seine Erfolge. Längst ist ein PR-Büro angeheuert: Die Werbefachleute, die an Slogans, Anzeigen und Plakaten tüfteln, haben ihren Schreibtisch ins Ministerium verlegt. Das gab es in dem Haus noch nie.

"Zur Zeit", erklärt Gabriel auf der Sommerreise, "löschen wir die Daten der Natur von der Festplatte" - weil Tiere und Pflanzen aussterben. Wer wisse schon, was damit verloren gehe. Die Tannenmeise aus dem Bayerischen Wald, so hat er jetzt gelernt, lege nur Eier, wenn sie mit Hilfe des Verzehrs von Schnecken genug Kalk zu sich genommen habe. Vielleicht sei das System gut, um die Knochenkrankheit Osteoporose zu behandeln. Er wird diese Beispiele sammeln. Naturschutz soll sich auszahlen - auch für ihn persönlich.

Sigmar Gabriel gilt als ehrgeizig. Er liebt die Macht. Anfangs schielte er immer auf das Wirtschaftsressort. Doch fragt man ihn heute: Erst Umwelt, dann Wirtschaft und danach Kanzler, Herr Minister? Dann flachst er: Warum denn noch Wirtschaftsminister? Er will der oberste Umweltschützer bleiben. Die Klimaprobleme machen ihn groß - und 2013 womöglich zum Kanzlerkandidaten der SPD. Für ihn sieht das perfekt aus. Und für die Wähler?

Die Rentner, mit denen Gabriel dem "Lieben Ernst" eine Karte schickt, sind noch nicht überzeugt. Sie lachen amüsiert. Einer sagt: "So schnell kriegt er unsere Stimme nicht."

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