Tour de France: Zukunft ohne Neuanfang

Einzig Alberto Contador kann dem verdächtig souveränen Spitzenreiter Michael Rasmussen in den Bergen folgen. Zweifel an der Redlichkeit der Leistung des Spaniers sind angebracht.

Die Szene erneuert sich: Jungprofi Contador vor Rasmussen Bild: ap

LOUDONVILLE taz Es ist still geworden um Linus Gerdemann bei der Tour de France. Man mag kaum glauben, dass er vor erst neun Tagen sowohl das Gelbe Trikot als auch das Weiße Trikot des besten Jungprofis trug. Jetzt liegt Gerdemann in der Wertung für den besten Nachwuchsfahrer auf Platz fünf, in der Gesamtwertung hat er 36 Minuten verloren. Aber Gerdemann ärgert das nicht, er hatte seine Möglichkeiten von vornherein realistisch eingeschätzt. Noch als er im Gelben Trikot steckte, machte er darauf aufmerksam, dass der wahre Star bei den Profis unter 25 nicht er sei, sondern der Spanier Alberto Contador: "Der wird um den Tour-Sieg mitfahren, das werden Sie sehen", sagte er prophetisch.

Erythropoietin: Der chinesische Hamster ist schuld. Mit Hilfe seiner Eizellen wird das unter dem Kürzel Epo bekannt gewordene Peptidhormon seit 1988 gentechnisch hergestellt. Epo stimuliert die Bildung roter Blutkörperchen. Dadurch erhöht sich die Fähigkeit zur Sauerstoffaufnahme und somit die Ausdauerleistung. Bis Mitte dieses Jahrzehnts war Epo der Bestseller unter den Dopingmitteln. Von 70 eingefrorenen Blutproben aus dem Tour-Fahrerfeld von 1998 und 1999 waren 40 positiv. Der italienische Sportwissenschaftler Alessandro Donati beziffert die Zahl der Epo-Doper auf weltweit 500.000. Die Produktion der Pharmakonzerne Roche, Amgen und Johnson & Johnson übersteigt den therapeutischen Bedarf um ein Vielfaches. Der Epo-Gesamtumsatz lag 2004 bei 7,9 Milliarden Dollar. Inzwischen sind die Nachweismethoden besser, allerdings kommen immer neue Epo-Präparate auf den Markt. Obacht! Epo kann tödlich sein: Verdickung des Blutes, Thrombosegefahr, erhöhter Blutdruck. Ausrede des Tages: "Ich habe in der Nacht viermal Sex gehabt und sehr viel Bier getrunken." (US-Sprinter Denis Mitchell, mit Testosteron erwischt.)

Linus Gerdemann behielt recht. Bei der ersten Pyrenäenetappe nach Plateau de Beille war der 24 Jahre alte Altersgenosse Gerdemanns der Einzige, der dem Dänen Michael Rasmussen das Wasser reichen konnte. Und nicht nur das. Während alle anderen Titelaspiranten schon um Minuten abgehängt waren, sprinteten Rasmussen und Contador wie die Berserker dem Zielstrich entgegen. Contador gewann um eine Reifenbreite, und das nicht etwa, wie gemunkelt wurde, weil das so abgesprochen war. "Bei der Tour macht man keine Geschenke" sagte Rasmussen später.

Alberto Contador verkörpert die Zukunft des Radsports, wenn er denn eine hat. "Es ist vielleicht noch ein wenig zu früh für ihn, in diesem Jahr die Tour zu gewinnen", sagte am Montag sein Mannschaftsleiter, Johan Bruyneel. "Aber ich glaube, dass wir in ihm den neuen Lance Armstrong gefunden haben." Bruyneel, der schon Armstrongs Potenzial entdeckt und ihn zu sieben Tour-Siegen dirigiert hatte, meinte wohl, dass Contador einer ist, der wie sein Vorgänger als Kapitän der Discovery-Formation über Jahre wird die Tour dominieren können. Aber der Belgier wies mit seinem Vergleich unfreiwillig auch auf tiefer gehende Gemeinsamkeiten zwischen dem texanischen Dominator und seinem spanischen Kronprinzen hin.

So wie Armstrong nämlich seine Karriere beendet hat, startet Contador in seine: mit starken Zweifeln an der Redlichkeit seiner Leistung. Im vergangenen Jahr war Contador im Tour-de-France-Aufgebot der Astana-Würth-Truppe, des Abwicklungsbetriebs der schwer dopingbelasteten Mannschaft Liberty Seguros. Astana-Würth durfte letztlich nicht mit auf die große Fahrt durch das Hexagon gehen, weil zu viele Fahrer der Mannschaft in die Fuentes-Affäre verstrickt waren. Darunter auch Contador, dessen Name als einer von 58 auf der Liste der spanischen Ermittler stand.

Contador wurde schon Ende Juli von dem Madrider Richter Anotonio Serrano entlastet. Fuentes selbst hatte angegeben, Contador nicht zu kennen. Contador bestätigte dies, und damit war für die spanische Justiz die Sache erledigt. Gewissheit darüber, ob Contador wirklich mit Fuentes zu tun gehabt hat oder nicht, gibt es jedoch bis heute nicht. Noch immer halten die spanischen Behörden ihre Unterlagen zurück und weigern sich, sie der Sportgerichtsbarkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Entlastung durch Serrano reichte Johan Bruyneel jedoch als Persilschein für Contador aus. Er gab dem "Riesentalent" einen Vertrag. Bruyneel ist ohnehin nicht zimperlich, wenn es darum geht, auch angesichts harscher Kritik der gesamten Branche fragwürdige Athleten zu beschäftigen. So heuerte er zu Saisonbeginn den tief in die Fuentes-Affäre verwickelten Ivan Basso an. Die Rechtfertigung: Basso sei vom italienischen Verband freigesprochen worden und es sei nicht an ihm, Bruyneel, sich als Richter aufzuspielen.

Tatsache ist, dass Contador von Liberty-Seguros Chef Manolo Saiz zwischen 2003 und 2006 in die Sitten und Gebräuche des Profiradsports eingeführt wurde. In seinem Spiegel-Interview hatte Jörg Jaksche, ehemaliger Mannschaftskamerad von Contador, ausführlich dargelegt, wie Saiz gemeinsam mit Fuentes bis 2005 systematisch sein Team pharmakologisch auf Wettbwerbe eingestellt hatte. Contador sagt indes bis heute noch über Saiz, dass dieser "immer wie ein Vater" zu ihm gewesen sei. Wie im Übrigen auch zu Bruyneel: Auch der Belgier fuhr den Großteil seiner Karriere unter Saiz.

Sollte Alberto Contador also noch den dubiosen Michael Rasmussen überholen und die Tour gewinnen, wäre das zwar der Sieg einer neuen Generation, es wäre aber mitnichten ein Sieg, der für den Radsport hoffen lässt, so, wie es der Etappensieg von Linus Gerdemann vor neun Tagen war. Sollte Contador "nur" das Weiße Trikot gewinnen, während Rasmussen Gelb holt, wäre das für den Radsport allerdings genauso traurig. Es wäre alles andere als das Zeichen eines Neubeginns: Zu den Gewinnern des Weißen Trikots zählten in den vergangen zwölf Jahren Jan Ullrich, Marco Pantani und Ivan Basso.

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