Uruguay: Zellstoffwerk wird Touristenattraktion
Ungeachtet des offenen Streis zwischen Uruguay und Argentinien über Umweltfolgen soll die Zellulosefabrik bald die Produktion am Grenzfluss starten.
PORTO ALEGRE taz Es ist kein Ende in Sicht im argentinisch-uruguayischen Bruderzwist über die Zellulosefabriken am Río Uruguay. Aber man redet wieder miteinander: Am Montag und Dienstag trafen sich hohe Funktionäre der jeweiligen Außenministerien zum gepflegten Dialog. Gastgeber war der spanische UN-Botschafter Juan Antonio Yáñez-Barnuevo: Weil der spanische Konzern Ence Ende 2006 angekündigt hat, seine Fabrik flussabwärts und vor allem grenzferner zu errichten, sind die früheren Kolonialherren fein heraus: Sie erscheinen nun nicht mehr als Beteiligte, sondern können als Mittler auftreten.
In Montevideo will man mit der mittlerweile dritten Gesprächsrunde unter der Schirmherrschaft von König Juan Carlos nur Zeit gewinnen. Eine Annäherung in der Sache scheint ausgeschlossen. Während Uruguay gemeinsame Kontrollmechanismen für das immer noch strittige Riesenwerk des finnischen Multis Botnia vorschlägt, fordert die argentinische Regierung seine Verlagerung. Dabei ist die Fabrik inzwischen schon zu 95 Prozent fertiggestellt und wird in wenigen Wochen ihren Betrieb aufnehmen.
Der Botnia-Konzern und Montevideo hätten sich auf die Taktik der geschaffenen Tatsachen verlegt, heißt es in der argentinischen Presse. "Je schneller die Fabrik anfängt zu arbeiten, desto eher wird sich zeigen, dass es keine Umweltverschmutzung gibt", werden dagegen uruguayische Beamte zitiert. Damit werde sich auch der "Konflikt erledigen". Argentinien sei von Anfang an in das Projekt eingeweiht gewesen. Deshalb sei die jetzige ablehnende Haltung nicht nachvollziehbar.
Angefacht hatten den Disput UmweltaktivistInnen im argentinischen Grenzort Gualeguaychú. Seit Dezember 2005 blockieren sie oft wochenlang immer wieder einen der drei Grenzübergänge. Das trifft die uruguayische Volkswirtschaft empfindlich. Am Dienstag protestierten die UmweltschützerInnen erneut vor der finnischen Botschaft in Buenos Aires.
Das fragile Ökosystem des Río Uruguay werde die Produktion von 1 Million Tonnen Zellstoff jährlich nicht verkraften, sagt der Biochemiker Carlos Goldaracena. Besonders gefährlich sei die geplante Bleichung durch Chlordioxid. Dem Touristenort Gualeguaychú drohten "katastrophale Schäden".
Anders als in Finnland soll in Uruguay kein chlorfreies Bleichverfahren zum Einsatz kommen. "Die Märkte verlangen blütenweißes Papier", erklärt die argentinische Greenpeace-Expertin Paula Burfman. Das sei teuer. Botnia weiche deshalb nach Südamerika aus, wo die Umweltgesetze lascher seien.
Ganz anders sieht das die Weltbank-Tochter International Finance Corporation (IFC), die dem Projekt einen Persilschein ausstellte, um es kräftig finanzieren zu können: Neben einem günstigen IFC-Kredit über 170 Millionen Dollar bekam Botnia eine 350-Millionen-US-Dollar-Bürgschaft von der Multilateral Investment Guarantee Agency (Miga), die ebenfalls der Weltbank-Gruppe angehört.
Am Botnia-Standort im uruguayischen Fray Bentos ist der Widerstand geringer. "Hier sagen die Leute: Lieber an Umweltverschmutzung sterben als an Hunger", sagt die Zahnärztin Julia Cóccaro. Sorgen macht ihr auch die geplante Ausweitung der Eukalyptusplantagen, wo innerhalb von nur sieben Jahren die Bäume für die Zellstoffherstellung wachsen. Präsident Tabaré Vázquez habe sich voll und ganz dem langfristig eingefädelten "forstwirtschaftlichen Modell" verschrieben, das Uruguay zum Rohstofflieferanten für Papierfabriken in Europa, den USA und China degradiere.
Vorerst dient die Botnia-Fabrik vor allem als Attraktion für Touristen, die die Thermalbäder und Strände von Gualeguaychú auch im Winter aufsuchen. "Ich möchte, dass meine Kinder mit den Umweltschützern reden und darüber in der Schule berichten", sagt Silvia Bayo aus La Plata. Am Ufer gegenüber stoßen zwei riesige Schornsteine dichte weiße Rauchschwaden in die Luft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!